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R. L a n g n e r

Kampf mit dem Drachen

Von HanS Kyfer

Nebel nimm als Schild zur Seite,

Nimm den Schatten dir zum Schwert,
Knote fest den Wind ans Pferd,

Reite, Lügenlöter, reite!

*

Rote Nelke

Von Hermann Hesse

Rote Nelke blüht im Garten,

Läßt verliebte Düfte glühen,

Will nicht schlafen, will nicht warten;

Einen Trieb nur hat die Nelke:

Rascher, heißer, wilder blüheir!

Eine Flamme seh ich prangen,

Wind in ihre Röte rennen,

Und sie zittert vor Verlangen,

Einen Trieb nur hat die Flamme:

Rascher, rascher zu verbrennen!

Du in meinem Herzen innen,

Liebe du, was soll dein Träumen?

Willst ja nicht in Tropfen rinnen,

Willst in Strömen, willst in Fluten
Dich vergeuden, dich verschäumen.

Der Bankdirektor Groothus und seine Frau
sitzen sich gegenüber an dem großen runden Tisch
und frühstücken: zwischen ihnen sitzt ihr Gast, der
Ritlmeister,

Das Ehepaar hat offenbar eine unbefriedigende
Nacht hinter sich. Die Luft ist voll von Elektrizität,
Leise knisternde Funken springen hinüber und
herüber. Der mit einem ungewöhnlichen Appetit
gesegnete Rittmeister merkt aber zunächst nichts
davon; die Spiegeleier mit den knusprigen hell-
braunen Speckscheiben interessieren ihn weit mehr
als das eheliche Feuerwerk, Erst als er sich die
vierte Taffe Kaffee eingeschenkt und mit einem
leisen Seufzer des Behagens eine dicke Zigarre
angesteckt hat, kommt es ihm zum Bewußtsein,
wie die Atmosphäre geladen ist,

Frau Groothus schleudert nur ultraviolette Blitze;
er hört die Worte, ohne ihren Sinn zu verstehen.
Daß die Blitze aber einschlagen und zünden, er-
kennt er an der flackernden Röte, die das schlaffe
Gesicht des Bankdirektors jedes Mal überläuft.

Sie entlädt sich wie eine Leydener Flasche:
Ruckzuck ist alles heraus. Er arbeitet dagegen mit
Akkumulatorenbetrieb. Es dauert lange genug, bis
er voll geladen ist und ankurbeln kann, aber dann
hält es auch länger vor.

Als der Besuch die ersten Züge aus seiner
Zigarre getan und seine Sinne, der Außenwelt
wieder geöffnet hat, wendet sich Groothus an ihn.

„Sie kennen doch auch die Heimkehr des Odys-
seus von Bungert, Herr Rittmeister?"

„Ree," sagt der, „wie sollte ich? Aber was ist
damit?"

„'ne ganz neue Auffassung: sehr originell, —
aber eigentlich interessanter als die alte. Aus dem
Mythus von der irrenden und heimkehrenden
Seele hat er die Tragödie der alternden Frau
gemacht,"

„Gott straf mich," denkt der Rittmeister, „Unter
was für peinlich gebildete Leute bin ich geraten,
Mythus , , , Tragödie . . . irrende und heim-
kehrende Seele, — Aber das mit der alternden
Frau, das ist mir vollkommen klar. Das geht
auf sie,"

Aber ehe er den Akkumulator abstellen kann,
knarrt der schon weiter:

„Sehen Sie, als der göttliche Dulder nach
Hause kommt, das Bild des blühenden Weibes
seiner Jugend noch im Herzen, da findet er eine
bejahrte Matrone mit Silberfäden im schwarzen
Haar, und sucht schon am dritten Tage wieder
das Weite."Lieber alle Schrecken des Meeres wieder
erdulden als das,"

„Pfui Teufel," denkt der Ritlmeister. „Du bist
ja wirklich ein allerliebster Ammi," und ringt nach
Erleuchtung, nach irgend einem eigenen Geistes-
blitz, mit dem er der bedrängten Frau zu Hilfe
kommen kann.

Wenn die Zeit etwa dreiviertel Stunden lang
stille gestanden hätte, würde ihm auch sicher nach
und nach etwas ganz Schlagendes eingefallen sein;
aber das Rad der Geschichte rollte unerbittlich
weiter, über ihn und die Geburtswehen seines
Geistes hinweg.

Frau Groothus erwiderte zunächst nichts, son-
dern lächelte nur ganz leise vor sich hin, und da
der ersehnte Einfall des Rittmeisters noch nicht
einmal in die Geburt, geschweige denn ins Leben
getreten war: der Bankdirektor aber, der seine
neue Odysseus-Auffassung lediglich einem Feuille-
ton des Berliner Tageblatts verdankte, aus Eige-
nem nichts mehr hinzuzufügen wußte, so „wurde

eine bange, bange Stille hernach", innerhalb deren
der Rittmeister sich giftete, daß ihm nichts einsiel,
der Bankdirektor sich schämte, daß er sich zu einer
solchen Flegelei hatte hinreißen lassen, und die Frau
sich freute, denn diese plumpe Flegelei war ihr der
beste Beweis dafür, wie ihre eigenen Stiche ge-
sessen haben niußten.

Als das Schweigen lange genug gedauert hatte,
um die in Gegenwart des Gastes zehnfach pein-
liche -Szene unauslöschlich ins Gedächtnis aller
Beteiligten einzubrennen, fing sie mit ihrer sanftesten
Stimme an:

„Sag mal, Liebling, —"

„Za?" fragte er ängstlich,

„Du mußt mir einen großen Gefallen tun,"

„Aber gewiß doch!"

„Zch möchte so schrecklich gern mal Ballon
fahren."

Sein erster Gedanke ist: „O du Gute, Liebe,
Verzeihende! Was bin ich für ein ekelhafter Rüpel,
und was für ein Engel bist du!"

Das war ja sein Herzenswunsch gewesen, fast
seitdem er sie kannte.

Er war Präsident des Internationalen Aero-
klubs, Sieger in zwei Gordon-Bennett-Renncn,
und nie hatte sie ihm Gelegenheit geben wollen,
ihr seine Kunst zu zeigen. Sie war eine aus-
gezeichnete Reiterin, und er konnte nicht reiten,
machte auch bei seinen wiederholten Versuchen, es
zu lernen, mit seinen langen Beinen, mit dem
durchgefallenen Kreuz und den runden Schultern
eine so jammervolle Figur zu Pferde, daß sie ihm
das Wort abgenommen hatte, nie wieder eins zu
besteigen. Um so mehr lag ihm daran, ihr zu zeigen,
daß er außer dem Börsengemauschel „An niich,
an Sie" auch noch vornehmere Künste verstand.
Und Ballonfahrcn war sicher eine sehr vornehme
Kunst, Und reiten? Sonntagmorgens ritt ja jeder
Kommis! Aber Ballonfahren war denn doch nicht
so einfach — der bloße Aufstieg kostete Mark
600. — ! Netto, heißt das.

Sein zweiter Gedanke war: Schwere Falle!
Da steckt etwas dahinter. Sie wird sich anziehen,
mit ins Auto steigen und milfahren bis zum Park-
tor oder meinetwegen auch bis zum Ballon, und
dann wird sie einen Schwücheanfall kriegen und
sagen: „Alfred, ich kann nicht... es geht wirklich
nicht. Wenn ich daran denke, daß in dem Ballon
die Frau Scharwenka gesessen hat. . . Du kannst
es wirklich nicht von mir verlangen, Alfred!"
Und dann kann ich allein losgondeln, mit dem
Rittmeister.

Er entschließt sich daher, ihr den Wunsch ab-
zuschlagen und unter keinen Umständen zu fahren.
Aber in demselben Augenblicke, wo der Entschluß
sich in seiner Seele kristallisiert, sagt auch schon
die erste Stimme wieder:

„Sie ist ein verzeihender Engel, du ein niedrig-
geborener Rüpel. Hoffe nicht, sie jemals zu ver-
stehen. Geh, fahre Ballon mit ihr!"

Der kaum fest gewordene Entschluß verwan-
delt sich wieder in Gallert und fließt dann aus-
einander, Das Endergebnis ist, daß Herr Grool-
hus nach allen Richtungen der Windrose tele-
phoniert und alle Vorbereitungen treffen läßt,
damit der Ballon am Neujahrsmorgen steigen kann.

Am Abend sitzen sie um den Tisch, trinken
ein Glas Wein, schwatzen und rauchen. Außer
den schon erwähnten sind noch zugegen: ein In-
genieur, der den Aufstieg mitmachen soll, der
Sohn Theo und die Tochter Marie.

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Register
Richard Langner: Vignette
Hermann Hesse: Rote Nelke
Hans Kyser: Kampf mit dem Drachen
Max Kleinschmidt: Das zweite Gesicht
 
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