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des Flügels. Dies rote Licht ließ sich willkürlich in braunes, grünes, gelbes
wandeln, konnte weiß Herabbrennen oder bläulich säuseln.

Wie Strahlen eines Sternes durchschnitten von der Saalmitte laufend Helle
Gänge die schwarzen Menschenmassen. Einen solchen Gang her kam Stefania
Patina und ihr Begleiter. Das Publikum, fiebernd auf neue Genüsse, beklatschte
gleich die Kühnheit der Sängerin, als erste sich in den Dienst dieser noch uner-
probten Sache zu stellen. Der Abend schien gewonnen.

Die Sängerin verlor Zeit mit Verbeugungen, die sie unterwegs machen mußte.

Zn der Aufregung gab der Impresario zu früh das Klingelzeichen hinunter in
den Mechanikerraum. So begannen bereits die Umdrehungen, als die Dioa den
Fuß auf das Podium stellte, was zur Folge hatte, daß sie vorerst mcht oben stand,
sondern umkippte und sich mit dumpfem Dröhnen auf den Boden setzte, woselbst
sie dergestalt sanst hingetragen, doch blöden Blickes, dem Publikum vorbei und
rundum glitt. Ein böses Omen, gewiß, aber man wollte es nicht gelten lassen,
man deckte es zu mit einem freundlichen und achtungsvollen Lächeln - ganz ohne
Schadenfreude. Der windige Begleiter, leichter im Gleichgewicht, kam stehend
hinüber und half der schweren Dame auf die Beine. Vorerst kein Gesang: ihrer
beider Ächzen beim Ausrichten von 200 Pfund vermischte sich dem ganz fernen
Murmeln, womit die Scheibe rotierte - Murmeln, das sich trotz aller Bemühungen
der Techniker doch nicht hatte vollständig beheben lassen.

Vornehm schleiften die Enden der Perserteppiche, über das Podium hinab-
hängend, an den Fußspitzen der vordersten Veihe vorbei und in der Vunde. Ein
Herr lächelte behaglich, als es ihm gelang, die kotigen Stiefel soweit vorzuschieben,
daß die Teppiche fleißig an ihnen wie Bürsten arbeiteten.

Die Sängerin erholte sich überraschend schnell und hätte jetzt beginnen können,
wären zwei Damen nicht ihrem erschreckten Mittelmann von links und rechts in
den Schoß gesunken, wobei jede letztes Bewußtsein in den Satz verhauchte:
„Gott, uns wird schwindlig!" Weitere folgten dem Beispiel,- die Augen angst-
gepeitscht und wirkungsgierig mit den Votierenden rotieren lassend, schnappten
sie lautlos nach Lust und brachen zusammen. Sie alle mußten hinausgetragen
werden.

Dann begann man. Der bewegliche Boden war so eingerichtet, daß ernste
Vorträge langsam ins Vollen kamen, - Bewegtes, Befeuertes wurde von
schnellerer Scheibe dahingetragen. So suchte man das Erlebnis des Hörers ein-
dringlicher zu gestalten.

Frau Patina sang zuerst: „Du bist, Orplid, mein Land." Feierlich rollten
Gejang und Boden. Es ging gut vorbei: Während man sich uneingestandenen
Angstschweiß von den Stirnen wischte, klatschte man mit der freien Hand auf den
Schenkel. Diese neue Beifallsart wurde spontan an diesem Abend in die neue
Umgebung hineingeboren.

Frau Patina setzte Hugo Wolff fort und brachte den „Gärtner". Zu den lockeren
und hüpfenden Sprüngen des Leibrößleins ward auch die Scheibe munterer.
Heimlich griff Frau Patina nach dem Flügel hinter sich, um nicht zu wanken. Sie
mußte dem leisen Drang, m den Saal hinauszukreiseln, widerstreben. Doch es
ging abermals gut vorbei. Die Scheibe lief wieder maßvoll durch einen nach-
drücklichen, fast brausenden Beifall.

Ganz unangemeldet, ganz rätselhafi geschah nun aber das Furchtbare.

Indes die Diva mit Notenblättern tändelte, am Busenausschnitt zupfte, ihn
plaudernd über den Klavierspieler hing - alles um die Pause zu füllen -, be-
gann die Scheibe sich grundlos wieder zu beeilen.

Frau Patina sah auf, verwischte wachsende Besorgnis mit einem Lächeln ins
Publikum hinein, als sei dies beabsichtigt und alles in Ordnung, - und wartete,
an den Flügel geklammert. Ihre Augen begegneten den verständnislosen des
Impresarios dort in der Ecke, der ihr achselzuckend bedeutete, er habe keinen An-

teil an diesem Unerklärlichen, er habe kein Klingelzeichen hinuntergeschickt. Er sah
mit Grausen steigende Votation und zunehmende Unbarmherzigkeit der Lage -
und er stürzte hinaus und hinunter, um nachzuforschen, um zu retten!

Die Hörer, ganz zu Schauern geworden, saßen mit offenem Munde. Schreie
blitzten auf wie Dolchgefuchtel. Zu flüchten begannen die Vordersten vor den
Teppichfransen, die wagrecht wirbelten und die Gesichter der in der Vunde Sitzen-
den peitschten.

Schon flogen Notenblätter empor von der Flttgelplatte und schossen als weiße
Möven durch den Saal.

Der Klavierspieler klammerte sich an den Flügel - die Sängerin an den
Klavierspieler. Sie sausten. Ein schwarzer Berg, dumpf gleißend: der Flügel,-
ein weißer Ving darum gelegt : die Tastatur. Eine schwarze Zackenlinie davor:
der gekrümmte Begleiter. An ihm hängend zu tiefst ein meergrüner Klumpen:
die Sängerin. - Und sie sausten.

Dem Begleiter entwischte der Klaviersessel, fegte in die Stuhlreihen, schlug ein
- Anlaß zum großen Tumult. - Man schrie, man lief, man verstopfte die
Ausgänge.

Der Flügel, irgendwie verharrend bisher über dem Mittelpunkt der Scheibe,
kam aus dem Gleichgewicht. Mit pfeifenden Vädchen tobte er vom Podium in den
Gaal, durch einen der Gänge zur Tür, durch sie hindurch, riß sie mit, rannte ge-
fletschten Zahnes an den Garderobefrauen vorbei, die der Ohnmacht anheim-
fi'elen und im Kleiderwust erstickten, holperte krachend, indes seine Saiten in gräß-
lichen Schwingungen aufheulten, die breite Treppe hinab, zum Tore hinaus, die
nächtliche Straße hinunter bis an den Strom, in den er sich schäumend stürzte:
das Flußpferd der Großstadt.

Zurückblieben im höllischen Wirbel der Mann und das Weib. Teppiche wurden
unter ihren qualtänzelnden Füßen hinweggerissen. Auf kahler Scherbe strebten sie
verzweifelt, in der Mitte standzuhalten.

Unmöglich, zu bremsen. Der Mechaniker war verschwunden und hatte die Hebel
zerstört. — Man spannte Leinewand rundum und rief den Gemarterten zu,
sich hineinschleudern zu lassen.

Der Mann begriff,- dies sei das Ende seiner armseligen, fleischverlassenen
Knochen. Doch der Patina, reich gepolstert, Witwe zum vierten Mal, kam in
solcher Lage ein Einfall.

//Ich will Sie retten, wenn Sie mich heiraten," schrie die energische Frau ihrem
Begleiter zu. Aber er schüttelte schluchzend den Kopf und erwartete schnelleren Tod.

Go wagte die Dame allein den Vückzug. Sie tat einen Schritt weg vom Mittel-
punkt — und wurde brausend hinabgefegt, durchschlug mit dumpfem Knall das
Leintuch, fuhr übers Parkett durch das Fenster und kam mit letztem Schwung in
einen Kraftwagen. Der Fahrer hatte Benzin genug, sie außer Landes zu bringen.
Sie reiste sogleich. Sie liebte nicht mehr diese Stadt.

Der K avierspieler hielt einsam die Mitte des Wirbels. Durch die entsetzlichen
Erschütterungen, denen das ganze Konzerthaus ausgeseht war, wurde der Kron-
leuchter gelockert, und er stürzte hinunter auf die Scheibe. Aber wunderbar er-
rettet sah man zwischen mitrotierendem Gestänge den Klavierspieler stehen. -
Die Wände bröckelten und fielen. Das ganze Haus sank zusammen.

Ein schützendes Heim für den Einzigen, der sich immer noch drehen mußte,
bildete unter den riesigen Schutthaufen das eiserne Netz und Gegitter des Kron-
leuchters, darin er sich barg.

Endlich hörte der mahlende Schutt auf, gräulich zu knirschen, endlich entwich
letztes tieflnnerstes Leben der Vuine, endlich lag alles starr und still.

Ein dünnes Sümmchen nur....

Man geht daran, ihn auszugraben. Man befürchtet nicht, daß er Hungers
stirbt, denn es ist bekannt, daß Künstler jahrelang Nahrung entbehren können.


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Zulius Diez

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Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
 
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