Die jüngste Birkenbach fährt auf. „wo?" fagt sie fiebrig, ganz erstarrt
noch von Überraschung, „wo denn?"
Der Assessor sagt leise: „Hier, aber sieh bitte nicht so hin!"
Die Dame hat sich an den Rebentisch gesetzt und sich einen Rassee bestellt.
Sie ist jung und hübsch. Sybille Birkenbach hat den Teller weggeschoben.
Ihre Augen saugen sich fest, wie zwei große Blutegel. Sie sagt nichts. Sie
sieht nur. Die fremde Dame ißt Streußeikuchen. Zwei Stücke. Dbwohl
der Apfelkuchen viel besser wäre. Sie hat wirklich etwas vornehmes an
sich. Schon wie sie den Löffel führt! wenn diese Person die Frechheit haben
sollte, den Assessor einmal auf der Straße zu grüßen, so brauchte man sich
nicht gerade zu schämen. Man konnte sie ruhig für eine bekannte Dame
ausgeben, wenn einer fragen sollte.
„Mach mir doch einmal den Hof," sagt Sybille Birkenbach plötzlich leise
und hastig. — Der Assessor sagt: „Aber Rind, du entwürdigst Md) ja!"
„Du sollst mir denHof machen," sagt die jüngste Birkenbad). Sie bittet bei-
nahe. wie ein flehendes Rind. Aber etwas ist in ihr, das an das Weib erinnert.
Der Assessor lächelt in sich hinein. Lr sagt: „Dann sei einmal lieb, daß
id) dir den Hof machen kann."
Die kleine Birkenbach lacht auf einmal laut. Sie erzählt einen alten Witz.
Lr >st nid)t sehr gut, aber die jüngste Birkenbach will sich ausschütten vor
Lachen. „Findest du sie hübsch?" fragt sie hastig und leise dazwischen. „Ad)
wo," sagt der Assessor, „(vder schick?" „Ach wo," sagt der Assessor. „Ich auch
nicht," sagt die jüngste Birkenbach, „man merkt ihr doch auf den ersten
Blick die Herkunft an." Der Assessor lächelt nod) immer in sich hinein.
Die jüngste Birkenbach sagt leise: „Eben hat sie herübergesehen!' Der
Assessor sagt: „Ach wo, die kennt mich ja gar nicht mehr. Das sind doch alles
nur Lpisoden."
Die jüngste Birkenbad) sagt: „Das weiß ich besser, du! Die will das bloß
nicht merken, daß du mir den Hof machst."
Die fremde Dame hat einen flüchtigen Blick herübergeworfen. Run trinkt
sie ihren Raffee weiter.
Sybille Birkenbach sagt: „Sie hat einen Reisekoffer bei sich. Sie ist
vielleicht nur auf der Durchreise, vielleicht ist sie gar nicht mehr hier, hm?"
Der Assessor sagt: „Das ist sehr leicht möglich. Aber ich weiß es nicht. Und
es ist mir auch sehr egal, Rind. Run hör' doch endlich auf davon!"
Die kleine Birkenbach sagt auf einmal sehr zärtlich: „Za, eigentlich hast
du recht." Ls ist ihr auf einmal, als wäre sie von einem großen Rümmer
befreit, von einer ganz großen Angst.
Die fremde Dame ist aufgestanden. Sie scheint es sehr eilig zu haben.
Der Zug wartet sicher.
Als die Türe hinter ihr zufällt, steht die jüngste Birkenbach auf und gibt
ihrem Verlobten einen Ruß. Sie sagt: „Ich Hab dich doch so furchtbar lieb,
du. Und eigentlich war es doch wundervoll, weißt du, daß die hereinkam.
Denn jetzt weiß sie doch, daß du garnichts mehr von ihr wissen willst."
Der Assessor packt die kleine Birkenbad) am Ropf und küßt sie mitten auf
die kleine Stubsnase, weil sie dabei auch nid)t sehen kann, daß er furchtbar
lachen muß. „Lswar doch ein guter Linfall," denkt der Assessor, und er wünsd)t
der fremden Dame, die ihm geholfen hat, in Gedanken eine gute Reise.
Die Lüge
Ls war einmal ein Mann in einem engen Käfig gefangen. Große eiserne
Barren teilten den Himmel in tausend enge Felder, durd) die die Sonne
schien und der grüne Wald lachte. Lr saß immer inmitten seines Räsigs und
träumte vor sid) hin.
was er dachte? Lr dachte, er fei stark, so stark, daß ihm nichts
widerstehen könnte; die Lisenstäbe könnte er ausemanderbiegen wie
der Kraft
Halme und in die Welt wandern. Frei sein, wenn er nur wollte.
— Aber er wollte nid)t. Lr war klug, der Mann, viel klüger, als all die
andern, die sich die Fäuste wund geschlagen hätten, um dann zu ver-
zweifeln.
So sitzt er nod) immer in seinem Käfig und träumt: er sei stark und
könne alles, wenn er nur wollte.
§ranz wlnterftein
noch von Überraschung, „wo denn?"
Der Assessor sagt leise: „Hier, aber sieh bitte nicht so hin!"
Die Dame hat sich an den Rebentisch gesetzt und sich einen Rassee bestellt.
Sie ist jung und hübsch. Sybille Birkenbach hat den Teller weggeschoben.
Ihre Augen saugen sich fest, wie zwei große Blutegel. Sie sagt nichts. Sie
sieht nur. Die fremde Dame ißt Streußeikuchen. Zwei Stücke. Dbwohl
der Apfelkuchen viel besser wäre. Sie hat wirklich etwas vornehmes an
sich. Schon wie sie den Löffel führt! wenn diese Person die Frechheit haben
sollte, den Assessor einmal auf der Straße zu grüßen, so brauchte man sich
nicht gerade zu schämen. Man konnte sie ruhig für eine bekannte Dame
ausgeben, wenn einer fragen sollte.
„Mach mir doch einmal den Hof," sagt Sybille Birkenbach plötzlich leise
und hastig. — Der Assessor sagt: „Aber Rind, du entwürdigst Md) ja!"
„Du sollst mir denHof machen," sagt die jüngste Birkenbad). Sie bittet bei-
nahe. wie ein flehendes Rind. Aber etwas ist in ihr, das an das Weib erinnert.
Der Assessor lächelt in sich hinein. Lr sagt: „Dann sei einmal lieb, daß
id) dir den Hof machen kann."
Die kleine Birkenbach lacht auf einmal laut. Sie erzählt einen alten Witz.
Lr >st nid)t sehr gut, aber die jüngste Birkenbach will sich ausschütten vor
Lachen. „Findest du sie hübsch?" fragt sie hastig und leise dazwischen. „Ad)
wo," sagt der Assessor, „(vder schick?" „Ach wo," sagt der Assessor. „Ich auch
nicht," sagt die jüngste Birkenbach, „man merkt ihr doch auf den ersten
Blick die Herkunft an." Der Assessor lächelt nod) immer in sich hinein.
Die jüngste Birkenbach sagt leise: „Eben hat sie herübergesehen!' Der
Assessor sagt: „Ach wo, die kennt mich ja gar nicht mehr. Das sind doch alles
nur Lpisoden."
Die jüngste Birkenbad) sagt: „Das weiß ich besser, du! Die will das bloß
nicht merken, daß du mir den Hof machst."
Die fremde Dame hat einen flüchtigen Blick herübergeworfen. Run trinkt
sie ihren Raffee weiter.
Sybille Birkenbach sagt: „Sie hat einen Reisekoffer bei sich. Sie ist
vielleicht nur auf der Durchreise, vielleicht ist sie gar nicht mehr hier, hm?"
Der Assessor sagt: „Das ist sehr leicht möglich. Aber ich weiß es nicht. Und
es ist mir auch sehr egal, Rind. Run hör' doch endlich auf davon!"
Die kleine Birkenbach sagt auf einmal sehr zärtlich: „Za, eigentlich hast
du recht." Ls ist ihr auf einmal, als wäre sie von einem großen Rümmer
befreit, von einer ganz großen Angst.
Die fremde Dame ist aufgestanden. Sie scheint es sehr eilig zu haben.
Der Zug wartet sicher.
Als die Türe hinter ihr zufällt, steht die jüngste Birkenbach auf und gibt
ihrem Verlobten einen Ruß. Sie sagt: „Ich Hab dich doch so furchtbar lieb,
du. Und eigentlich war es doch wundervoll, weißt du, daß die hereinkam.
Denn jetzt weiß sie doch, daß du garnichts mehr von ihr wissen willst."
Der Assessor packt die kleine Birkenbad) am Ropf und küßt sie mitten auf
die kleine Stubsnase, weil sie dabei auch nid)t sehen kann, daß er furchtbar
lachen muß. „Lswar doch ein guter Linfall," denkt der Assessor, und er wünsd)t
der fremden Dame, die ihm geholfen hat, in Gedanken eine gute Reise.
Die Lüge
Ls war einmal ein Mann in einem engen Käfig gefangen. Große eiserne
Barren teilten den Himmel in tausend enge Felder, durd) die die Sonne
schien und der grüne Wald lachte. Lr saß immer inmitten seines Räsigs und
träumte vor sid) hin.
was er dachte? Lr dachte, er fei stark, so stark, daß ihm nichts
widerstehen könnte; die Lisenstäbe könnte er ausemanderbiegen wie
der Kraft
Halme und in die Welt wandern. Frei sein, wenn er nur wollte.
— Aber er wollte nid)t. Lr war klug, der Mann, viel klüger, als all die
andern, die sich die Fäuste wund geschlagen hätten, um dann zu ver-
zweifeln.
So sitzt er nod) immer in seinem Käfig und träumt: er sei stark und
könne alles, wenn er nur wollte.
§ranz wlnterftein