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„wir wollten eigentlich Rahmtörtchen geben — aber bei den hohen Butterpreisen haben wir es doch vorgezogen, einen Tenor zu nehmen/

An ein Trambahn-Vi8-L-Vi8

von Rene prevot (Basel)

Rotblonde 8rau im schwarzen Pelz, um den schmalen Mund den spöttisch
erfahrenen Zug, vom kecken Hut die Lilienstirn beschattet bis an der
Brauen feine Wölbung, . . . darunter wie durch Schleier des Orientes
zwei Unschuldsaugen Märchen sagen und alle Nöstlichkeit verschenken, die
mir fehlt!... Schöne 8 rau, mit ahnendem Lntzücken schau ich Dich,... als
stumme 8 lamme küß ich Dich,... mit kühnem Blicke nehm ich Dich in meiner
Sehnsucht göttlichen Besitz! ...

Ach, nun bist Du plötzlich ausgestiegen, und mir erscheint der Trambahn-
wagen jetzt grauenhaft leer und widerlich überfüllt. Und ich stecke mit einem
inneren Seufzer den Zettel mit der hingekrihelten heimlichen Huldigung in
die linke Rocktasche. Heut abend beim Lntkleiden werde ich ihn wieder
hervorholen und mit gespannten, fragenden Sinnen im Mondschein lesen,
und dabei tief an Dich denken, bis in Dein innerstes Rätsel hinein, und
morgen vielleicht wieder,... bis ich an einem nüchternen Morgen in peri-
odischer Aufräumstimmung meine unelegant vollgestopfte linke Rocktasche
leere und die glühende Huldigung mit etlichen anderen, die sich seither an-
gesammelt haben, kühl und sachlich in die rechte Schreibtischschublade lege.

Dort ruhest Du nun, meine schöne Zehnminutenkönigin, neben hundert
anderen raschlebigen Herrlichkeiten und welkenden Erinnerungen in Vers
und Prosa, Gedankensplittern und Geisterdlltzen ...

Doch irgendeinmal — vielleicht — werde ich Dich zufällig wieder
herausfinden und neugierig in kundiger Hand drehen und wenden, um
schließlich etwas aus Vir zu „machen": ein Gedicht, eine Novelle, eine
Skizze oder auch nur einen niedlichen galanten Scherz, wie sie die mon-
dänen Revuen lieben.

Und wenn wirklich etwas aus Dir wird, dann bekomme ich Geld dafür,
wenig oder etwas mehr, je nach Umfang... Geld — hörst Du? — für Geld
werde ich Dich verkaufen! Und wieder sehe ich Dich lächeln wie damals,
etwas spöttisch, doch gar nicht döse, fast einladend, scheint mir, als wolltest
Du sagen: Oh, ich weiß schon, ich weiß schon! ...

wenn aber nichts aus Dir wird: kein Gedicht, keine Novelle, ja nicht
einmal ein niedlicher Scherz, dann werde ich mich schwer ärgern, zunächst
über mich, und dann über Dich, und werde Dich plötzlich häßlich finden, Dein
Loreleihaar künstlich gefärbt. Deine Märchenaugen hohl. Deine Brauen
krumm gewölbt, Deinen Hut altmodisch; ... und ich werde dich verächtlich
zerknüllt in den vollen Papierkorb werfen ...

Doch da seh ich Deine Augen aufblihen wie Dolchstiche, mir grad ins
verräterische Her;... Gnade! Ich Hab dich ja nicht zerknüllt! Siehe da:
Ich habe Dich verkauft, schöne 8rau,verkauft, verkauft!...

Und nun lächelst Du wieder, verzeihend, dankbar ...

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Index
Richard Rost: Der Tenor
René Prévot: An ein Trambahn-Vis-à-Vis
 
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