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Traum

Müde streck' icf> meine Glieder
Auf die harte Lagerstätte,

Und wie eine Sklavenkette
Klingt der Tag noch einmal wieder.

So war gestern schon sein Klingen,

Und so klang er mir auch heute;

Morgen wird wohl der erneute
Kettengleichklang zu mir dringen.

Müde schließen sich die Lider,

Und die Seele, nachtumsangen,

Ist in Schlummers Reich gegangen.
Lächelnd schwebt ein Traum hernieder. . .

Tastend sucht er meine Stätte,

Fühlend streckt er seine Hände. . .

Doch als ob er das nicht fände.

Was er hier erwartet hätte,

Schwirrt er fort — und mir hernieder
Winkt er noch aus lichten Räumen:

„Nein, noch darfst du mich nicht träumen,
Atzt noch nicht — doch komm' ich wieder b
Erich von Veckerath

Gast

Ein Gast in fremder Stube sitz ich da.

Der Lampe Lichtschein bringt uns freundlich nah,

Uns, deren Wege, sonst getrennt im Weiten,

Auf kurze Stunden in einander gleiten.

Und Stille sinkt und Abend hüllt das Haus
Und inüde Hände ruhn vom Tage aus. —

Wie über Schrank und Bild die Blicke wandern.

Was fremd mir ist — ist Alltag jenen Andern.

Und ist ein Kreis, wo Lnst und Leid sich drängt,

Und Eins ans Andre fest gefügt sich hängt.

Wo Stunden lächeln, — ach — und Stunden weinen.
Und Tage wechseln — wechseln wie die Meinen.

Ist eine Welt der meinen wert und gleich.

Und bin doch nur ein Gast in ihrem Reich. —

Ich seh die Welt viel tausend Welten weben,

Und steh beiseit — und darf sie nicht erleben!

Und möcht' so endlos weiten doch mein Herz,

Erfühlen aller Welten Lust und Schmerz!

Und kann am Ende — doch nur mich begreifen,

Und alles Andre: sehnsuchtsvolles Streifen!

D Einsamkeit! D Fluch beengter Welt!

Wie sind die Dinge uns so nah gestellt —-
Und doch so weit!

Wolfgang Geise

Abend im Tal

Es dämmert schon im engen Tal,

Die Reiher stiegen hoch zu Horst
Und schimmern fremd und silberfahl
Vom ufersteilen Buchenforst.

Ein unbekümmert Fifchlein springt
Im Fluß vor Sommerabendlust.

Das leise Schattenwafser singt.

Was ich vor manchem Jahr gewußt.

Es war ein heißer Erntetag,

Weltfern, da gingen wir zu zweit
Leicht, wie dein Arm in meinem lag,
Durch dieses Tales Lieblichkeit.

Und licht wie du die Welle ging.

Kein Reiher horstete im Hag,

In goldnen Buchenkronen hing
Der schöne lange Jugendtag.

Was läßt du hier mich einsam gehn,

Dem nimmermehr dies Wandern stonnnt.
Und in die Schaltenwellen sehn.

Bis mich das Dunkel überkommt?

Fritz Grüntz

DIE BANK

Von V i ck i Baum

Die Bank steht in der Lindenallee; sie hat drei gerade Beine und ein
schiefes, in die Erde eingesunkenes, das gibt ihr einen Schimmer von per-
sönlichem und malerischem Aussehen. Fünfzig Schritte weiter steht wieder
eine Bank und fünfzig Schritte weiter wieder eine. Aber die sind langweilig.

Auf der Bank sitzt ein junges Mädchen und ein junger Mann; das
Mädchen weint und ist der Meinung, daß niemand dies sehen kann. Jeder, der
vorbeigeht, sieht es. Der junge Mann denkt erbittert: Weinen ist einfach!
Ich möchte auch weinen! Und es fehlt nicht viel daran, daß er es tut.

Die Lindenblätter krümmen sich an den Rändern ein wenig, sie sehen
leicht angegilbt und sonnenmüde auS; manchmal wirbelt ein Linden-
stüchtchen herunter, dreht sich zierlich in der Luft und hat ein schmales
Blättchen wie ein Windsegel aufgesetzt.

DaS junge Mädchen sagt: „Es sind immer zwei an einem Stiel .. . ."

Der junge Mann schweigt und streichelt ihre Hand.

Das junge Mädchen sagt: „Weißt noch, wie die Linden geblüht haben?
Das war schön..."

Der junge Mann schweigt, streichelt und denkt: Scheußlich! Sentimen-
tal! Gemeinplatz! So was sagt man doch nicht.

DaS junge Mädchen sagt: „Es sind immer zwei. Die haben es gut.
Die bleiben beisammen..."

Der junge Mann streichelt ihre Hand und sagt: „Wir haben eS ja
immer gewußt, daß wir auseinander müssen; wir haben uns doch ver-
sprochen, dann anständig und tapfer zu sein, wenn eS so weit ist. Jetzt
weinst du; ich möchte auch weinen; ich weine nicht."

DaS junge Mädchen beginnt getröstet zu lächeln: „Ja? Möchtest du
auch weinen?" sagt es, und fühlt sich viel bester; „armer Bub, möchtest
du auch weinen?"

Der junge Mann sagt: „DaS Leben ist schon nicht anders; wir haben
es gut gehabt, jetzt heißt es bezahlen..."

DaS Mädchen sagt: „Schau, wieder segelt eins herunter; immer sind
zwei an einem Stiel. Erst tanzen sie, schau, dann legen sie sich auf die
Erde. Sind sie dann tot? Oder schlafen sie zusammen?"

Der junge Mann sagt: „Du bist so etwas Süßes..."

Dann schweigen sie. Ein Schutzmann geht vorbei.

Eine junge Frau mit einem Kind setzt sich auf die Bank, schaut vei>
stöhlen das junge Mädchen an, zieht ein Buch heraus und tut so, als
würde sie lesen. DaS Mädchen trocknet heimlich die Augen; der junge
Mann würgt an einer Zigarette, die ihm Haltung geben soll.

DaS Mädchen: „Wann geht dein Zug?"

„In zwei Stunden."

„In zwei Stunden..."

Das Kind: „Schau, Mutti, was da vom Baum fällt! Sind das Äpfel?"

„Nein, die sind doch viel größer."

„Mutti, weißt, es sind Kinderäpfel; oder es sind Puppenäpfel, ja?
Kann ich spielen, daß eS Äpfel sind?"

Der junge Mann sagt: „Nun wein' doch nicht so schrecklich, das kann
man ja nicht auShalten. Es war doch schön; oder war eS nicht schön?
Jetzt kommt eben das Leben ..."

Die junge Frau denkt: Ja, ja —- das Leben. . .

„Ich möchte auch weinen, du. Aber man darf sich eben nicht nachgeben.
Man muß seinen Weg machen; ich muß meinen Weg machen. Ich muß
froh sein, daß ich dahin versetzt bin; damit fängt die Karriere an. Du
darfst auch nicht egoistisch fein und nur an dich denken, mein SüßeS."

Die junge Frau lächelt in einer Weife, die sie traurig macht und zwei
ältliche Fältchen an ihrem Mund entlang schickt.

DaS Kind sagt: „Mutti, ist der Onkel böse mit seiner Frau? Die
Tante weint. Ist der Onkel auch ein Papa? Schimpft jeder Papa so viel
mit seiner Frau?"

Die Frau küßt das Kind und sagt: „Sei still, Maus, sei still."

„Wenn der Papa so viel schimpft, wegen der Suppe und wegen den
Strümpfen und wegen dem Kartenspielen, dann weinst du auch, ja, Mama?
Dann willst du auch nicht, daß ich eS sehe. Große Leute sind dumm."

Der junge Mann sagt: „In zehn Jahren kommt dir dies alles lächerlich
vor. In zehn Jahren, da bin ich Landrat, und du hast Mann und Kinder."

„Ich heirate doch nicht," sagt daS Mädchen.

Du wirst schon heiraten, denkt die junge Frau.

„Du wirst schon heiraten," sagt der junge Mann.

DaS Mädchen weint stärker und ftagt: „Wen denn. . .?"

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Wolfgang Geise: Gast
Erich v. Beckerath: Traum
Vicky Baum: Die Bank
Fritz Gräntz: Abend im Tal
 
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