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Die Geigerin

©, sieh! das Zimmer ist blau von der Nacht.

So waren deine Augen noch nie;

und deine Arme wie Schnee... ach, weist sind sie,

so weist Hab ich noch nichts gedacht.

Oer kleine Schein deiner gelben Schuh'
ist wie ein Mondschein im Gemach;
ich lächle deinen tanzenden 8üßchen nach
und höre deiner Geige zu. . .

Drei blonde Sternlein vorm Fenster sind;

(blond sind sie wie dein süstes Haar).

Sie winken, sie deuten, ich glaube gar
sie sagen, dast sie voller Bewunderung sind ...
Hans Steiger

V e

Das ist das alte Gottgeschehn...

Nun schnein die Wege wieder ein.

Und wollte doch schon Krühling sein
Mit Märzenkelch und Veilchen.

Das ist das alte Gottgeschehn:
will wo ein Herrliches erstehn,

Bricht's nur aus hundert Schmerzen.

was so entsprost, ist starker Art,

Und sei es auch so mädchenzart
Wie Märzenkelch und Veilchen.

Dem Allerschwersten nur entlasst.

Trägt Sieg im Arm die weiche Nrast,

Oie starke Nrast der Liebe.

Hermann Gebhardt

r Zauber

Kuru

Ich will im Haar verwehn auf deinem Haupt,
Das herbstlich-leuchtend deine Stirn umlaubt,
Mich um dich kränzen, wiil im Abendwind
wie Blätter still von Bäumen gleiten;

Die Strasten, die noch schwül vom Tage sind,
ßestlich zu schmücken vor dich hin mich breiten:

wie einen Teppich sollst du mich beschreiten!-

Doch du schaust immer fremd in mich,
wenn unsre Blicke sich begegnen,

Und deine Augen werden wie ein Strich.

Ich aber bin ein warmes, sanftes Regnen
Herab um dich.

Lrnst penzoldt

e r

von A. M. 8 r e p

Raum war der Vorhang in den Himmel gefahren und jedes Zuschauer-
auge ln den Bühnenraum gestürzt, da begann auch schon der Zauberer mit
schamlosem Wort und frecher Bewegung Versicherungen seiner wahren
Nunst abzugeben. Lr log, seine Geräte hätten keinen doppelten Boden, keine
heimlichen Gelenkbänder, keine zwiefachen Wandungen. Lr verzichtete auf
die Mitarbeit seines 8rackes, warf auch die Manschetten von den Unter-
armen zurück und schritt einem Tischchen zu, das mit schäbigem rotem Plüsch
bemäntelt war. von ihm hob er eine metallische Röhre den Zuschauern ent-
gegen, liest Blicke hindurchsallen, stellte sie zurück. Lr sagte seinen ärmlichen
Spruch, ruderte mit schwarzem Stabe durch die Luft, worauf zwei Tauben
aus der Röhre flatterten und nach dem Schnürboden verschwanden. Oer
Zauberer sah diesen von ihm erschaffenen Tieren gesättigt nach, nannte sie
8riedenstauben, womit er dürftigen Beifall auslöste und machte sich daran,
den weiteren üblichen Unfug zu begehen.

Schon war ein Gast in der vordersten Reihe deutlich gelangweilt. Setzte
sich schräg zur Bühne, fuhr in die Brusttasche, zog einen Brief hervor und
entfaltete ihn. Las hingegeben.

Oer Zauberer sah es — und stockte. Lr stellte den Apparat, in dem er
aus Nichts Naffee für die Damen zu erzeugen versprochen hatte,zurück und
kam an die Rampe. Begann etwas Neues, hielt in beiden Händen wirbelnde
Spielkarten, bog sie gegen den Handrücken, indes er die leere Innen-
fläche wies, machte sie wieder vorschnellen, griff sie in der Luft, zerrte
sie aus den Nniekehlen, löste sie von der Schuhsohle. Zeder Lfsekt hin-
geschleudert dem dort unten, der mistachtend Briese las. Alles nur für
ihn, für den einen, der ihm entglitten war, den er zurückzugewinnen
trachtete.

Oer, dem es galt, liest sich nicht beirren. Ganz grost deckte der Brief ihn
zu; er las und las.

Oer Zauberer hielt ein, erschöpft und verwüstet Lr rang um die Aufmerk-
samkeit seines Gegners mit Worten. Lr verdächtigte seine Gesinnung, sprach
ihm den Anstand ab, empfahl ihm weinerlich erregt, zu gehen.

Oer Gast Härte ihn gar nicht, er hörte nur den Brief, entnahm seiner
Brusttasche 8ortsehungen, las weiter.

Der Zauberer sprang zurück mit einem Ruck. Lr trat in die Nulisse und
liest das Licht abdrehen. Das groste Haus lag ganz im Dunkeln. Alles über-
stürmend beschlost er die letzte Nummer, versprach dem Publikum geheim-
sten Tanz der 8lammen auf schwarzer Bühne.

8lüchtig sah der Briefleser in die Dunkelheit, brachte dann ein elektrisches
Lämpchen zum Lrglühen und las weiier. Als leuchtende Scheibe lag be-
strahltes Papier mitten im Unstern. Schon glaubten Oie im Umkreis an
die Zusammengehörigkeit des Lesenden und des Taschenspielers, erhofften
von ihnen gemeinsame Taten und warteten.

Der Zauberer erkannte knirschend sein vergebliches Bemühen. Lr über-
blickte auf dämmeriger Bühne feine magischen Ringe und unzerreistbaren

Stricke, seine Nugeln, Schachteln und Nästchen; er nahm sie in kraftlose
Hände und liest sie stöhnend wieder entgleiten.

Lr verkrampfte die 8inger zu eisenharten 8äusten. Ich will, sagte er zu sich,
bin ich ein Zauberer oder bin ich keiner? Ich lasse tagtäglich Naninchen in
der leeren Höhlung eines Hutes entstehen, ich mache Nanarienvögel mitsamt
dem ganzen Bauer hinter einem Schnupftuch verschwinden; ich sperre
Menschen in Nörbe und löse sie auf in Nichts — und soll es mir nicht ge-
geben sein, einen armseligen Brief wegzuzaubern?

Schwelst stand aus seiner Stirne, Schaum vor seinem Mund. Lr begann
zu beten. „Gib mir nur dies eine Mal die Nrast," stöhnte er. „Naninchen
tagtäglich und Nanarienvögel ohne sonderliche Mühe — und nun unüber-
windlich dieser Brief! wahrhaftig, ich wills versuchen, und du wirst mir
helfen, Gott! Du mustt mir helfen, Gott!"

Und der Zauberer blies felsenfesten Glaubens durch die Zähne: „Lämp-
chen, erlisch, und verschwinde, Brief!"

Da hantierte der Gast unten in der ersten Stuhlreihe an seiner kleinen
Taschenlampe, aber sie wollte nicht mehr brennen. Lr stand auf und schrie
zum Zauberer empor: „Diese Scherze gehen zu weit! Bitte, geben Sie mir
sofort meinen Brief wieder!"

Das Publikum lachte und unterhielt sich gut. Ls wurde wieder hell
im Saal. —• Der Zauberer zog seinen 8rack an und wehte über die Näpfe
der Musiker auf ein Treppchen und in die Zuschauer. Lin Lächeln milden
Triumphes überglühte sein Gesicht, er mischte sich gnädig unter die Dürf-
tigen, die da nicht zaubern konnten.

„Meinen Brief, bitte!" verlangte der Mann in der ersten Reihe.

„Ich habe ihn nicht," lächelte der Zauberer geschmeichelt und reinsten
Gewissens

„Neine Umschweife!" brauste der Gast aus.

Der Zauberer zuckte die magischen Schultern, „vielleicht sehen der Herr
in den eigenen Taschen nach," meinte er lässig.

„Aha," sagte das Publikum verständnisinnig.

Der Gast begann seinen Rock zu entleeren, drehte ihn um und um,
schichtete Papier und Banknoten durcheinander — das Gewünschte fand
sich nicht. „Ich verbitte mir diese Irreführungen; ich verlange die Direktion
zu sprechen!" schrie er,

Längst stand der Direktor, weil er wußte, daß diese Nummer nicht ins
Programm gehörte, sprungbereit.

„Herr Bombonell," sagte er zu dem Zauberer, „zu weit dürfen diese
Scherze nicht gehen. Haben Sie den Brief?"

„Nein," entgegnete Bombonell.

„Natürlich hat er ihn," ries der Gast, „wer soll ihn sonst haben!"

„Ich war aus der Bühne," wies ihn der Zauberer zurück. „Der ganze
Saal hat das gesehen, wie mag es mir möglich fein, einen Brief aus dem
Zuschauerraum zu entwenden?"

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Index
Ernst Penzoldt: Kuru
Alexander Moritz Frey: Der Zauberer
Hermann Gebhardt: Das ist das alte Gottgeschehn...
Hans Steiger: Die Geigerin
 
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