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L i n paar gelbe Schuhe

von Kurt Robitschek

*

3d) werde keine Zeitungen mehr lesen. Vas ist eine wundervolle Idee
und wie alle gloriosen Einfälle aus der Freiheit geboren. Die ganzen vier
Hahre habe ich mir vorgenommen: wenn Du diesen Krieg überlebst, gehst
Du am Lage des Endes aus den höchsten Gipfel des Landes und brüllst in
die Welt: „Zch bin frei! Zch bin ein Mensch!" Und dann ist dieses Ende ge-
kommen : jede großzügige Geste war lächerliches Pathos vor einer todmüden
Seele. Zch habe mich still von den andern gedrückt und bin gegangen. Nur
einem Hab ich beim Abschied gesagt: .Fs ist genug gestorben worden!"

Oer hat nicht zugehort — nur ungläubig gelächelt: „Wenn sie uns nur
nicht wieder holen!"

Und das ist ausgeschlossen. Warum? Weil ich keine Zeitungen mehr lese.
Zch will in 'keiner großen Zeit mehr leben, mir ist auch die kleine zuwider.
Und nur die Zeitungen gebären beschlagwortete Zeiten. 36) lebe nur mehr
mein eigenes Leben! 36) wohne ln einer großen Stadt, die im Nriege einen
tätlichen Bauchschuß bekommen hat. Geschieht ihr ganz recht! Warum ist sie
nicht desertiert, diese große, patzige, verru6)te, geliebte Stadt?! Das haben
so viele kluge Menschen getan. Aber die Melden sind alle gestorben. Nur die
Trotteln haben gekämpft. 3n einer der Straßen dieser sterbenden Stadt
steht mein Haus. Groß und breitspurig, wie ein Mastdarm, der noch nicht
weiß, daß die Bau6)hähle zersäzossen ist.

Eigentlich ein dummer vergleich. Dieser Rrieg hat unser Denken derart
infiziert, daß wir kein Paradoxon gebären, das ni6)t aus seinem Wärter-
bu6) geschöpft wäre. 36) hätte ja sagen können, daß die Stadt infolge der
augenblicklichen politischen Lage an Bedeutungen eingebüßt hat, wie einst
Venedig zu Zeiten der ...

So sind wir Veut)6)en! Entweder hohläugige Blutarmutsphantasten
oder blondbärtige (Vberlehrernaturen!

3n dem Hause bewohne ich vier Zimmer. Der Baumeister hat diese vier
Räume bizarr ineinander geschachtelt: nicht eines neben das andere gesetzt
— nein, sie stehen im Raume, wie verrückt gewordene Nubusse! Und das
größte ist mein Arbeitszimmer. Also jener Raum, in dem ich absolut nichts
tue. Nur, um Unbefugten den Eintritt zu verwehren, sage ich: mein Arbeits-
zimmer! Die Menschen verbeugen sich vor dieser Bezeichnung und denken
an Nant, Goethe und Wilson. Diese haben sicher ein Arbeitszimmer gehabt.
Und gearbeitet.

Aber ich fitze an meinem S6)reibtif6)e und betrachte mit sichtlichem Be-
hagen pornographische Bilder. Zch beginne, das Leben zu genießen. Aus diesen
Bildern steigt der Dust von lebendem 8le!sche, an den!6) mi6) wieder ge-
wöhnen muß. Zch war zu lange mit Lei6)enzusammen. 8ast sünfHahreRrieg!

8ür mich beginnt jetzt das Leben, vor allem werde ich mich wieder an-
ziehen, wie i6) es will. Nicht gef6)mackvoll — nein — bunt, schreiend —
etwa, einen grünen Anzug, weiße Strümpfe, rotblau gestreifte Nrawatte,
ein violettes Hemd, gelbe Schuhe...

„Hohanna!" — Das alte Weib, das bei fortschreitender Sozialisierung
als mein einziger Hausgenosse Aussicht hat, mi6) zu enteignen, humpelt
herein: sie ist weder gutmütig, noch besorgt mütterlich. Sie lügt, rie6)t nach
Schweiß und stiehlt. Eigentlich will i6) sie täglich hinauswerfen, aber ich
habe no6) nicht den dramatischen Aufbau für diese gewiß packende Szene
meines Lebens gefunden.

„Haben Sie m!6) gerufen?"

„3«! 36) hatte einmal ein paar gelbe Schuhe. Wo sind ..."

„Gestohlen Hab l6) sie nicht?" — Also hat sie die Schuhe doch gestohlen

„36) habe ja nur gefragt, ob Sie ni6)t wissen, wo die Schuhe sind!"

„Nein!"

„Gut! verschaffen Sie mir bis heute Abend sechs Llhr einen Schuhma6)er,
der mir raf6)estens ein paar gelbe Schuhe anfertigen kann. Preis Nebensache!"

„Wenn ich einen finde..."

„Sie können gehen!"

Der letzte Sah war überflüssig. Nur die Herstellung der Selbsta6)tung.
Denn die Alte war schon inmitten ihrer Rede abgegangen. Mich kann aber
nichts verstimmen; ich freue mich wie einNind, auf meine gelben Schuhe. Gelbe
Schuhe na6) Naß gearbeitet — das ist 8reihe!t, Nenfchfein, neues Leben ...

Nach einer Stunde steckt die Alte den Nopf durch die knapp geöffnete
Türspalte: „Am Abend kommt der Schuhma6)er!"

wer kommt? Ach so, der Nann, der das neue Leben — nein — die neuen
S6)uhe anfertigen soll...

* * *

Ls ist eigentlich eine Dummheit, wegen eines Paares gelber S6)uhe in
Aufregung zu geraten. Aber i6) kann es n!6)t leugnen. Zch bin erregt. Zch
weiß bestimmt, daß i6) soeben zwanzig Minuten lang in meinem Zimmer
aus und ab gegangen bin. 36) gleite in wei6)en Sammetpantosfeln über die
s6)weren perscrtepplche, lautlos f6)reite ich im Halbdunkel einher und ordne
die Gedanken im Gehirne. Zch lege jedes Denken, jede Phrase in jene gälte
meines Gehirnes, die seit altersher gewohnt ist, diese Dinge auszunehmen.
So werde ich ruhiger. Da stößt jemand an den Registrier-Rasten meines
Gehirnes und — hups — purzelt wieder alles kunterbunt durcheinander:

Da ist eine Magensorge auf meine Gedanken über die Teilbarkeit des
Stickstoffes gefallen, das Nachdenken wegen der Überholung der Lichtwellen-
gefchwindigkeit ist in die gälte gerutscht, in der sonst die Sorge wegen eines
Paßvisums lag, im Großhirn ist eine unbezahlte S6)neiderrechnung in das
Problem der (Quadratur des Rreifes ...

„Was wünschen Sie?"

An der Türe steht ein Mann in einem lächerlich langen Gehrocke Ls ist
Halbdunkel — ich kann keine Gesi6)tszüge sehen. Aber ich muß ihn anstarren,
obwohl ich so gerne über seinen Gehrock lachen möchte. Er sieht aus, wie
eine Rreuzung zwischen einer Burgruine und einem Gymnafialprofessor.
Hetzt sehe i6) deutliä), daß von seinen Gesi6)tskno6)en ein gelb-fahler Licht-
schein ausgeht. Der Neri hat die Gelbfu6)t. Aber so schwefelgelb-leuchtend.
Und die Augen! Wie ein Hypnotiseur im varietü, der für seine Tenorgage
„in zwanzig Minuten das geehrte Publikum in den Bann der Lmanations-
ströme — bitte — also jener Ströme, die aus meinem Rörper..."

„36) komme wegen ihrer gelben Schuhe!"

„Ach so! Sie sind der S6)uster! Wollen Sie mir Maß nehmen?"

Der Mann an der Tür lacht: Natürlich lacht er; ich sehe doch, wie seine
Gesi6)tsmuskeln sich in der Richtung des Grinsens bewegen — aber ich
höre dieses s6)leim!ge Grinsen ni6)t.

„Das ist ni6)t notwendig! Zhre Schuhe sind bereits fertig!"

„Vas ist ein Zrrtum! i6) habe ja noch nichts bestellt!"

„Bitte diese Schuhe zu probieren!"

von irgendwo wickelt er ein paar gelbe Schuhe aus. 36) gehe zum Licht-
kontakt um einzuschalten — da brennt die S6)reibtischlampe schon. Wer
hat denn die Glühbirne rot gefärbt? Dder habe ich das getan, um Stimmung
für meine Arbeiten zu haben? Möglich! Zch werde über diese Kleinigkeit
nicht Nachdenken. — Die Schuhe sind wunderbar gearbeitet. Zch probiere
sie. wie ich das Leder anfasse, fühlt es sich zart an, wie weiche 8rauen-
hände... wie lebenswarme, weiche Hände...

„Das ist wohl noch 8riedensware?" Zch frage nur um etwas zu sprechen.

„Nein!"

„So!" — Der Mann'ist ein Esel. Hätte er „ja" gesagt, hätte i6) ent-
gegnet „Na, deshalb!" So sage ich „So?"

Die Schuhe passen wie angegossen. Zch fühle sie kaum auf den 8üßen.
Sie scheinen in meine Haut zu wachsen.

„Was kosten die S6)uhe?"

„Wir re6)nen ab, bis ich die anderen paare bringe!"

„Die anderen paare?!"

,,No6) siebzehn paare habe i6) Zhnen zu liefern!"

„Das ist ausgeschlossen! i6) bin do6) ni6)t vanderbilt oder Rothschild,
daß ich 18 Paar Schuhe auf einmal kaufe. Wo soll i6) denn das Geld
hernehmen..."

„Die S6)uhe sind schon bezahlt! Sie haben ja das Leder geliefert!"

Zch werde schweigen. Oer Kerl irrt si6). Wenn ich weiter rede, erkennt er
den Irrtum, nimmt mir auch diese Schuhe noch weg und wird zum Schlüsse
no6) grob zu mir. — Da tritt er an meinen S6)reibtisch. — Mir ist kalt und
— es zieht Zch fasse an meinen Kopf — die Stirne glüht, die Hände
glühen, aber aus den Hohlräumen meiner Knochen bläst die Kälte. Mein
Mark ist gefroren. — Lin Knaxen, wie von einem elektrischen S6)alter —
die Augen des Schuhma6)ers leu6)ten auf. Zch sehe es deutlich. Er hat Glüh-
birnen in den Augenhöhlen, die er eben angedreht hat. Was geht das mich

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