VIELSEITIGKEIT
In der Preußischen Landesversammlung erklärte ein
Abgeordneter zur größten Entrüstung der weiblichen
Mitglieder des Hauses, die besten Rednerinnen
seien Frauen, die nicht kochen können.
Das Wort fuhr wie’n geölter Blitz
Ins hohe Haus hinein,
Die Damen sprangen hoch vom Sitz
Und fingen an zu schrein:
Was kommt dem Mann da in den Sinn?
Schmeißt doch den Frechling raus!
Seit wann schließt denn die Rednerin
Die gute Köchin aus? —
Ich dachte, als ich diesen Fall
In meiner Zeitung fand:
Die Männer sind doch überall
Von großem Unverstand.
Ich halt’s für möglich unbedingt.
Daß eine Dame heut
Den Löffel und die Rede schwingt
Mit gleicher Fertigkeit.
Zur gefälligen Beachtung!
Leider muffen wir die Bezugspreife der Jugend*
vom 1. April 1920 ab nochmals erhöhen.
Die Gründe find auch bei uns die gleichen wie
bei den Tageszeitungen, die sich in ihrem Be-
ftehen bedroht fühlen, wenn die Regierungen
nicht Mittel und Wege finden, den beifpiellofen
Papierpreisfteigerungen, nur teilweife bedingt
durch hohe Holzpreise und geringe Kohlen-
mengen, Einhalt zu tun. Wir appellieren an
die Treue unferer Bezieher, die wir bitten, uns
den kleinen Mehrpreis za bewilligen, damit wir
die wirtfchaftliche Krife überwinden können.
Vom 1. April 1920 ab
koftet das Vierteljahr.Mk. 20.—
koftet die Einzelnummer.Mk. 1.80
Wir bitten um fofortige Aufgabe der Beftellung
bei Ihrer Bezugsftelle.
Verlag der „Jugend“, München.
„KAVIAR AUSVERKAUFT!“
Diese Aufschrift prangte jüngst an einem „feinen“
„Lebensmittel“-Geschäft Frankfurts.
Glänzende Valuten!
Deutschland am Verbluten —
Lasten, mörderische —
dafür: Notenpressen!
Statt der Werte: — Wische!
Schulden, hochgehauft!-
Doch, an Delikatessen
noch genug zu fressen —:
. . . „Kaviar ausverkauft!"
Trüffelschokolade —
Opiumzigaretten —
Stiefel bis zur Wade —
Seidenste Toiletten —
Weine mit Cüvetten —
— Schmückt euch, schmaust und sauft!
Deutschland unterm Hammer?
— Nein, ein größerer Jammer:
. . . „Kaviar ausverkauft!"
Ich denke dabei nur an mich,
Und wie's zu Hause Brauch,
Denn meine Frau kocht meisterlich,
Und reden — kann se auch.
Franze aus Berlin
*
IM FREIESTEN ALLER STAATEN
Im neuen preußischen Schullesebuch
steht-das bekannte Rückert’sche Gedicht
„vom Bäumlein, das andre Blätter ge-
wollt“. Wie das Bäumlein nun dasteht,
geht nach Rückert der „Jude durch den
Wald“ und steckt die schönen goldenen
Blätter in seinen Sack.
Auf eine Beschwerde hin hat jetzt das
preußische Kultusministerium angeord-
net, daß in Zukunft der „Jude“ durch
einen „Räuber“ zu ersetzen sei.
Im übrigen hat das Kultusministerium
bereits vor längerer Zeit eine Kommis-
sion, bestehend aus den Herren Dr.Hirsch,
Loeb, Fuchs und Adler mit der radikalen
Umredigierung des Schullesebuchs be-
auftragt. Nach deren Vorschlägen wird
beispielsweise das Kinderlied „Fuchs, du
hast die Gans gestohlen“, in „Reineke,
du hast Geflügel gestohlen“, umgeändert.
Das Märchen vom „Wolf und dem Lämm-
lein“ fällt weg, weil der Glaubensgenosse
dem Glaubensgenossen kein Übel antut.
Der Schluß des Lorelei-Liedes wird
gleichfalls abgewandelt. Denn es ist nicht
angängig, daß ein heidnisch - deutsches
Frauenzimmer, wenn auch indirekt, einen
Kahn versenkt. Die Endstrophe in der
neuen Fassung lautet:
„Ich glaube, die Wellen verschlingen
Noch Schiffer und Schaluppe.
Wenn beide untergingen,
Dem Haenisch wär' es schnuppe!“
Die Erzählung „Jud Süß“ von Wilh. Hauff
erhält den Titel „Dissident: Sacharin“.
Beda
EIN KLEINER IRRTUM
Die Entente sucht schon jetzt durch
allerhand Presse - Notizen dem Reichs-
gericht Fallstricke für die kommenden
Prozesse gegen die auf der Auslieferungs-
liste stehenden Deutschen zu legen. Mit
versteckten und offenen Drohungen für
den Fall von Freisprechungen versucht
sie, den Gang der Verhandlungen im vor-
aus zu beeinflussen.
Vergebliche Bemühung, Ihr Herren!
Ihr verwechselt offenbar die deutschen
Richter mit jenen Richtern, die Jaurös’
Mörder freigesprochen haben! Karlehen
*
Vorschlag von Julius Diez (München)
DEUTSCHE EINHEITS-MARKE
Motto: Nord und Süd
Kohle fehlt dem Lande —
Zähnen fehlt der Bissen —
Kinder sattzufüttern
fehlt die Milch den Müttern —
Doch der Schlemmerbande,
— ungetauft, getauft —
fehlt nur Eins: Gewissen!
Das Gefühl der Schande I
-„Kaviar ausverkauft . .
Daß es Deutschland liefert
an das Schlächtermesser,
weiß das Ungeziefer
dieser Kaviaresser,
das sich schmatzend rauft
um pikante Schunde —
— was klingt besser:
„Deutschland vor die Hunde?“
„Kaviar ausverkauft?“
A. De Nora
*
EINEFABEL
Nach bitteren Mühen hatte Deutschland
sein neues Haus errichtet. Kein Pracht-
bau war's, denn ach, hartherzige Gläubi-
gerhatten erbarmungslos Alles gepfändet,
was an den früheren Wohlstand erinnerte.
Aber allmählich war es doch gelungen,
das Haus wohnlich zu machen. — Und
nun ließ es sich ein Besucher zeigen. —
„Hier wohnen die Handarbeiter,“ hieß es
beim größten und schönsten Raume. —
„Hier die Kaufleute“ — dies Zimmer war
schon merklich bescheidener. Zuletzt kam
man ganz oben, dicht unter dem Dach, in
ein enges, finsteres, feuchtes Loch. —-
„Wohnt hier auch Jemand?“ fragte un-
gläubig der Besucher. — „ Aber natürlich!
Dieser Raum ist für diejenigen, auf die
man im neuen Deutschland am wenigsten
Rücksicht zu nehmen braucht: Hier
dürfen die geistigen Arbeiter
haUSen! . . .“ Karlchen
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In der Preußischen Landesversammlung erklärte ein
Abgeordneter zur größten Entrüstung der weiblichen
Mitglieder des Hauses, die besten Rednerinnen
seien Frauen, die nicht kochen können.
Das Wort fuhr wie’n geölter Blitz
Ins hohe Haus hinein,
Die Damen sprangen hoch vom Sitz
Und fingen an zu schrein:
Was kommt dem Mann da in den Sinn?
Schmeißt doch den Frechling raus!
Seit wann schließt denn die Rednerin
Die gute Köchin aus? —
Ich dachte, als ich diesen Fall
In meiner Zeitung fand:
Die Männer sind doch überall
Von großem Unverstand.
Ich halt’s für möglich unbedingt.
Daß eine Dame heut
Den Löffel und die Rede schwingt
Mit gleicher Fertigkeit.
Zur gefälligen Beachtung!
Leider muffen wir die Bezugspreife der Jugend*
vom 1. April 1920 ab nochmals erhöhen.
Die Gründe find auch bei uns die gleichen wie
bei den Tageszeitungen, die sich in ihrem Be-
ftehen bedroht fühlen, wenn die Regierungen
nicht Mittel und Wege finden, den beifpiellofen
Papierpreisfteigerungen, nur teilweife bedingt
durch hohe Holzpreise und geringe Kohlen-
mengen, Einhalt zu tun. Wir appellieren an
die Treue unferer Bezieher, die wir bitten, uns
den kleinen Mehrpreis za bewilligen, damit wir
die wirtfchaftliche Krife überwinden können.
Vom 1. April 1920 ab
koftet das Vierteljahr.Mk. 20.—
koftet die Einzelnummer.Mk. 1.80
Wir bitten um fofortige Aufgabe der Beftellung
bei Ihrer Bezugsftelle.
Verlag der „Jugend“, München.
„KAVIAR AUSVERKAUFT!“
Diese Aufschrift prangte jüngst an einem „feinen“
„Lebensmittel“-Geschäft Frankfurts.
Glänzende Valuten!
Deutschland am Verbluten —
Lasten, mörderische —
dafür: Notenpressen!
Statt der Werte: — Wische!
Schulden, hochgehauft!-
Doch, an Delikatessen
noch genug zu fressen —:
. . . „Kaviar ausverkauft!"
Trüffelschokolade —
Opiumzigaretten —
Stiefel bis zur Wade —
Seidenste Toiletten —
Weine mit Cüvetten —
— Schmückt euch, schmaust und sauft!
Deutschland unterm Hammer?
— Nein, ein größerer Jammer:
. . . „Kaviar ausverkauft!"
Ich denke dabei nur an mich,
Und wie's zu Hause Brauch,
Denn meine Frau kocht meisterlich,
Und reden — kann se auch.
Franze aus Berlin
*
IM FREIESTEN ALLER STAATEN
Im neuen preußischen Schullesebuch
steht-das bekannte Rückert’sche Gedicht
„vom Bäumlein, das andre Blätter ge-
wollt“. Wie das Bäumlein nun dasteht,
geht nach Rückert der „Jude durch den
Wald“ und steckt die schönen goldenen
Blätter in seinen Sack.
Auf eine Beschwerde hin hat jetzt das
preußische Kultusministerium angeord-
net, daß in Zukunft der „Jude“ durch
einen „Räuber“ zu ersetzen sei.
Im übrigen hat das Kultusministerium
bereits vor längerer Zeit eine Kommis-
sion, bestehend aus den Herren Dr.Hirsch,
Loeb, Fuchs und Adler mit der radikalen
Umredigierung des Schullesebuchs be-
auftragt. Nach deren Vorschlägen wird
beispielsweise das Kinderlied „Fuchs, du
hast die Gans gestohlen“, in „Reineke,
du hast Geflügel gestohlen“, umgeändert.
Das Märchen vom „Wolf und dem Lämm-
lein“ fällt weg, weil der Glaubensgenosse
dem Glaubensgenossen kein Übel antut.
Der Schluß des Lorelei-Liedes wird
gleichfalls abgewandelt. Denn es ist nicht
angängig, daß ein heidnisch - deutsches
Frauenzimmer, wenn auch indirekt, einen
Kahn versenkt. Die Endstrophe in der
neuen Fassung lautet:
„Ich glaube, die Wellen verschlingen
Noch Schiffer und Schaluppe.
Wenn beide untergingen,
Dem Haenisch wär' es schnuppe!“
Die Erzählung „Jud Süß“ von Wilh. Hauff
erhält den Titel „Dissident: Sacharin“.
Beda
EIN KLEINER IRRTUM
Die Entente sucht schon jetzt durch
allerhand Presse - Notizen dem Reichs-
gericht Fallstricke für die kommenden
Prozesse gegen die auf der Auslieferungs-
liste stehenden Deutschen zu legen. Mit
versteckten und offenen Drohungen für
den Fall von Freisprechungen versucht
sie, den Gang der Verhandlungen im vor-
aus zu beeinflussen.
Vergebliche Bemühung, Ihr Herren!
Ihr verwechselt offenbar die deutschen
Richter mit jenen Richtern, die Jaurös’
Mörder freigesprochen haben! Karlehen
*
Vorschlag von Julius Diez (München)
DEUTSCHE EINHEITS-MARKE
Motto: Nord und Süd
Kohle fehlt dem Lande —
Zähnen fehlt der Bissen —
Kinder sattzufüttern
fehlt die Milch den Müttern —
Doch der Schlemmerbande,
— ungetauft, getauft —
fehlt nur Eins: Gewissen!
Das Gefühl der Schande I
-„Kaviar ausverkauft . .
Daß es Deutschland liefert
an das Schlächtermesser,
weiß das Ungeziefer
dieser Kaviaresser,
das sich schmatzend rauft
um pikante Schunde —
— was klingt besser:
„Deutschland vor die Hunde?“
„Kaviar ausverkauft?“
A. De Nora
*
EINEFABEL
Nach bitteren Mühen hatte Deutschland
sein neues Haus errichtet. Kein Pracht-
bau war's, denn ach, hartherzige Gläubi-
gerhatten erbarmungslos Alles gepfändet,
was an den früheren Wohlstand erinnerte.
Aber allmählich war es doch gelungen,
das Haus wohnlich zu machen. — Und
nun ließ es sich ein Besucher zeigen. —
„Hier wohnen die Handarbeiter,“ hieß es
beim größten und schönsten Raume. —
„Hier die Kaufleute“ — dies Zimmer war
schon merklich bescheidener. Zuletzt kam
man ganz oben, dicht unter dem Dach, in
ein enges, finsteres, feuchtes Loch. —-
„Wohnt hier auch Jemand?“ fragte un-
gläubig der Besucher. — „ Aber natürlich!
Dieser Raum ist für diejenigen, auf die
man im neuen Deutschland am wenigsten
Rücksicht zu nehmen braucht: Hier
dürfen die geistigen Arbeiter
haUSen! . . .“ Karlchen
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