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Die Naufau

3n meinem £elbblatt fand ich kürzlich die an
sich recht belanglose Mitteilung, daß Herr So-
undso zum Chef der „Sipo" Ln Königsberg er-
nannt worden sei. Sipo, belehrte mich eine Ln
Rlammern beigefügte Erklärung, soll Sicherheits-
polizei heißen. Ohne diesen dankenswerten Kom-
mentar hätte ich vielleicht auf Silberpolieranstalt
oder sonst etwas geraten. Ls ist also immerhin
gut, wenn man den Zeitungsleser nicht seiner
mehr oder minder entwickelten Rombinations-
gabe überläßt, sondern ihm durch eingeklammerte
Lrläuterungen etwas unter den Verstandskasten
greift.

Dieser Abkürzungsfimmel ist eine Rrankheits-
erjcheinung, die zwar nicht mehr ganz neueren
Datums ist, sich aber mit der Zeit zu einer Lpi-
demie auszuwachsen droht. Die Gelehrten nennen
sie „IKaufau". Die Maufau zeigte sich in Deutsch-
land zuerst ln Berlin und zwar in jenen grauen
Zeiten, da der Berliner seinen „Zolochschen Zar-
ten'" plötzlich nach englischem Muster in Zoo um-
taufte oder mit Rind und Regel in die Oamuka
fuhr. Womit nämlich dleDeutsche Armee-, Marine-
und Rolonialausstellung gemeint sein sollte.

von der Maufau wurden in rascher golge Zn-
dustrielle aller Gattungen, besonders Autornobil-
fabrckanten, Schokoladenfabrikanten, Schuhpuh-
rnittel- und Nährmittelfabrikanten befallen. Aber
selbst vor den höchsten Behörden machte die
Seuche nicht Halt, und ich entsinne mich noch mei-
nes peinlichen Lrrötens, als mir eines Tages ein
junger Legationssekretär aus dem Aa vorgestellt
wurde. Lrst nachher wurde mir klar gemacht, daß
sich hinter dieser kindlich-dadaistischen Wortbil-
dung das Auswärtige Amt verbarg. Während
des Rrieges richtete die Maufau im gelbe wie in
derHeimatfürchterliche Verheerungen in der deut-
schen Sprache an. Mein 8reund Lmil, der eine
einflußreiche Stellung als Schreiber bei einem
Abteilungsstab inne hatte,
drohtemitfreiwilligerMel-
dung zur kärnpfendenTrup-
pe, nachdem er einmal im
Tagesbefehl gelesen hatte,
daß derDivkonachdem Ako
beim Dbost berichtete, daß
die D.H.L. bei der wumba
8lakmunition angefordert
hätte. Auch als der Rrieg
zu Lnde ging und die Wako
(Waffenstillstandskommis-
sion) ihrtrauriges Geschäft
aufnahm, grassierte die
Maufau mit unverminder-
ter Heftigkeit weiter. Die
Sipo ist vorläufig ihr zu-
letzt beobachtetes Stadium.

Was dann noch kommt, ist
noch nicht abzusehen, viel-
leicht lesen wir nochmal im
pabe (Parlamentsbericht),
daß sich der Usoa1) Schulze
bei seiner Zure^) im Drei?)

^Unabhängige sozialistische x

Abgeordnete. Jungfernrede. —

8) Deutschen Reichstag. Vorladung

die gegen die Popo *) der 2?epa2) gerichtet war,
wegen Beleidigung des Reiwemir^) einen ®ru4)
des viprae5) zuzog.

wenn wir erst soweit sind, wird man sich ohne
8ußnoten überhaupt nicht mehr in der deutschen
Sprache auskennen können.

Übrigens, ehe ich es vergesse: Maufau ist natür-
lich nur die wissenschaftliche Bezeichnung für die
verheerende Seuche. Auf gut Deutsch heißt sie

Maulsaulheit. Runz Franzendorf

*) Polenpolitik. 2) Regierungsparteien. 3) Reichs-
wehrminister. 4) Ordnungsruf. 5) Vizepräsidenten.

*

Wiedergutmachung

Die französischen Gprnnasialpedelle müssen
gegenwärtig Lrhebungen anstellen, welche Zeit
die Professoren durch den Rrieg ihrem Beruf ent-
zogen waren und welchen Vermägensverlust sie
durch die Linberusung erlitten haben. Die 8rage-
bogen enthalten natürlich eine MengeLinzelheiten
zur einwandfreien 8eststellung der deutschen Ge-
samtschuld, ;. B. wie viele 8ensterscheiben haben
die Schüler in den ausgefallenen Unterrichts-
stunden eingeworfen? wie viele Rathederblüten
find nicht druckreif geworden? Wie viel Schirme
find nicht stehen geblieben und daher abhanden-
gekommen?

U. s. w., u. s. w.

Diese berufsständische Teilerhebung soll aber
nur eine Vorbereitung sein zur Beantwortung der
allgemeinen grage: Wie viel hat jeder einzelne
8ranzose durch den Weltkrieg Zeit verloren und
was ist dafür von Deutschland als Lntfchädigunss
zu verlangen?

Nachdem Zeit an sich schon Geld ist, wird bei
dem schlechten Valutastand i 8rs. pro Minute
nicht zu hoch geschäht sein. Da jeder 8ranzose ein-

schließlich 8riedensverhandlungen usw. rund fünf
Zahre, d.i. etwa 2,ö Millionen Minuten verloren
hat, so kann eine Bevölkerung von 35 Millionen
allein schon an purer Zeitvergütung zirka 50000
Milliarden beanspruchen.

Dabei war die betreffende Zeit noch nicht ein-
mal so verloren wie die, welche Frankreich jetzt
auf die Berechnung der deutschen Schuld ver-
wendet! z. A. S.

*

Lochst beunruhigend

wir erhalten unter dem Stichwort „Putsch-
vorbereitungen" folgende Zuschrift:

Zn einem Därslein bayrisch Schwabens tau-
chen seit einiger Zeit sehr verdächtige Leute in
Zivilkleidung auf, die meistens mit leeren Ruck-
säcken bewaffnet sind.

Schon während der Lisenbahnsahrt geben sie
ihrer regierungsfeindlichen Stimmung dadurch
Ausdruck, daß sie sich vorwiegend über die Lebens-
mlttelpreise unterhalten.

Auf dem Lande angekommen, zerstreuen sie
sich in die einzelnen Gehöfte und führen dort
mit den Bauern oder Bäuerinnen leise Ge-
spräche, wobei sie öfters Geld sehen lassen (!!)

Das Wort „Lier", eine bekannte Abkürzung
für Lierhandgranaten, wurde mehrfach belauscht.
Abends verschwinden dann diese verdächtigen
Gestalten ebenso geheimnisvoll, wie sie anftauch-
ten, — nur sind merkwürdigerweise ihre Ruck-
säcke dann nicht mehr so leer. (Aha!! Die Red.)

Was dieseGesellenbesondersverdächtig macht,
ist der Umstand, daß sie keine Maschinengewehre
mit sich führen, sie also offenbar versteckt haben.

Soweit die Zuschrift, die die wir nur mit
Zähneklappern und Haarsträuben zu Lnde zu lesen
vermochten.

Wir teilen die Ansicht des Linsenders, daß
hier ganz offenkundig eine systematische Putsch-
vorbereitung vorliegt und
beschwören die Regierung,
dieses hochwichtige Mate-
rial gebührend m benutzen.
Da es für die diesjährigen
Wahlen zu spät ist, viel-
leicht für die nächsten
Wahlen. Rarlchen

*

armes Deutschland

Am Sonntag vormittag
dreht ein Leierkastenmann
in den Anlagen sein Spiel-
weik. Lin vorübergehender
Herr legt ihm eine Zehn-
pfennig - Marke auf den
Rasten.

Der Mann spricht:

„Stecken SieZhrStaats-
papier nur wieder ein. —
Zch bin doch wegen der
Teuerung von der Stadt
für eine Musikkapelle an-
gestellt und spiele hier
platzmusik." C.8.G.
Register
Julius Diez: Vorladung
J. A. S.: Wiedergutmachung
Karlchen: Höchst beunruhigend
Kunz Franzendorf: Die Maufau
C. F. G.: Armes Deutschland
 
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