Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EISBRECHER Walther Klemm

STERNENBOTSCHAFT

DIE LETZTEN SEITEN EINES TAGEBUCHES
Von Karl Hans Strobl

Am 1 6 Mai.i(l die Ausstellung beendet, die Schwerkraft ab-

geblendet. die Raumkurve in der Polari(ationsebene eingestellt. Während
die akuflifchen Spektren gleichmäßig über das Uranband wandern, tickt
über meinem Kopf der Sender in feiner Selenzelle. Mein Kopf ist vom Hör-
helm um schloffen, der Schirm drüben liegt im tiefen Dunkel hinter dem
Rahmen aus Intertellurium; wie die Mündung eines ungeheuren Ge-
schützes, rundet sich ihm gegenüber der Krater des Empfängers. Es ist alles
bereit, mir obliegt es nur zu warten. Werden sich die Bilder zeigen, die
ich von jenseits des Sonnensystems, von fernen Ufern des Weltraumes her-
beirufe? Ich bin nicht im mindesten aufgeregt, denn ich glaube, alles getan
zu haben, um den Erfolg zu sichern, und Aufregung ist nur dann und dort
am Platz, wenn und wo die persönliche Leistung noch ungewiß ist. Hier
aber bin ich mit mir selber völlig im Reinen, die Gesetze der Mathematik
und Physik stehen auf meiner Seite, meine Berechnungen stimmen und
schließen jeden Irrtum aus. Aber gespannt bin ich - und gespannt darf ich
sein - ob sich nicht irgend ein blindes Ungefähr, ein blöder Zufall zwischen
mich und den Erfolg einfchieben wird das Unberechenbare, das mit keiner
Logarithmentafel und keiner Formel zu Erjagende. Diese Spannung hält
midi aufrecht nach so vielen Tagen und Nächten der Arbeit, die ich meinem
Werk gegeben habe.

Am 17. M ai.

Die Welt macht mir das Gelingen nicht eben leicht. Die Stadt ist von
einem Aufruhr durchwühlt. Heute nachmittag zogen bewaffnete Haufen

durch die Straße, rote Fahnen flatterten über dem Geschrei, sie find mit
irgend etwas unzufrieden, wollen irgend etwas Umstürzen, toben ihre Wut
aus. Seltsam fremdartig dringt dies in die Stille meines Turmzimmers, wo
ich auf die Sternenbotfchaft warte. Seltsam fremd ist mir dies alles, der
ich seit fahren, während sich die Erde durch Krieg und Irrsinn zerrüttete,
von ihr fort war, auf meinen Flügen durch den Raum von Stern zu Stern.
Überaus nichtig und überflüssig erscheint dies ganze Getöse, diese schrille
mißtömge Melodie der Menschheit dem, der die lautlose Stille des Weltalls
in sich ausgenommen hat, der die saufenden Bahnen der Sonnen nach Licht-
jahren mißt. Ich erinnere mich noch des Abends, an dem mir zum erstenmal
klar wurde, daß irgend welche vernunftbegabte Wesen aus dem Raum her
den Anschluß an die Erde suchen, daß wir gerufen werden, in brüderlicher
Sehnsucht sich uns aus dem Abgrund der Stementiefe eine Hand entgegen-
streckt. Es war eine große Schlacht geschlagen und gewonnen worden, die
Straßen waren laut von summenden Men(chen[chwärmen, sie jubelten über
die schweren Verluste des Feindes. Ich hatte einen Augenblick lang ein un-
sagbar bitteres Gefühl der Schmach, dieser rohen Menschheit anzugehören,
ein Bild durchflog mich, stürzte mir durch das Gehirn, das von Granaten
zerwühlte Schlachtfeld, Leichenhaufen, zerfetzte Glieder, Verschüttete, hal-
ben Leibes Zerquetschte, qualvoll verröchelnd. Es war ein Zusammentreffen
zweier Gefühle von den entgegengesetzten Enden des Möglichen inneren
Erlebens her: diese schmerzliche Scham und diefe Seligkeit, die Signale fer-
ner Welten zu empfangen, des Ungeheueren gewürdigt zu weiden, den

75
Register
Karl Hans Strobl: Sternenbotschaft
Walther Klemm: Eisbrecher
 
Annotationen