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Spate

von will

V!e SßrfMn von Talmont war, wie man weiß, eine der vertrauten Freun-
dinnen der Marie Antoinette, Aus einem alten vornehmen Hause stammend,
statte sie von fugend aus in der tust von Paris und am Hose gelebt, wie
man dort eben lebte, leicht, fröhlich und das Leben genießend mit allen Dr-
ganen, die einem dazu gegeben waren. Mit fünfzehn fahren statte sie ihre
erste Liebschaft, die eine ganz rührende kleine Geschichte war, da es sich nur
um einen gewöhnlichen Ldclmann handelte, den schließlich die Verzweiflung
darüber, daß er das schöne Rind nie zu seiner Frau gewinnen könne, auch
die Drohungen ihrer Familie und die Unmöglichkeit, die er in sich sühlte,
ohne die schöne Viane zu leben, dazu trieb, sich selber zu töten, woraufhin
Diane auch zu sterben beschloß und wirklich ein Zahr lang streng bewacht
werden mußte. Später hielt sie sich besser in der Gewalt und nahm diese
Herzensangelegenheiten, deren sie bald mehr wie genug hatte, nicht mehr
so ernst.

Sie war es, die nach dem gewaltsamen Tode eines ihrer Liebhaber, den
der Rönig hatte beseitigen lassen, weil man ihn einer Verschwörung für
schuldig hielt, am nächsten Tage freundlich und fröhlicher denn je und fast
ausgelassen im Salon der Rönigin erschien, um so offen zu zeigen, daß sie an
jener Verschwörung nicht den geringsten Anteil gehabt habe, wie man ihr
Schuld gab und wie es auch wirklich war. Aber sie schlug durch die Gleich-
gültigkeit, mit der sie den Tod ihres Freundes aufnahm, allen verdacht ge-
schickt nieder und ließ es sogar zweiselhaft erscheinen, ob jener wirklich ihr
Freund gewesen. Denn jeder kannte sie als eine temperamentvolle und leicht
zu Tränen und Gelächter gerührte Dame, der man so viel Beherrschung nicht
zutraute, wie sie damals zeigte. Niemand sreilich wußte, daß sie in der Stille
um so wildere Schmerzen litt und die Nächte durch weinte. Genug, daß sie
vor der Öffentlichkeit standhaft blieb und Nus und Lhrc rettete.

Sie war es auch, die eines Tages der Marquise de Tabris allen Lrnstes
eine Pistolenforderung auf den Hals schickte, und die fähig gewesen wäre,
sich auch wirklich für einen Liebhaber, den dieMarquiseihr ausgespannt hatte,
zu schießen, wenn die Pompadour sich nicht ins Mittel gelegt und veranlaßt
hätte, daß die Sache verboten wurde.

Sie war es ferner, die mit zwanzig Zähren dem Prätendenten von Lng-
land so den Nopf verdrehte, daß er nur mit Gewalt aus Paris und ihrer
Nähe entfernt werden konnte, und daß er sich ln seinem Hause in der Rue
Richelieu verschanzte und mit Nanonen so lange schoß, bis ihm das Pulver
ausging. Als man ihn fing, hatte er auf seinem Herzen ein Bild der Talmont,
auf dem sie mit nichts als einem königlichen Hermelin bekleidet war.

Dies sind drei, vier ihrer Abenteuer, aber eben nur drei, vier von hun-
dert, und nicht alle lassen sich erzählen. Ls genüge zu sagen, daß sie eine der
verliebtesten und geliebtesten und an heimlichen und, wenn es das Unglück
wollte, auch öffentlichen Abenteuern reichsten Damen des Hofes war, und
nicht nur in ihren jungen Zähren, die unter die Regierung Ludwigs des
Fünfzehnten sielen, auch weiterhin und beinahe bis zum Lnde der ganzen
Herrlichkeit, als im Zahre 1792 etwas, was sie bis dahin gar nicht bemerkt
hatte, nämlich das Volk, sich rührte und in ihr Leben eingriff.

Ls muß noch gesagt werden, daß sie mit achtzehn Zähren bereits dem
Fürsten Talmont vermählt wurde, daß aber beide von ihrer Lhe weiter
keinen Gebrauch machten und einander so fremd blieben, daß sie einer den
anderen eigentlich nur bei Gesellschaften und Festen zu Gesicht bekamen. Zn
den ersten Wochen und Monaten, vielleicht auch noch in den ersten Zähren
der Lhe, war es gelegentlich zu versuchen gekommen, einander näher kennen
zu lernen, aber da ihreLhe durchaus einevernunftheirat war,von den Lltern
abgeschlossen, um die beiderseitigen vermögen zusammenzubrlngen, und da
ihnen Rinder versagt blieben, so waren sie bald jeder seine eigenen Wege
gegangen. Der Fürst, ein stiller, und dem Hoftreiben abgeneigter Herr, lebte
meistens auf seinen Besitzungen, die irgendwo in Südsrankreich lagen, oder
stand als Soldat im Felde. Die Fürstin ging ganz in ihrem Leben am Hofe,
in einer lauten sröhlichen Geselligkeit, in ihren Liebschaften, Abenteuern und
Zntriguen aus. Und so waren sie beide alt geworden, das heißt, nicht mehr
weit von den Sechzigern, als sie eines Nachts sich an einem Drt plötzlich nah
und allein und zusammen sahen, wo sie einander zu treffen nie vermutet
hätten, nämlich im Gefängnis.

Der Fürst war kurz zuvor nach Paris geeilt, um seinem Ränige ln den
schwierigen Streitereien mildem plötzlich sich rührendem Volk, das für den

E l e b e

Vesper

guten Fürsten natürlich nur Pöbel war, belzustehen. Da er aus der Provinz
kam und ohnedies keinerlei Ahnung von Politik hatte, merkte er gar nicht,
auf welch gefährlichem Boden er stand, hielt in der Versammlung derNota-
beln, die der Nationalversammlung voraufging, einige unbesonnene und
unehrliche Reden, zog sich dadurch den Zorn des Volkes zu und war einer
der ersten, die eingesperrt wurden, als man mit Lrnst daranging, Frankreich
zu einer Republik zu machen. Aber ich will von den politischen Lreignissen
dieser Zahre nichts weiter sagen. Man kann sie überall nachschlagen und sie,
je nach dem Standpunkt, erfreulich oder nicht erfreulich finden. Genug, eines
Nachts erschienen die Häscher der neuen Zeit in dem Hause des Fürsten, um
in seiner Person, gewissermaßen ein gutes Stück der alten Zeit zu verhaften
und einzusperren. Als sie in seine Zimmer drangen und ihn aus dem Bette
holten, wollte sich der alte Mann zur wehr sehen, aber seine Gemahlin, die
im Nachtgewand aus ihren Gemächern herbeigeeilt war, warf sich ihm in
die Arme, erklärte, er dürfe sein Leben nicht gefährden und sie wolle mit
ihm gehen und werde nicht von ihm weichen. Und da sie hierbei blieb, so
hatten die, die den Fürsten verhafteten, nichts dagegen, nahmen für einen
Aristokraten deren zwei und warfen beide in das gleich dunkle Rcllcrloch,
das dem Fürsten als Gefängnis bestimmt war.

Ls war kein sehr rühmlicher Auszug, den die Häscher des Volkes, ziem-
lich derbe und grobe, aber ganz anständige Gesellen, da mit ihrer Beute
machten, einem alten gebrochenen Mann und ein Wrack von einer Frau,
von der in der Nacht, ohne die verschönenden Rünste ihrer Zofe, nicht viel
übrig geblieben war.

Diese beiden alten Leute also saßen im Gefängnis, nebeneinander auf
einer Holzpritsche und hielten sich, vielleicht zum ersten Male in ihrem
Leben im gleichen Gesühl vereinigt, umschlungen und weinten. Bald aber
faßten sie sich und sahen nun erst einander recht an. Die Fürstin entschul-
digte sich allen Lrnstes bei ihrem Manne, daß sie ohne jede Toilette vor ihm
stehe, und auch er versicherte, daß es ihm in der Lile unmöglich gewesen,
sich besser herzurichten. Dazu bemerkte er still bei sich und mit einem ge-
wissen gerührten Lrstaunen, daß das alte verwelkte Gesicht der Fürstin
dem einer Amme, die er in seiner Zugend gehabt, ähnlich sehe, während die
Fürstin gleichzeitig fcststellte, daß der Fürst ihrem alten Rutscher, dem
Zohann, nicht unähnlich sei. Beide entdeckten unter allen Masken, die sie
ein Leben lang getragen und die ihnen nun ein hartes Schicksal und das
Alter plötzlich herabgerissen, ihre Menschengesichter, und da war es nur
natürlich, daß sie anderen Menschengcsichtern glichen, während sie bis da-
hin einander doch für etwas Besonderes und ganz Linziges gehalten hatten
und gar nicht auf den Gedanken gekommen waren, sich anderen zu ver-
gleichen.

Man weiß, daß das Schicksal der elngespcrrten Aristokraten in jener Zeit
nicht sehr angenehm war. Mein Gott, man hatte wichtigeres zu tun, als
sich um sie viel zu kümmern. Man mußte das Reich der Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit aufrichten. Man mußte die allgemeine Menschenliebe
auf den Thron sehen. Der Aristokraten, die man sür Feinde aller dieser
schönen, neuen Linrichtungen hielt, erinnerte man sich nur, wenn man
ihnen den Prozeß machte oder sie unter die Guillotine führte, um sie aus
einer Welt hinauszubefördern, in die sie wirklich nicht mehr paßten. Zn-
zwischen, während ihr Prozeß lies, der sich bei der Fülle der Geschäfte,
wenigstens ln der ersten Zeit, als man noch die Form wahrte, oft Monate
lang hinzog — später war man kürzer und bündiger — inzwischen also,
überließ man sie irgend einem Henker, der sie mit seinen Rumpanen be-
wachte und der es für ein verdienstliches Werk hielt, ihnen das Leben so
schwer wie möglich zu machen, da er glaubte, daß es bisher allzu rosig ge-
wesen sei. Zn die Hände eines solchen Burschen waren auch der Fürst und
die Fürstin geraten. Lr gab ihnen zum Ruhen nichts, als ein Bund Stroh
und zu essen nichts als Wasser und Brot und als Salz einige Schimpfworte,
Drohungen und geballte Fäuste, wenn sie ihn nicht freundlich genug be-
grüßt oder ihre Zelle nach seiner Meinung nicht sauber und ordentlich genug
gehalten hatten. Zu allem Unglück hatten weder der Fürst noch die Fürstin
in der Lile Geld zu sich stecken können, und so blieb ihnen auch der weg,
auf dem manche der Gefangenen ihre Lage verbesserten, verschlossen.

Durch einen merkwürdigen Zufall war der Fürst dennoch in dem Besitz
eines sehr wertvollen Gegenstandes. Lr war, wie man wissen muß, ein

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Will Vesper: Späte Liebe
 
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