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Sammler von alten schönen Raritäten und Kunstwerken — schon das wird
manchen für ihn einnehmen. Lr besaß aus seinem Schloß eine der kostbar-
sten porzeilansammlungen der damaligen Zeit i sie ist leider im Getriebe der
Revolution später drunter und drüber und verloren gegangen. Lr war
Sammler mit dem Kerzen und nicht nur mit dem Geldbeutel, und so hatte
er selbst in den letzten unruhigen Lagen immer die Augen für diese Dinge
ossen gehalten und gerade am Tage vor seiner Verhaftung, das Glück gehabt,
in dem Laden eines kleinen Antiquars in der Rue vincennes eine große Rost-
barkcit ;u entdecken, nämlich eine gar nicht große, aber sehr zierliche und feine
Meißner Arbeit, die, wie er an dem aufgedruckten Zeichen erkannte, aus den
frühesten Zeiten der Meißener gabrif, also aus dem Beginn der europäischen
porzcllansabrikation überhaupt, und da diese damals allein für den Rur-
sürsten von Sachsen arbeitete, zweifellos aus dessen Besitz stammte Za, was
noch mehr war, der Fürst war so glücklich gewesen, festzustellen, daß cs sich
hier um das Gegenstück zu einer Gruppe handelte, von der er bereits die
eine Hälfte befaß und die nun erst vollständig war. Ls war dies umso er-
freulicher und berauschte ihn fast, weil er wußte, daß dies Werk aus dem
Besitz dcsMarschalls von Sachsen stammte, dem cs sein Vater einst mochte
geschenkt haben. Und also war das Stück für einen Franzosen, der an der

glorreichen alten Zeit hing, von doppeltem und dreifachem wert. Der Anti-
quar, der von all diesem nichts ahnte, nur soviel sah, daß es eine ziemlich
freche, amoureufe Gruppe war, verlangte für das Werk ein ganz hübsches
Sümmchen, das aber dem wahren wert doch so wenig entsprach, daß der
Fürst, nur um den Alten nicht aufmerksam zu machen, pro forma noch ein
wenig heruntcrhandelte und dann das Kleinod sogleich einpackcn und in
einer Brusttasche seines Rockes über seinem Herzen wohlbewahrt verschwin-
den ließ. Als er heimkam, überfiel ihn dort eine solche Fülle von schlimmen
Nachrichten, daß.es selbst ihm geschehen konnte, daß er das Figürchen vergaß
und an seinem Platze ließ. Und dort blieb cs, als er den Rock in der Rächt
in aller Lile wieder anzichen mußte, und dort war es noch jetzt, während
er im Gefängnis faß und überlegte, womit er seinen Kerkermeister wohl be-
stechen könne. Man muß zu seiner Lhre jagen, daß es ihm zwar einen tiefen
Schmerz, aber keinen Kampf koflete, das Kleinod herauszugebcn und cs
dem Manne anzubieten, wenn es nur für feine eigene Person gewesen wäre,
so wäre er lieber gestorben, als sich freiwillig von dem zu trennen, was ihm
mehr als ein Rittergut wert schien, ein Kunstwerk auseinander-ureißen, das
ein seltener Zufall so schön wieder zusammengefügt. Aber das kann nur
ein Sammler begreifen und zwar nur einer von der alten Sorte, nicht von

Der Hamburger Hafen Lrnst Vorn (München)

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Ernst Dorn: Der Hamburger Hafen
 
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