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Einerseits - andrerseits

von Helene Voigt-Dlederlchs

8rau Doktor Braun hatte ein volles Gefühl dafür, daß fle klein, plump
und unansehnlich war trotzdem ging es ihr im Grunde außerordentlich gut.
Sie war verheiratet, liebte ihren Mann und wurde geliebt. Dies letzte war
der Born ihrer freudigen Lrlebniffe, freilich auch ihrer Schmerzen.

Sie wußte es und glaubte es doch niemals ganz, daß der Zahnarzt
Doktor Braun, der neun Zahre jünger war als fie und von hoher sehniger^
Gestalt, sie durchaus nicht ihres Geldes wegen genommen. Sie klammerte
sich an ihre eigenen Vorzüge, war lieb und fürsorglich, schnurrte und
buckelte wie ein Rätzchen — aber das hinderte nicht, daß sie die fabelhaften
Llgenschaften jeder anderen 8rau als Peinigung empfand, wenn sie zugleich
auch ihre eheliche Liebe steigerten. Immer gab es Dinge, auf die man bei
kältester Prüfung keine Antwort fand: warum zum Beispiel hatte Rarl keine
musikalische §rau genommen?

Hin und wieder trieb ihre vorbeugsame Angst sie, diese oder eine ähn-
liche 8rage zu stellen, Zedesmal lautete die Auskunst in gleichem Sinne:
„Line musikalische 8rau? Za, das weiß ich nicht, oder vielmehr, ich weiß
es sehr gut!"

Doktor Braun wußte, daß er seine kleine 8rau mit diesem Nachsatz
erfreute und er erfreute sie gern, gar nicht eingeleint, sondern jedesmal
neu und herzlich, und er küßte sie voller Wohlwollen, wenn es auch fein
körnte, daß ihn. im gleichen Augenblick der Gedanke an eine schwierige
Riesernoperation beschästigte. — Lmma kam nicht auf solchen verdacht,
obg'eich ihr, der bänglich Lrhobenen, jederzeit die wahrhaft geniale Natur
ihres Mannes gegenwärtig war. die es fertig brachte, zwei oder mehr Dinge
zu gleicher Zeit zu betreiben, ja betreiben zu müssen — man bedenke, Leute
von seiner Begabung! Übrigens war es Lmma vom ersten zärtlichen Reim
der eigenen Gejühle an klar gewesen, daß ausnahmslos jedes weibliche
wesen zwischen zehn und siebenzig Zähren dazu verurteilt war, sich in Rarl
zu verlieben. Za. die ganze Welt war im Grunde nichts als eine 8rau, die
ihre Arme öffnete, ihn zu empfangen.

Lmma litt unsäglich, aber man kann nicht sagen, daß sie im groben Sinne
eiserjüchilg war. Lincrseits war sie ihres Mannes viel zu sicher, andrerseits
berauschte sie sich von diesem festen Boden aus an dem Bewußtsein, daß sie
selbjlverständlich die letzte Rrast der Liebe haben würde, einer 8rau, die
seiner würdiger war als sie selber, klaglos das gelb zu räumen, wo auch
immer sie ihr begegnen würde! greüicb, sie vermied es, ihr zu begegnen.
Natürlich hätte es dann kein weiterleben für sie gegeben, selbst wenn ihr
Tod bei der gefühlvollen Art ihres Mannes feine Vereinigung mit der 8rau,
um derctwillen er zum Mörder geworden, unmöglich gemacht hätte. Sie
weinte bei solchen Vorstellungen und liebte nur hingerissener ihren Mann,
den an Leib und Seele unvergleichlich wohlgestalteten, dem die Tächter
des Landes zusielen.

Hartnäckig beschästigte sie sich, auch für den gall eines weniger gewalt-
samen Todes, mit der Sorge für ihren Mann über das eigene Grab hinaus.
Längst hatte sie eine 8rau bestimmt, in Lhren ihre Nachfolgerin zu sein.

D ese war weder schlank noch musikalisch, sondern eine etwas putenhaste
Blondine, ihr seit Rindertagen befreundet, die um diesen Plan wußte und
schwärmerisch zugestimmt hatte — wie sollte sie nicht! Unter gemeinsamen
Tränen hatte Lmma sie unterwiesen in hundert wohltuenden kleinen JUl»
täglichkeiten; hier, aber auch ln wichtigeren Augenblicken, sollte alles in
ihrem, der verstorbenen Sinne weitergefühlt werden.

Um ruhig sterben zu können, brauchte sie vor allem die Gewißheit, daß
er nicht etwa doch der 8rau in die Hände siel, seiner würdiger als sie selbst.
So sehr sie ihm das gönnen mochte, so wenig wäre es für seine Natur das
rechte gewesen — er neigte dazu, sich ausnuhen zu lassen; eine 8rau, die er
liebte, erreichte alles von ihm.

vorläufig jedoch starb Lmma noch nicht, sondern sie lebte und war
äußerst wachsam aus alles, was in ihren Räumen aus und ein ging. Sie
fragte nach den Patientinnen, über die er sich unbefangen aussprach. Sie
verkehrte mit einer großen Anzahl von 8rauen und Mädchen, wenn sie auch
nur zu wohl zu wissen meinte, daß diese nicht um ihretwillen die Freund-
schaft des Hauses suchten. Sie regelte, je nach dem Grade ihrer Zuneigung,
die sich stets nach der allgemeinen Ungesährlichkeit richtete, das Mehr oder
Minder der Begegnungen zwischen dem Betreffenden und ihrem Manne.

Sie hielt ihn sozusagen ais Leckerbiffen in der Hand, man durfteihn berühren,
riechen, schmecken — aber dann, blitzschnell die Hand zurück. Sie war in
Gegenwart der Geschlechtsgenossinnen unsäglich stolz auf seine sanften
sprechenden Augen, seine ausgesuchten Halsbinden, seine uneigennützige
Gesinnung, sein Schachspiel, seine Musik. Sie kehrte das vielerlei seiner
Vollkommenheiten gegen den weiblichen Gast heraus, je nach dessen Lig-
nung. diese oder jene Seite von Rarls Wesen bewundernd aufzunchmen.

Nicht aus Sicherheit spielte sie so. sondern um vor sich selber diese Sicher-
heit zu beweisen. Indessen, zu ihrem eigenen ungläubigen Staunen ging
alles gut. Reine der heimlich fälligen Lntladungen geschah. Die Aufmerk-
samkeit, mit der sie durch Tag und Zahre Lbbe und glut der Gäste regelte,
bewährte sich. Außerhalb des Hauses oder wohltemperierter 8amilienein-
ladungen war Rarl niemals gesellig mit Menschen zusammen. Ging er
allenfalls in den fachwiffenschastlichen Verein, geleitete seine 8rau ihn gern
bis zur Tür und verabredete, daß er nach Schluß der Sitzung sie bei Be-
kannten abhole. Sie hatte ein ganzes listiges System ersonnen, Bescheid zu
wissen über jede Sekunde in ihres Mannes Tageslauf. Zunächst brachte sie ihm
allen Rleinkram des ihren, konnte von hier aus in Harmlosigkeit forschen.
Das ist das, was ich unter Liebe verstehe! sagte sie gern, und sie hatte eine
nützliche Art, kleine feste Sähe mit einem Punkt dahinter auszusprechen.

Aber nun war seit einigen Wochen eine junge Lmpfangsdame im Hause,
die an Leib und Seele dem drohenden 8abelwesen unbarmherzig entsprach.
Sie war schlank und hoch, mit von der Sonne gebräunter Haut und mit
von der Sonne gebleichtem Haar, kam trotz Beruf und Stadtleben jeden
Augenblick sozusagen aus irgendwelchen Wäldern her. „ greier Adels-
mensch!" sagte die kurzgewachsene 8rau Doktor mit einer kleinen ironischen
Nachsicht. 8räulein 8rancke war überall knapp und fest, dachte so wenig an
glirt, daß es geradezu schamlos kokett war. Sie spielte sehr gut Rlavier,
hatte die hinreißende Gabe einer straffen funkelnden Unterhaltung, und
wenn ihre Art auch nicht ganz das war, was Lmma unter 8reundschaft ver-
stand. tat sie doch, was eine kluge 8xau stets in solchem galle tut: sie schloß
sich mit heftigster Zuneigung der jungen Hausgefährtin an.

Das schöne bewunderte Geschöpf verbarg durchaus nicht das heiterste
Wohlgefallen an ihrem Brotherrn, aber auch ohne diese Dffenhelt hätte
Lmma gewußt, daß ihr Schlckjal nach den Zähren tückischer Vorbereitung,
im Begriff war, sich zu erfüllen. Und als sie, in einer vertraulichen Stunde,
gegen ihren Mann die alte halb schmollende 8rage tat: „warum hast du
keine schlanke musikalische 8rau genommen?" da antwortete er: „Gott ja,
es war eben keine da, zum Glück für dich und mich!" Sie lehnte seinen
Ruß ab — o, sie wollte keine Barmherzigkeit, gehörte nicht zu den hilflosen
Geschöpfen, die sich ankiammern, wo sie verachtet werden. „Und wenn nun
diese 8rau plötzlich da wäre?" drängte sie unerbittlich „wenn, wenn!"
sagte er. „Za, das wäre freilich schlimm Da haben wir also wieder mal
Dusel, daß sie nicht da ist!..." „Sie ist da!" lag es Lmma auf der Zunge,
aber noch schob sie diese letzte Auseinandersetzung hinaus.

Nicht aus Bangigkeit, sondern weil sie in dem Gewirr möglicher Todes-
arten sich noch nicht für eine bestimmte entschieden hatte. Sie ermaß die
Tiefe des steinernen Hofes, tat ein paar tiefe Atemzüge über dem gelockerten
Gashahn, stand auf der Hasenbrücke und forschte zwischen purpurnen
(Quallen nach dem fernen grünen Sandgrund.

Diese geheime Tätigkeit hinderte sie durchaus nicht, dem freien Adels-
menschen hundert feine 8reundlichkeiten zuteil werden zu lassen. Sie stieg
abends ln die Mansarde hinauf, klopste schüchtern, brachte ein Tellerchen mit
Dbst, e:n Buch oder auch die Bitte, herunterzukommen; ihr Mann freue sich,
wenn jemand ihm etwas spiele. Manchmal huschte Lmma nach Schluß der
Sprechstunde unvermutet in den ärztlichen 8lur hinüber; nach einem kleinen
Zögern oder Umblicken faßte sie sich rasch, traf irgendwelche Verabredung
oder hals beim putzen der Instrumente, damit das 8räuleln schneller gder«
abend habe. — Inmitten dieses trügerischen Ruhezustandes geschah etwas
Unerhörtes. Rarl teilte seiner 8rau mit, daß er eine Reise vorhabe, verkün-
dete einwandsrei Zweck und Ziel; in höchstens acht Tagen würde er zurück
sein. Ls wäre für Lmma fast eine Lrleichterung gewesen, ihn eine volle Woche
aus der Nähe der schönen Schicksalsträgerin zu wissen, wenn nicht sofort
das Mißtrauen gebohrt hätte: warum forderte er sie nicht auf, mitzukommen ?

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