Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Rucksack, da ist es wohl mehr ein Ausflug als eine Reise, was Sie
Vorhaben. Dann allerdings, aber Sie tun ganz recht. So ln aller Unge-
bundenheit ..."

Als Srau'dn Francke gegangen war, weinte Lmma heutig, saß nachher
lange, das Rmsbuch >m Schoß, mast mit 8ingern und Augen. Die letzte
Rachricht ihres Mannes war vom Rhein gekommen, zwischen hier und
dort gab es den großen Wald, in den er sie selber als Braut geführt —
in diesem ihrem eigenen Glückselig'eitswald würden nun er und Sräulein
8rancke sich begemen. — Lmma nahm das Rursbuch, stieg mit kleinen
verwirrten Schritten die Treppe hinauf.

Sie klopfte an die Tür. „v eileicht, wenn ich Sie aufmerksam machen
darf, es ist ein neuer 8ahrplan ausgegeben - Sie könnten Unannehm-
lichkeiten haben. . . ."

Sräulein 8rancke hielt inne mit dem Zusammenräumen des Abend-
gefchirrs. „Wie gut Sie sind, vielen
Dank! Aber ich habe mich schon er-
kundigt — wollen Sie nicht, bitte,

Platz nehmen?"

Ermunternd rückte sie den Rorb«
sessel. „Das schöne Blau!" Lmma
lieh sich nieder, betrachtete abwesend
das Leinenkleid, das an der wand
hing.

„Za, blau. Lnzianblau Mein
Mann hatte mich auch immer so gern
darin!..

Sie schluckte, brach in ergebene
Tränen aus.

„Aber, beste 8rau Doktor, was
ist Ahnen? Sie sind zuviel allein ge-
wesen, das dürfen Sie nicht machen!"

„Za, das heißt, nein ... es ist
schon wieder gut — lassen Sie sich
nicht durch mich in Ahrer Sreude
stören!" ... Und nun sprach sie eilig
von ganz entfernten Dingen, ließ sich
erklären, was an der Lampe zu ma-
chen sei, denn Verantwortungen, die
sie einmal übernehme ... übrigens
fei es ihr Unglück, überall mitzu-
können, in jedem Gefühl eines ande-
ren zu leben, ein Genie der Sreund-
fchast habe sie einmal einer genannt..

Sie schwankte, machte emen An-
satz, dem jungen Mädchen, das ihr Baldrian ln ein Glas tröpfelte das
Du anzubieten; in diesem Augenblick läutete es draußen auf dem Vor-
platz. 8räulein Srancke schlüpste hinaus, ließ die Tür hinter sich offen.
„Lin Eilbrief!" klang eine Männerstimme. Lmma Härte das Zerreißen
eines Umschlages, eine sekundenlange Stille, dann kam 8räulein 8rancke
wieder herein, schimmernden Antl hes jedoch deutlich gewillt beherrscht
zu erscheinen, die Hand mit dem Bnes in der Tasche der Rittelschürze.

„Eben erfahre ich, daß ich schon mit dem Nachtzug reisen kann. Wenn ich
Ahnen, liebe 8rau Doktor, noch heut Abend die Schlüssel geben könnte, viel-
leicht nachher in den Briefkasten werfen?"

„Aber gewiß, von Herzen gern!" Lmma stand auf, spürte immer lasten-
der die krampjhaste Unbefangenheit der anderen, hielt ihr die starre Hand
zum Abschied hin.

Sie stieg in ihre Wohnung hinab. 8urchtbar war es, daß selbst die Kälte
des Betruges noch zur Bewunderung zwang.

Sie legte sich keineswegs schlafen; es war eine Wohltat, als ihr die
Rechnungen zum Monatsersten einfielen. Sie saß an ihres Mannes Platz,
zählte zusammen, schrieb und ve g ich gepeinigt von dem Hin und Her der
reifefertigen Schritte über ihrem Ropf Wenn sie einen Gasschlauch hätte,
lang genug, daß man sie fände, hier an seinem Tisch, treu bis in den Tod.

Punkt zwölf Uhr ward es still über ihr leichte 8üße schnalzten aus den
Steinstufen, der Schlüssel klirrte in den Briefkasten. Lhe noch die Haus-
tür klang, hatte Lmma die Lampe ausgedreht, lüstete den Vorhang, sah
die freudig biegsame Gestalt in das Licht der Laterne treten.

Nichts lebte mehr in Lmmas Herzen als der Schlüssel draußen im Brief-
kasten. Nein, gewiß, sie handelte durchaus anständig. Da war keine Rede
von Nachschnüffelei. Sie hatte den 8ahrplan oben liegen lassen, brauchte
ihn notwendig. Ls diente ihr einfach zur Beruhigung, den Zug zu wissen,
mit dem nach drei Tagen ihr Mann vermutlich ankommen würde.

Line halbe Minute später stand sie oben in 8räuie!n Sranckes Zimmer.
Hier, die grüne Vase, — o, sie hatte beobachtet, manchesmal.

Sie griff ln das Gefäß, öffnete schnell und sicher den Schreibtisch.
Sofort leuchtete ihr der Brief mit den vielen Marken, dem roten Lil-
zettel entgegen.

Die Aufschrift zeigte eine fremde Hand — soweit war die verruchte
Vorsicht schon gediehen. Sie griff zu, stockte, lächelte, den Vertrauens-
bruch zu rechtfertigen, ein herzzereißendes Lächeln, entfaltete das Papier,
fing zu lesen an. — „Geliebte, heut, wo ich Dein Wort habe, ist mir jede

Stunde bis zum Wiedersehen zu
lang. Wenn Du Mittwoch Nacht noch
fahren könntest — sechs volle Stun-
den hätten wir gewonnen. Übrigens,
Dein Zahnarzt, der könnte wohl ein-
mal einen halben Tag ohne Dich an-
fangen. Rannst Du das nicht noch
einleiten?"

Ls stand ein Name darunter, ein
fremdes belangloses Wort. Schulze
vielleicht oder Meyer. Sekunden-
lang erfüllte der Blitz des Glückes
die kleine 8rau. AHr Mann, ihr
Gott, ihr Geliebter — sie behielt
ihn. war sein, mußte nicht in den
8luß, auf die Schienen, in den Hof
hinab. Nichts veränderte sich. Ver-
änderungen sind schrecklich ...

Das wunderschöne sieghafte Mäd-
chen. Da war sie nun wieder, nah
ihrem Herzen. Bewunderung, neue
Liebe brausten ihr nach. Was konnte
man für sie tun? —

Plötzlich stutzte Lmma.

Ltwas war, das weh tat, mitten
in der Lrlöfung neu verwundete.
Dieser fremde Dtto Schulze. Wie-
so der — bildete er sich vielleicht
ein, daß er klüger, schöner, in grei*
heit herrlicher war als ihr Mann.
Dder bildete gräulefn 8rancke sich das etwa ein? — Sie war frei und
rassig genug, man hätte sie auch für klüger halten müssen. Gott ja, im
Grunde erlebt man nichts als Lnttäuschungen an den Menschen.

Nicht, als ob nun nicht alles gut fei. Aber es war doch wohl mehr
als unmöglich, daß man in irgend einer 8orm Herrn Dtto Schulze vor-
ziehen konnte.

Die große Wiedergeburt war vorüber. Der kleine Jammer blieb. Übri-
gens. Lmma war eine anständige 8rau, beging keinerlei Heimlichkeiten,
erinnerte sich durchaus, daß sie des 8ahrplanes wegen heraufgekommen
war. Sie blätterte in dem gelben Buch, gab sich mit der Ankunstzeit eines
beliebigen Zuges leicht zufrieden.

Sie schloß den Schubkasten, nachdem sie sorgfältig den rotbeklebten
Brief so aus das blaue Heft zurückgelegt, wie er vor ihrem inneren Auge
mit einem kleinen vertrockneten Lntjehen immer noch lag.

Und bis zur Rückkehr ihres Mannes liegen blieb Herr Dtto Schulze,
selbstverständlich und Gott sei Dank. Aber dies äußerlich Geschmackvolle
des Mädchens war im Grunde doch bloß Getue.

Und dannwandten sich Lmmas Gedanken. Die Lmpfangsdame gräulein
Stande hatte bei ihr in Leid und Sreuden ausgelebt Sie hatte kein anderes
Gefühl mehr, als Zärtlichkeit sür den Erwarteten, dem man ohne sein
Ahnen, ohne daß er sich im mindesten auch nur verteidigen konnte, eine
so schwere Niederlage bereitet hatte.

Linerseits mögen sie ja was haben, aber in Wahrheit geistig begabt sind
sie nicht im allergeringsten, diese freien Adelsmenjchen.

6
Register
Joseph August (Sepp) Frank: Harfner
 
Annotationen