Häuser am Markt Walther Buhe
Oie letzte
von fall
Kldngcbrucft, zwischen einer Ankündigung von yes-puder und
dem Aviso, daß der Meisterpianift Leopold! von der Zentralbar in das
erstklassige Ltablissement der Mizzi giala übersiedelt ist:
„Unter einem Hausflur der Rotenturmstraße erschoß sich gestern
gegen sechs Uhr abends der sünszehnjährige Mechanikerlehrling Andreas
wichtl. Zn der Tasche des jugendlichen Selbstmörders wurde lediglich
ein Zettel mit den rätselhaften Worten: Holland ist an allem schuld"
gesunden. Vie polizeilichen Lrhebungen sind eingeleitet."
Die polizeilichen Lrhebungen ergaben eine Rindergeschichte, die zu
uninteressant ist, als daß man ihretwegen die Zeitungen behelligt und
das Znterejse der Öffentlichkeit von yes-puder und Meisterpianisten ab-
gelenkt hätte. Der jugendliche Selbstmörder wurde auf dem Ottakrin-
ger 8r!edhof begraben, der Lehrherr des Andreas wicht! sah sich nach
einem andern jungen um, und die auf den Kamen wichtl lautende Rarte
der Amerikanijchen Ausspeiseaktion wurde ordnungsgemäß eingezogcn.
Als der Selbstmörder vom Schachtgrab Kr. 2476 dreizehn Zahre
vier Monate alt war, fuhr er auf einem kleinen, nach Dl, Ruß und
8ischen duftenden Dampfer die letzte Strecke Wegs zu seinen Pflege*
eitern in Holland. Lr hatte das große los gezogen; vor acht Tagen
brachte der Briefträger eine vorgedruckte Karte, mit der Andreas Wichtl,
Bürgerschüler in Wien XVII., für den nächsten Samstag nach Holland
abgehenden Rinderzug angefordert wurde.
Hier auf dem Schiff präsentierte sich Andreas wichtl in Hosen aus
schlechtem, aber neuem Zeugstoff und schwarzen Baumwollstrümpfen,
deren einer schon ein loch hatte, und dabei sollten sie vier Monate lang
feine Sonntagsstrümpse sein. An den sechs Wochentagen taten es wohl
auch in Holland die blauen, die Mutter aus der wolle eines aufge-
Rettung
ffiatUaun
trennten alten Umhängtuches gestrickt hatte — Mutter, die nun weit
und unerreichbar war. Der Knabe auf dem Schiff überlegte mit einer
seine schmale Brust fast sprengenden Glücksempfindung wie weit Mutter
zu dieser Stunde nun schon war. Kicht, daß er die kleine, immer sor-
gende, immer scheltende 8rau nicht geliebt hätte; nein: er faltete hier
auf dem Schiff die in die neue Zeughose verborgenen Hände fest zu-
sammen, und dies galt nun Mutter, und dem Vater galt es, und dem
alten lahmen 8oxl Theodor daheim im Hof unter den Bohnenstauden
galt fein inniges Händefalten, das fein frömmstes, wortloses Gebet war
und das hier niemand sehen durfte.
Aber er wünschte sich nicht zurück, nein, das tat er nicht. Lr stand
ganz vorn in der prallen Sommerhitze auf dem qualmenden Verdeck.
Schief verfprelzt die dünnen, etwas krummen Rnabenbeine, stand er
ohne Hut und sah hinunter in die weiß schäumende Bugwelle, und er
sah die flachen Moorinseln still vorübergleiten, der 8ächer grüner
Meereswellen faltete sich breiter und weithin nach allen Seiten aus.
So viel Luft war hier, daß man sie mit einer schmalen Dttakrlngcr
Knabenbrust wahrhaftig nicht bewältigen konnte, wie ein Rausch kam
cs zuweilen über den Andreas wichtl auswienXVIl. Line smaragdene
wand, von der er ein Leben lang träumen würde, stieg das offene Meer
in den weißgrauen, flirrenden Dunst des Zulihimmels.
Ls war seine erste Reise, und es war eine weite Reise, wenn man
seine dreizehn sfahre und dies bedenkt, daß alle seine bisherigen 8ahrten
und Reisen nie weiter als auf den Dttakringer 8lohberg und an einem
unvergessenen Sonntag allerdings auch zur Bieglerhütte in den Wäl-
dern von Hütteldorf geführt hatten. Vater und Mutter waren arm, den
Krieg hatten sie nicht gewonnen. „Redliche, fleißige Leute," hatte der
Oberlehrer selbst zu der Dame von der holländischen Hilfsmisfion, die
8
Oie letzte
von fall
Kldngcbrucft, zwischen einer Ankündigung von yes-puder und
dem Aviso, daß der Meisterpianift Leopold! von der Zentralbar in das
erstklassige Ltablissement der Mizzi giala übersiedelt ist:
„Unter einem Hausflur der Rotenturmstraße erschoß sich gestern
gegen sechs Uhr abends der sünszehnjährige Mechanikerlehrling Andreas
wichtl. Zn der Tasche des jugendlichen Selbstmörders wurde lediglich
ein Zettel mit den rätselhaften Worten: Holland ist an allem schuld"
gesunden. Vie polizeilichen Lrhebungen sind eingeleitet."
Die polizeilichen Lrhebungen ergaben eine Rindergeschichte, die zu
uninteressant ist, als daß man ihretwegen die Zeitungen behelligt und
das Znterejse der Öffentlichkeit von yes-puder und Meisterpianisten ab-
gelenkt hätte. Der jugendliche Selbstmörder wurde auf dem Ottakrin-
ger 8r!edhof begraben, der Lehrherr des Andreas wicht! sah sich nach
einem andern jungen um, und die auf den Kamen wichtl lautende Rarte
der Amerikanijchen Ausspeiseaktion wurde ordnungsgemäß eingezogcn.
Als der Selbstmörder vom Schachtgrab Kr. 2476 dreizehn Zahre
vier Monate alt war, fuhr er auf einem kleinen, nach Dl, Ruß und
8ischen duftenden Dampfer die letzte Strecke Wegs zu seinen Pflege*
eitern in Holland. Lr hatte das große los gezogen; vor acht Tagen
brachte der Briefträger eine vorgedruckte Karte, mit der Andreas Wichtl,
Bürgerschüler in Wien XVII., für den nächsten Samstag nach Holland
abgehenden Rinderzug angefordert wurde.
Hier auf dem Schiff präsentierte sich Andreas wichtl in Hosen aus
schlechtem, aber neuem Zeugstoff und schwarzen Baumwollstrümpfen,
deren einer schon ein loch hatte, und dabei sollten sie vier Monate lang
feine Sonntagsstrümpse sein. An den sechs Wochentagen taten es wohl
auch in Holland die blauen, die Mutter aus der wolle eines aufge-
Rettung
ffiatUaun
trennten alten Umhängtuches gestrickt hatte — Mutter, die nun weit
und unerreichbar war. Der Knabe auf dem Schiff überlegte mit einer
seine schmale Brust fast sprengenden Glücksempfindung wie weit Mutter
zu dieser Stunde nun schon war. Kicht, daß er die kleine, immer sor-
gende, immer scheltende 8rau nicht geliebt hätte; nein: er faltete hier
auf dem Schiff die in die neue Zeughose verborgenen Hände fest zu-
sammen, und dies galt nun Mutter, und dem Vater galt es, und dem
alten lahmen 8oxl Theodor daheim im Hof unter den Bohnenstauden
galt fein inniges Händefalten, das fein frömmstes, wortloses Gebet war
und das hier niemand sehen durfte.
Aber er wünschte sich nicht zurück, nein, das tat er nicht. Lr stand
ganz vorn in der prallen Sommerhitze auf dem qualmenden Verdeck.
Schief verfprelzt die dünnen, etwas krummen Rnabenbeine, stand er
ohne Hut und sah hinunter in die weiß schäumende Bugwelle, und er
sah die flachen Moorinseln still vorübergleiten, der 8ächer grüner
Meereswellen faltete sich breiter und weithin nach allen Seiten aus.
So viel Luft war hier, daß man sie mit einer schmalen Dttakrlngcr
Knabenbrust wahrhaftig nicht bewältigen konnte, wie ein Rausch kam
cs zuweilen über den Andreas wichtl auswienXVIl. Line smaragdene
wand, von der er ein Leben lang träumen würde, stieg das offene Meer
in den weißgrauen, flirrenden Dunst des Zulihimmels.
Ls war seine erste Reise, und es war eine weite Reise, wenn man
seine dreizehn sfahre und dies bedenkt, daß alle seine bisherigen 8ahrten
und Reisen nie weiter als auf den Dttakringer 8lohberg und an einem
unvergessenen Sonntag allerdings auch zur Bieglerhütte in den Wäl-
dern von Hütteldorf geführt hatten. Vater und Mutter waren arm, den
Krieg hatten sie nicht gewonnen. „Redliche, fleißige Leute," hatte der
Oberlehrer selbst zu der Dame von der holländischen Hilfsmisfion, die
8