Galizische Vorfstraße
8 rih Nühlbrecht
Ungeschickte kleine Münder verlangten nach Rüssen, dünne Ärmchen
wollten umfassen.
Wie lieblich war dies alles!
Oie Rinder zogen sie dem Hause zu, auf dessen Terrasse viele Helle
Kleiber sanft in dem Abendlicht leuchteten Ooit die hohe, stille Gestalt
des Vaters mit seinem grauen volldart. Db die Mutter nun aus ihrer
steinernen Rammer lauschte? Seelenaugen ausschlug unter dem schweren
Marmorstein unter der immerglühenden kleinen Ampel, die heute am
frühen Morgen noch ihren, Anitas, Scheitel bestrahlt, als sie betend dort
gekniet? Und nun kam er ihr entgegen, dessen Namen sie nun trug, leb-
haft, besorgt, schön, dunkel, von südlicher Sonne braun, dessen Nähe
ihr allezeit wie ein schwerer, betäubender Wem durch alle Sinne drang,
daß sie nichts mehr dachte, solange er bei ihr war, und der ihr so tiefe
Unruhe hinterließ, wenn er von ihr ging? Oec immer wie von einem
Hauch schöner 8rauen umweht schien, die er wohl zuvor geliebt und von
denen sie nichts wußte und die er nun alle verließ um ihretwillen? 8ür
immer?
Nun lag ihr bloßer Arm in dem seinen, nun schwirrten die vielen
Stimmen um sie, nun hoben die Musikanten ihre giebeln und schritten,
der Rinderschwarm voraus, in den Garten hinab, die kiesbestreuten
Stusen zum Rasenplatz hinab, aus dem die Tafel leuchtete. Schön war
das Leben. Buntjarbig über dunkler Tiese Linst so still und hell bis auf
den Grund, em durchleuchtetes Gewässer. Und nun so anders. Und die
Nacht so nah, und das Alleinsein mit ihm. wirklich allein mit ihm?
Dder war da nicht noch etwas Anderes. Dunkles, Wesenhaftes, das sie
nicht erkannte — und das wartete — woraus?
Oie Rosenketten des Himmels erloschen langsam und ließen diese
Gartenwelt sanft herniedersinken in das aufsteigendevunkel Oie Sterne
begannen aus der östlichen Himmelshälfte zu blitzen, während über dem
Westen noch der gemach abzichende Lichtschleier des Tages hing Oie
Vögel verstummten, nur die Grillen wurden jetzt noch lauter. Man hörte
sie, wenn die Geigen- und Gitarrenmusik schwieg und wenn das Stim-
mengewirr ebbte. Ab und zu lprach ein einzelner von den Gästen, man
hörte zwijchen Lrnst und Lachen zu. Leise wogen der Rührung stiegen
auf und vergingen wieder. Zuweilen stieg es einem ein wenig in die
Rehle, wie Tränen. Aber immer mehr und seltsam — nein, furchtbar, er-
stickend wuchs eine Ungeduld und Unruhe aus der Tiefe des Znnersten.
Oie. Hände wollten sich nicht zu den Speisen erheben, nicht nach dem
Glase greifen, die Lippen weigerten sich zu trinken und nippten nur zum
Schein am Rand. Oie Rinder brachen auf in ihre Schlummernester.
Hätte man mit ihnen gehen können, alle um sich her betten, ein n blü-
henden, lebendigen Schuh! Zu ihnen sprachen die Stimmen des Znnern,
ganz frei und leicht, spielerisch^ vertraut; aber nicht, nicht zu ihm. Dder
würden erst andere Stimmen noch wach werden, die sich ihm anver-
Irauen würden — heißere Stimmen, aus diesem Blut hervor, die bis-
her noch zu keinem geredet? wie funkelte der Himmel.
war er, der neben ihr faß und dem sie nun gehoite, nicht einer von
denen, die zu lieben verstehen? waren die Blicke seiner großen schwarzen
Augen nicht Rüsse? Strahlten sie nicht mit dem geöffneten, gelassen-
heißen Glanz des Südens? war nicht dieses göttlich-selbstverständliche
Nehmen und Besihergreifen darin, dagegen es kein wehren gab? Und
seine Lippen, seine Rüsse selber, trotz aller Glut so rätselhaft kühl, — nicht
kühl, aber so ihrer Macht sicher, ihrer selbst froh, — o fie zu fühlen, sie
zu trinken war wie eine furchtbar-süße Vergewaltigung über sich er-
gehen zu lassen, das Zarteste, Znnerste zum Dpfer zu geben, zitternd,
glühend, lachend und weinend, — ja unglücklich, tief, tief unglücklich
wollte sie werden, wenn es nicht anders sein konnte, aber diesen Reich
aus Süße und Bitterkeit nicht von den Lippen stoßen. Zn geheimste
Winkel ihres Seins würde das Heimische, vertraute, Schwesterliche sich
flüchten, sie würde e; ganz nur für sich haben, es im stillen hervor-
holen, liebkosen, trösten, — und wieder verstoßen, vergessen, verraten
um dieses Lrobernden, Überwältigenden willen, dem sie bebendes
zartes Gefäß fein wollte, in das es sich blutrot wie wein ergoß, bis an
den Rand.
Lr sprach lebendig, wie trunken, obwohl er kaum an seinem Wein-
glas nippte, er zog alle Geister an sich, auch die derer, die dem jeinigen
im Grunde weit überlegen waren; es war etwas unmittelbar Berüh-
rendes in seiner Stimme, sie schien duichblutct, sic paßte so seltsam zu
91
y
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Ungeschickte kleine Münder verlangten nach Rüssen, dünne Ärmchen
wollten umfassen.
Wie lieblich war dies alles!
Oie Rinder zogen sie dem Hause zu, auf dessen Terrasse viele Helle
Kleiber sanft in dem Abendlicht leuchteten Ooit die hohe, stille Gestalt
des Vaters mit seinem grauen volldart. Db die Mutter nun aus ihrer
steinernen Rammer lauschte? Seelenaugen ausschlug unter dem schweren
Marmorstein unter der immerglühenden kleinen Ampel, die heute am
frühen Morgen noch ihren, Anitas, Scheitel bestrahlt, als sie betend dort
gekniet? Und nun kam er ihr entgegen, dessen Namen sie nun trug, leb-
haft, besorgt, schön, dunkel, von südlicher Sonne braun, dessen Nähe
ihr allezeit wie ein schwerer, betäubender Wem durch alle Sinne drang,
daß sie nichts mehr dachte, solange er bei ihr war, und der ihr so tiefe
Unruhe hinterließ, wenn er von ihr ging? Oec immer wie von einem
Hauch schöner 8rauen umweht schien, die er wohl zuvor geliebt und von
denen sie nichts wußte und die er nun alle verließ um ihretwillen? 8ür
immer?
Nun lag ihr bloßer Arm in dem seinen, nun schwirrten die vielen
Stimmen um sie, nun hoben die Musikanten ihre giebeln und schritten,
der Rinderschwarm voraus, in den Garten hinab, die kiesbestreuten
Stusen zum Rasenplatz hinab, aus dem die Tafel leuchtete. Schön war
das Leben. Buntjarbig über dunkler Tiese Linst so still und hell bis auf
den Grund, em durchleuchtetes Gewässer. Und nun so anders. Und die
Nacht so nah, und das Alleinsein mit ihm. wirklich allein mit ihm?
Dder war da nicht noch etwas Anderes. Dunkles, Wesenhaftes, das sie
nicht erkannte — und das wartete — woraus?
Oie Rosenketten des Himmels erloschen langsam und ließen diese
Gartenwelt sanft herniedersinken in das aufsteigendevunkel Oie Sterne
begannen aus der östlichen Himmelshälfte zu blitzen, während über dem
Westen noch der gemach abzichende Lichtschleier des Tages hing Oie
Vögel verstummten, nur die Grillen wurden jetzt noch lauter. Man hörte
sie, wenn die Geigen- und Gitarrenmusik schwieg und wenn das Stim-
mengewirr ebbte. Ab und zu lprach ein einzelner von den Gästen, man
hörte zwijchen Lrnst und Lachen zu. Leise wogen der Rührung stiegen
auf und vergingen wieder. Zuweilen stieg es einem ein wenig in die
Rehle, wie Tränen. Aber immer mehr und seltsam — nein, furchtbar, er-
stickend wuchs eine Ungeduld und Unruhe aus der Tiefe des Znnersten.
Oie. Hände wollten sich nicht zu den Speisen erheben, nicht nach dem
Glase greifen, die Lippen weigerten sich zu trinken und nippten nur zum
Schein am Rand. Oie Rinder brachen auf in ihre Schlummernester.
Hätte man mit ihnen gehen können, alle um sich her betten, ein n blü-
henden, lebendigen Schuh! Zu ihnen sprachen die Stimmen des Znnern,
ganz frei und leicht, spielerisch^ vertraut; aber nicht, nicht zu ihm. Dder
würden erst andere Stimmen noch wach werden, die sich ihm anver-
Irauen würden — heißere Stimmen, aus diesem Blut hervor, die bis-
her noch zu keinem geredet? wie funkelte der Himmel.
war er, der neben ihr faß und dem sie nun gehoite, nicht einer von
denen, die zu lieben verstehen? waren die Blicke seiner großen schwarzen
Augen nicht Rüsse? Strahlten sie nicht mit dem geöffneten, gelassen-
heißen Glanz des Südens? war nicht dieses göttlich-selbstverständliche
Nehmen und Besihergreifen darin, dagegen es kein wehren gab? Und
seine Lippen, seine Rüsse selber, trotz aller Glut so rätselhaft kühl, — nicht
kühl, aber so ihrer Macht sicher, ihrer selbst froh, — o fie zu fühlen, sie
zu trinken war wie eine furchtbar-süße Vergewaltigung über sich er-
gehen zu lassen, das Zarteste, Znnerste zum Dpfer zu geben, zitternd,
glühend, lachend und weinend, — ja unglücklich, tief, tief unglücklich
wollte sie werden, wenn es nicht anders sein konnte, aber diesen Reich
aus Süße und Bitterkeit nicht von den Lippen stoßen. Zn geheimste
Winkel ihres Seins würde das Heimische, vertraute, Schwesterliche sich
flüchten, sie würde e; ganz nur für sich haben, es im stillen hervor-
holen, liebkosen, trösten, — und wieder verstoßen, vergessen, verraten
um dieses Lrobernden, Überwältigenden willen, dem sie bebendes
zartes Gefäß fein wollte, in das es sich blutrot wie wein ergoß, bis an
den Rand.
Lr sprach lebendig, wie trunken, obwohl er kaum an seinem Wein-
glas nippte, er zog alle Geister an sich, auch die derer, die dem jeinigen
im Grunde weit überlegen waren; es war etwas unmittelbar Berüh-
rendes in seiner Stimme, sie schien duichblutct, sic paßte so seltsam zu
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