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meinen Augen jede Bewegung des rafchelnden Feldes, alle Dunkelheiten der
Wiefenbüfhe, ich blickte ins Weite, nach der Landßraße hinüber, nach der
Fähre, nach dem Flusse hin. Nichts! Ich war allein! —

Schließlich blieben meine Augen an den schönen Formen einer mächtigen
Baumgruppe hängen, die im Westen sest geschlossen und fchwarz vor dem
überglühten Abendhimmel stand. Ich wußte, daß dort von den mächtigen
Bäumen beschützt und gekennzeichnet ein von breitem Graben umgebenes
Herrenhaus lag, ein altes vornehmes Wasserschloß von bizarren Formen, das
ich schon ost durch den alten Park hindurch mit Interesse betrachtet hatte.

Und da es mich trieb zu handeln, machte ich mich auf und ging dem alten
Schloß entgegen. - Was sollte ich sonst tun? - Wie ich so dahintrottete, über-
fiel mich bald die Unruhe von neuem, und eine drängende Stimme wurde in
mir laut, die mich bereden wollte umzukehren. —

Aber es muß ja wohl so sein, daß man alles auskosten muß, Gutes und
Böses, daß man jedes Glück und jede hust irgendwie und irgendwann einmal
büßen muß.

Bald ging ich unter den hohen Bäumen der Allee dahin, die von der Länd-
er aße im rechten Winkel abbiegt und in schnurgeraden Fronten auf das mäch-

tige Parktor hinführt. Das Tor war heute weit geöffnet, und ich wäre wohl
in meinem dunklen Drange hindurch und über die Brücke dahinter gegangen
und immer weiter bis an die Stufen des alten Hauses und hätte geklopft und
Einlaß begehrt, ohne dann zu wissen, was ich einem öffnenden hätte sagen
sollen. Jedenfalls hätte ich das getan, wenn mich nicht auf einmal das Bauschen
eines schnellen Wagens hätte aufhorchen lassen. Mein Herz zuckte, und ich
mußte mich an einen der riesigen Bäume lehnen. Da brach aus dem Park-
tor ein elegantes, mit zwei jungen Rappen bespanntes Gefährt. Meine Augen
fuhren von den Pferdeköpfen die ßlberbephlagenen Züge! entlang und (ließen
auf zwei kleine, feste Hände in grauen Lederhandfchuhen.

Gott, das war Bell, die da fuhr! Und faß da nicht ein junger, lachender
Herr neben ihr!

Doch ehe ich noch recht begriff und w:e in einem grellen Blitzstrahl wie
entblößt dastand, fuhr ein kurzer, hoher Schrei, zum Bersten angefüllt mit
Unwillen und Wut über mich hin, und zischend schnitt mir die Peitsche durch’s
Gesteht, so daß ich die verwundeten Augen erst wieder öffnen konnte, als
der gelbe, hochgebaute Wagen weit hinten in scharfer Wendung aus der
Allee in die Bandstraße einbog.

EIN DICHTER SPRICHT:

Ich bin ins Leben gestellt

Wie ein Baum in Gestein
Hoch über der Welt.

So bang ist kein ander Allein.

£s gehen wohl um mich her

Menschen und sagen mir „du”,

Aber ihr Reden ist leer

Und verstört nur die Ruh!

Dürste ich sein, das ich bin,

Masken gibts doch genug.

Lächelnd gäb' ich mich hin:

Trinkt mich wie schäumenden Krug!

Quelle bin ich so sehr.

Sprudelnd aus urtiefem Grund,

Strom und wie flutendes Meer,

Spiegelnd die Welt und das Himmelsrund.

HEDWIG ERNST
*

KLEINE MÜNZE

Jedes Talent hat fein Kanossa. Es darf nur nicht unter
dem Bußhemd den Kaiser vergessen. -
Leid ist das veredelnde Pfropfreis auf dem wilden
Rofenstrauche der Leidenschaften.

Im Leben tatkräftiger Geifter sind die ungenützten
Augenblicke der Tribut, den sie dem Nichts ent-
richten: die fehlgenützten die Luxussteuer, der
eigenen Erkenntnis auferlegt. s. W. FISCHER

ZEIT UND EWIGKEIT

Du mußt dich selber vergessen,

Dann hast du die Ewigkeit;

Du mußt mit dir selber nicht messen,

Sonst bist du der Knecht der Zeit.

Sei nicht der Punkt in der Mitte,

Sonst wird vor dem Kreise dir bang;

Geh' mit gelassenem Schritte

Den Bogen des Kreises entlang.

Du stehst bei gesegnetem Wandern
Aus Enge und Erdentand

In der Mitte den großen Andern,

Die Ewigkeit in der Hand.

KARL BERNER

DER SONDERBA

„Ich habe ihn schon als Fähnrich gekannt,” sagte der Oberst nachdenklich.
„Ein bescheidener junger Mann. Beste Manieren. Nur ein wenig zu still und
reserviert im kameradschaftlichen Verkehr. Man hielt ihn für stolz, noch da-
zu, weil die Brassenheims zum ältesten Adel gehören. Er war es aber nicht.
Anima candida viel eher. Daraus werden dann oft die tüchtigsten Kerle. Oder
Sonderlinge!”

„Also damals stng die Geschichte schon an?" fragte der Amtsrichter begierig,
und seine runden Augen weiteten steh. Der Oberst musterte ihn; knurrte:
„Ja, die Herren mit dem .psychologischen Interesse' - die wollen immer bis
ins letzte sondieren. Erbliche Belastung! Dementia praecox vielleicht? Aber
juristisch läßt der Fall alles zu wünschen übrig, obgleich er ja vor Gericht aus-
getragen werden soll."

„Also doch!” Der Amtsrichter und der kleine Assessor riefen es wie aus
einem Munde. Nun konnte ihnen die Sache nicht entgehen. Sie waren erleichtert.

„Wenn ich - hm - recht verstehe - hm - will steh die Baronin also - hm
scheiden lassen - hm!” vermerkte der Archivrat gewichtig und nahm behut-
sam den Kneifer von der Nase.

„Fabelhaftes Weib," sagte der Assessor verzücktundzogdieBrauen kenneriph
in die Höhe. „Sie muß doch an die Vierzig sein. Aber wenn sie lacht, schaut
sie aus wie fünfundzwanzig.”

„Na, na," meinte der Amtsrichter überlegen, wie es steh für den erfahrenen
Juristen geziemt. „Nur nicht übertreiben, junger Freund. Und überhaupt:
woher kennen Sie die Baronin denn so genau?”

„Kennen? Ach man macht so seine Beobachtungen, Herr Kollege. So en
passant.” Der kleine Assessor schwieg, schaute vielsagend aus seine gepstegten
Fingernägel, knipste ein Stäubchen in die Lust.

„Na, kurz und gut, meine Herren," nahm der Oberst das Wort, „sie war
damals fünfzehn oder sechzehn, ein rassiger Badefisch, biegsam wie Stahl, ritt
aus ihres Vaters Pferden wie ein kleiner Teufel und ließ ihre zwei goldblonden
Zöpfe stattern. Da blieb denn der stille Brassenheim drin hängen, obwohl er
gut zehn Jahre aller war, als sie. Zum Reiten langte es bei ihm nicht, sonst

RE HOCHZEITER

wäre er zur Kavallerie gegangen, anstatt meinen Rekruten langsamen Schritt
beizubringen. Aber Tennis spielten sie zusammen. Viel und gern. Das Weitere
ergab steh von selbst. Die alte Geschichte: er hatte nichts als die Aussicht, in
zehn Jahren den Hauptmann zu erreichen. Sie? Alle Ansprüche der großen
Welt. Der Alte, Stammgast in Monte, sagt kalt und kurz: .Mein lieber Herr
Leutnant, wollen Sie Ursula zumuten, in einer Drei-Zimmer -Wohnung Strümpfe
zu stopfen und Sauerkraut zu sieden? - Na also. Ich kanns nicht ändern. Sie
könnens nicht ändern, wir können nichts dran ändern, daß das Mädel einen
reichen Mann braucht. Sonst sind Sie mir ja sehr sympathisch ..Woraufhin
Brassenheim die Hacken zusammenklappte und mit Helm und Schärpe einen
leidlichen Abgang markierte.

Die schöne Ursula schien steh die Sache nicht so sehr zu Herzen zu nehmen.
Die kleine Residenz wurde ihr aber dann doch zu klein. Das Mädel wurde
auf immer längere Zeit unsichtbar, begleitete den Papa, was der steh knurrend
zwar, aber doch gehorsam gefallen ließ. Denn was sie wollte, das tat sie. In
Baden-Baden, St. Moritz, Interlaken, in Nizza und Monte Carlo war sie nun
mit dabei, elegant, straft, kühl und ganz Weltdame. Den Flirt betrieb sie so
nebenher, mehr aus Langerweile. Mal wars ein russischer Fürst, mal ein süd-
afrikanischer Nabob, mal ein englischer Sportsmann. Die waren alle sehr ernst-
hast bei der Sache, aber sie blitzte einen nach dem andern ab. Bis sie eines
Tages den ersten besten nahm, der gerade da war: einen holländischen Kaffee-
könig, schwer begütert natürlich irgendwo in Java oder Celebes. Dem Alten
war endlich das Geld ausgegangen, und nun mußte der Holländer eben die
Reifen bezahlen. Er tat es ohne Umstände, und wir hörten dann eine Reihe
von Jahren nichts mehr von ihr. Sie gondelte wohl irgendwo im Indischen
Ozean herum.

Brassenheim blieb noch eine Weile Soldat. Dann nahm er - kurz und bün-
dig - feinen Abschied; ohne weitere Angabe von Gründen. Es hieß, er wolle
Farmer in Argentinien werden oder in Südweftafrika. Andere behaupteten,
ein alter Onkel habe ihm feine Millionen hinterlassen. Na, man gönnte ihm
das Glück, denn er war au fond doch ein patenter Kerl und guter Kamerad.

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Register
Hedwig Ernst: Ein Dichter spricht
Hans Mellin: Der sonderbare Hochzeiter
Karl Berner: Zeit und Ewigkeit
S. W. Fischer: Kleine Münze
 
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