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Warum sie dann eigentlich nach Deutschland gekommen fei, siel mir ein
zu erwidern.

O, das fei nur wegen ihres Vaters geschehen, hebräifche Sprache stu-
dieren, Bibel iiberfetzen, Oberammergau, Rudolf Holzer besuchen ufw.
Ihr selbst blebe nun nichts anderes übrig, als deutsches Volksleben zu
studieren. Das bübische Lächeln, mit dem sie dies sagte, begriff ich erst
später, als sie sich darüber beschwerte, das die Begleitung ihres Vaters sie
an jedem Abenteuer hindere. Sie fügte leise hinzu, dasi Papa zu Haufe
sehr streng fei, und sie ihn als Geifierfeher im Grunde auch fürchten müsse.
Ich sah bei diesen Bemerkungen ängstlich nach ihm um, worauf sie jedoch
beschwichtigend fortfuhr: „Es ist nichts. Er ist ein wenig schwerhörig."

Damit hatte sie mir ein Signal gegeben; ich rückte von nun an keck mit
der Sprache heraus. - Pastorentöchter feien hier zu Lande nicht für Aben-
teuer eingenommen, für Pastorentöchter schicke sich das auch keineswegs.
- Um sie zu reizen, wiederholte ich diese Bezeichnung: Eräulein Dagny
wurde wütend. — Wenn ich solches noch einmal sagen wollte, werde sie
laut pfui rufen und aufstehen — Mit der Erboftheit ihres Mundes hielt ihr
Knie nicht völlig gleichen Schritt; es berührte das meine. Ich fragte, ob sie
denn das amerikanische Volksleben auch gründlich studiert habe.

„O ja, mein Herr, Amerikaner sind viel mehr höflich als Deutsche, nicht
so frech. Ich habe oft mit amerikanisches Freund soupiert und getanzt, der
singt immer: ,J can't teil, why J love you, but J do.‘ Ist das nicht schön?"
Sie trällerte die Zirkusmelodie ziemlich laut vor sich hin, so dasi der Papa
von der Sternkarte auffah und brummend den Finger hob. „O, ich dem
Herrn nur erzähle von deinen amerikanischen Versammlungen, Papa,"
worauf sich oiefer mit der Bemerkung zufrieden gab: „Amerika ist ein
sehr grosies Volk mit viel Glauben und gewaltiger Zukunft.”

Fräulein Dagny legte inzwischen ihr kokettes Fältelcape auf die Stuhl-

lehne; es kamen sehr hübsche Formen zum Vorschein. Sie schien es paf-
fend zu finden, dasi ich sie einer eingehenden stummen Musterung unter-
zog; ohne zu sprechen löffelte sie eine Portion Eis. Darauf verfiel ich wie-
der in die ironische Tonart und fragte, ob ihr amerikanischer Freund nur
immer gesungen und getanzt habe und ob sie das Abenteuer nenne.

„O ja,” sagte sie kokett und leicht errötend, sichtlich an ihrem Paradox
nur aus dem Grunde festhaltend, um eine eingehende Debatte über die-
ses Thema in Flusi zu bringen. „Abenteuer nennt man in Kopenhagen,
wenn mir gestern im Expre(chzug arabisches Prinz gesagt hat, ich fei sehr
schön und immer an mein Coupeetüre gestanden hat.”

„O,” fuhr ich hartnäckig fort, halb und halb auf ihr Unverständnis spe-
kulierend. „in Deutschland fei ein Abenteuer nichts ohne ein Nachteuer
und soupieren nichts ohne poussieren." Diesen letzten Ausdruck schien sie
offenbar nicht zu kennen, sie fragte mich interessiert, ob es ein „schreck-
liches" Wort fei. Sie gab mir damit zu längeren Erläuterungen Anlasi, die
ihr fo wenig mißfielen, dasi ich mich sihliesilich mit einer festen Verab-
redung in der Tasihe erheben konnte. Der Vater schüttelte mir stark und
vertrauensselig die Hände, wie es einem Kollegen gebührt und entschul-
digte sein langes Schweigen damit, dasi er eben dem Jupiter und der Venus
auf der Spur gewesen fei. - „Es wird mich sehr freuen, woll’en Sie mich
einmal besuchen. Da Sie sind Theologe, wollte ich Ihnen sehr gerne aus
meiner Bibel in Stabreimen verlesen. Es ist einzige echte germanische Bibel
auf der ganzen Welt.” Er schrieb mir feine Adresse auf, unnötigerweise,
da sie mir von der Tochter bereits mitgeteilt worden war. Wieder, wie zu
Anfang, legte sie sehr bübifch den Finger auf die Lippen

Unter recht hübschen Schwierigkeiten hatte ich in der Folgezeit mit
Fräulein Dagny einige Zusammenkünfte. Es gelang meiner Skepsis, ihr
jede Furcht vor dem väterlichen Seelenforscher und Geisterseher auszu-

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Rudolf Hesse: Konventsitzung
 
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