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lisch mit einer ausladenden Geberde: er habe den plan gefaßt, einen
,Bund der Einsamen^ zu g: ünden, mit dem Wahlspruch: ?iur der einsame
ist der wahre Mensch.

Pfefferkorn und Lämmletn hatten mit wachsendem Erstaunen dem
Redefluß des sonst so wortkargen Freundes zugehört, und sichtliche Ent-
täuschung inalte sich auf ihren Zügen. Dazu also schleppte man sie drei
Stunden lang ins Moor hinaus, und weit und breit kein Wirtshaus,
wo man die Unterhaltung in einer gediegenen und seßhaften Form, wie
sie reifen Männern wohl ansteht, hätte durchführen könncir!

Pfeffe körn faßte sich zuerst. Indem er sich nach einer Enzianstaude
bückte, deren gelber Blütenschast sein Auge auf sich zog, meinte er:
das sei eewiß recht schön und gut, aber er, Pfefferkorn, sei schon seit
Jahren Mitglied des Sclbstdenkerbundes sowie neuerdings auch des
Bereins von Freunden ernster Bibelforschung, und damit habe er seinen
Bedarf gedeckt. Übrigens scheine es ihm nicht rällich, in unsrer aufge-
wühlten Zeit neue Kämpfe um die Weltanschauung zu entfesseln. Es
gäbe ohnhin soviel verschiedene Heilslehren auf diesem uferlosen Gebiet,
man wisse scbon garnicht mehr, auf wen man eigentlich hören solle. —
Damit kniete er niever und begann die Enzianstaude, die er als eine
seltene Kreuzung erkannt hatte, mit den Wurzeln auszugraben.

Lämmlein hatte sein biederes Vollmondgesicht in ernste Sorgenfalten
rerzogen und mit dem Stock andauernd Löcher in den Grund gebohrt.
Die Einsamkeit, sagte er nun gewichtig, sei frei ich eine große und edle
Sache. Nirgendwo könne man das besser beurteilen, als auf hohen
Bergesgipfeln. Da habe er neulich die Odkarspitze vom Eiskarsattel aus
gemacht, mit Übergang über die total vereiste Husachscharte, er ganz
mutterseelenallein mit noch drei Kollegen — ja, da hätte man nicht bloß
die Engel im Himmel singen sondern auch die Teufel musizieren hören,-
jo nahe seien sie bereits dem Jenseits gewesen, wo doch die letzte und

größte Einsamkeit zu Hause sei. Aber dieses Ziel sei uns ja ohnehin ge-
wiß, und er wisse nicht recht, ob man es schon im Diesseits mit vereinten
Kräften anstreben solle. Es komme ja immer noch früh genug. Dabei
sah er Knoll mit seinen großen wasserblauen Augen träumerisch an,
noch ganz verklärt durch die siegreich bestandenen Gefahren.

Knoll, eist verdutzt, dann ernüchtert, hob beschwörend beide Hände:
nein, nein! So meine er das nicht — so billig sei die Einsamkeit, die
er im Sinne habe, nicht zu erreichen. — „Billig?" wiederholte Lämm-
lein gekränkt. „Die Fahrt allein habe einen Haufen Geld gekostet! Und
die Verpflegung ..."

„Aber Du mißverstehst mich total," rief Knoll verzweifelt, „was hat
denn Eure Kraxelei mit meiner Einsamkeit zu tun?" — „Ja, wenn Du
/billigt sagst," wiederholte Lämmlein hartnäckig, „billig war sie nicht,
aber anstrengend."

„Was ist denn heutzutage überhaupt billig," versuchte Pfefferkorn
zu vermitteln, der seinen Enzian glücklich ausgegraben halte — „billig,
billig, — sogar das Sterben wird bald unerschwinglich sein. Wenn ich
denke, was das Begräbnis meines Onkels — — "

„Halt!" sagte Knoll, der sich gesammelt hatte, „billig scheint mir im
Falle Lämmlein eine Einsamkeit, die im Davonlausen besteht. Das ist
doch kein Kunststück, seelisch genommen, wenn einer auf hohe Berge
steigt und meint, nun sei er über der Masse erhaben. Nun atme er
Höhenluft. Nun sei er ein einsamer Mensch. Oh nein: geistige Höhen-
luft, die man sich selber schafft, durch innerliche Erhebung, das ist das
Wahre!"

„Allerdings," bemerkte der Apotheker ernst und rurnelte gewichtig
die Stirn, „wir Selbstdenker, wenn wir so alle Mittwoch Abend bei-
sammen sitzen, da wird was geschafft! Das muß ich schon sagen. Da
denken wir oft die schwersten Fragen durch. Da sind sie denn ganz leicht

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Alfons Purtscher: Windhunde im Schnee
 
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