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JAHRGANG 1923

ZUM 13. DEUTSCHEN TURNFEST IN MÜNCHEN

MONACHIA AM RECK

VON KARLCHEN

Ich habe einen Turner bei mir im Quartier. Ich habe ihn freiwillig
bei nür einquartiert, denn ich schwärme für die Turnsache. Theoretisch.
In der Praxis kann ich keinen Bauchaufzug von einem Paternosterauf-
zug unterscheiden.

Mein Turner ist ein entzückender Mensch, aber er hat einen Kardinal-
fehler : er trinkt nicht. DaS schade seinem Training. Ich muß jetzt all
den Kognak, den ich für das Turnfest bcreitgelegt hatte, selbst trinken.
Wenn ich abends genug Kognak trainiert habe, dann gehe ich ein bißchen
an die frische Luft und sehe mir das turnfestlich geschmückte München
an. „Monachia am Reck." Es fällt mir dann auf, daß die einzelnen
Menschen immer paarweise daherkommen, daß immer zwei Laternen
beisammen stehen, daß alle Dackel zusammengewachsene Zwillinge sind,
und wenn ich nach Hause komme, hat das Tor siebzehn Schlüssellöcher.
Das kommt davon, daß mein Turngast keinen Kognak trinkt.

Gestern abend stand ich plötzlich vor der Bavaria. Eigentlich hatte ich
ganz wo anders hingewollt, aber wahrscheinlich hatten mir die zwei
Schaffner in der Elektrischen zwei falsche Fahrscheine gegeben.

Also die Bavaria machte fortwährend „Rumpf beugt — streckt!" Nach
allen vier Windrichtungen. Mindestens fünfzigmal. Ich dachte mir: um
Gotteswillen, wenn jetzt gerade eine Reisegesellschaft in ihrem Kopf ist,
die muß ja seekrank werden! Überhaupt sah ich den Zweck der Übung nicht
recht ein: vielleicht wollte die Bavaria schlanker werden? Das wollen ja
jetzt alle Damen. Und plötzlich beugte sich die Bavaria zu mir nieder,
packte mich, warf mich in die Lust und kickte mich mit dem rechten Fuß
stadteinwärts.

Ich landete am Marienplatz. Dort hatten sich gerade die soundsovicl-
tausend Steinfiguren deö Rathauses zu einem Zug formiert. Trapp-
trapp-trapp marschierten sie nach der Frauenkirche. Ich bestieg den Esel
vom RathauSdach und ritt mit. Der unten war der Esel, der oben war
ich. Natürlich dachte ich, cs handle sich um einen Festgottesdienst, aber
nein: zwischen den Türmen der Frauenkirche, den sogenannten Maß-
krügen, war ein Seil gespannt, und bald begannen die Steinfiguren ein
Wetthochspringen. Ein hochimposantes Schauspiel! Auf dem Knopf des
rechten Turmes saß der bayrische Löwe und nahm das Ganze kinemato-
graphisch auf. Ich gab meinem Esel die Ohren, - nein, die Sporen,
nahm einen Anlauf, und hoppla, heidi, sause ich wider das Zifferblatt
der Turmuhr. Sie schlug gerade dreizehn. Ich halte mich an dem Sekunden-
zeiger fest, er beginnt zu rotiere» wie ein Ventilator, und ich fliege in

kühnem Schwung mitten durch die Propyläen auf den Königsplatz. -
Dort kam ich gerade recht zu einer interessanten sportlichen Veranftal-
tung: Wettlaufen der Münchener Dienstmänner mit einem
zur Besorgung übergebenen Eilbrief. Ziel: Stachus. Schieds-
richter: eine Schnecke. Der ganze Königsplatz war mit Schnupftabak be-
deckt. Jedem Dienstmann wurde noch eigens eingeschärft, daß der Brief
sehr, sehr eilig sei, und dann sagte er: „Feit si nir!" und begann zu früh-
stücken. Das Anzapfen eines Bierfasses gab das Zeichen zum Beginn des
Wettlaufs. Der Dicnstmann Nr. 763 wurde disqualifiziert, weil er

sagte: „Mi könnts Überhaupts allz'samm-!" Als Sieger ging

die Nr. 34‘2/<s aus dem Wettlauf hervor, der den Kilometer in der Zeit
von anderthalb Stunden zurücklegte unb damit den Münchner Dienst-
mannrekord schlug. Er wurde aus dem Verband ausgeschlossen.

Am Stachus turnte die Frauenwelt: Großes Damen-Wett-Auf-
und Abspringen von der fahrenden Elektrischen! Aus diesem
Gebiete sind die Damen bekanntlich Virtuosen. Rechts und links der
Trambahnlinie waren deshalb auch Fangnehe gespannt. Den Vogel schoß
Frl. Eulalie Allesverkehrt ab, die entgegengesetzt der Fahrtrichtung, den
linken Fuß im rechten Handgriff, abhopste und es in zwei Minuten auf
siebzehn Schaffncrbeleidigungen brachte. Sic bekam einen silbernen
Ehrenradi mit Eichenlaub und Meerrettich.

Jetzt wäre es eigentlich höchste Zeit für mich gewesen, zu dem großen
„Diskuswerfen mit Maßkrügen" zu eilen, aber leider wurde ich
daran gehindert, denn auf dem Odeonsplatz hielt mich das „Bock-
springen der Münchner Literaten über den Pegasus"auf. Das
war höchst ergötzlich. Jedesmal, wenn einer purzelte, riefen die Übrigen:
„Schade! Eigentlich ist er gar nicht so untalentiert!" Gelang aber
einem ein Meistersprung, so sagten sie: „Elender Pfuscher! Traurige
Mache! Cliquenwirtschaft!"

Natürlich beteiligte auch ich mich an diesem Tournier, aber wie ich auf
dem Pegasus saß, schrie er „Kikeriki", sing an zu bocken, und wie ich
herunterfiel, lag ich vor meiner Haustüre mit den siebzehn Schlüssellöchern.
Der Turner kam gerade nach Hause, hob mich auf, stemmte mich und trug
mich so die Treppe hinauf.

Das war ja gewiß sehr nett von ihm, und ich hoffe ja gerne, daß recht
bald abermals ein Turnerfest in „Monachia am Reck" stattfindet, aber
nichtsdcstotrotz: einen Turngast, der keinen Kognak trinkt, nehme ich nie
wieder bei mir auf. Seine Abstinenz bekommt mir nicht.


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[nicht signierter Beitrag]: Zum 13.deutschen Turnfest in München
Karlchen: Monachia am Reck
 
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