Die Perle Julius Dietz
Die große Stunde fand einen großen Mann. Aribert rüstete sich,
den Gegenstand seiner Sorge käuflich zu erwerben. Eine geistreiche
Floskel, um das Unaussprechliche sinnensällig zu umschreiben, würde
ihm im Geschäft schon einfallen. Aribert nahm seinen Lieblings-
schriftsteller zur Hand —vielleicht beschrieb dieser einmal eine ähn-
liche Situation? Leider, nein — auch nicht annähernd. Er fühlte
dumpf, statt Ganghoser hätte er Voltaire lesen sollen. Dazu war
cS nun zu spät. Das gemeine Leben rempelte ihn an, ihn, den Dichter
Aribert und griff zu pöbelhaften Mitteln, um in den Wohlklang
seiner Leier mißtönend zu quäken.
Um sich vergebliche Nachfragen zu ersparen, suchte Aribert die
Schaufenster der großen Warenhäuser ab. Er sah Fernrohre, Bon-
bonmaschinen, Leichenwäscheranzüge, Kanarienfutter, Damenwäsche,
die ihn schwindeln machte, Zauberartikel, Mittel gegen Männer-
schwäche in fünf Stärkegraden, Gaumenplatten, künstliche Palmen,
echte Perser und Bruchbänder, — aber was er suchte wie Wolfram
den Abendstern, das fand er nicht.
Aribert gab seiner todwunden Dichterseele die Sporen und trat
in ein renommiertes Geschäft ein. Wolkenbruchartig ergoß sich die
Beflissenheit eines RaponchefS über ihn, der ihn sofort mit Namen
nannte. Was die Wirkung hatte, daß sich einige junge Mädchen in
Hörnähe drängten. Da entglitten ihm die Zügel seiner mühsam ge-
strafften Robustheit, und er fragte verwirrt nach der Konfitüren-
abteilung.
Trotzdem gratulierte sich Aribert. Er beschloß Schokolade und
kandierte Früchte zu kaufen, und so am Schluß ganz nebenbei zu
sagen: ,Ach, wickeln Sie mir doch gleich auch — nun eben das, dazu!'
Honore de Balzac und andere große Erzähler pflegten an den
Höhepunkten ihrer Geschichten teils aus dem zwingenden Muß des
überschäumenden Herzens, teils aus raffinierten Spannungsgründen
heraus, mit dem Leser eine Zwiesprache zu halten. Wir wollen uns
darauf beschränken, feftzuftellen, daß Aribert sich zu seinem Ziele aus
Nasenlänge herangerückt wähnt, vom sicheren Ofen aus sehen wir
ihn aber mit der Wollust des wissenden Lesers ins Verderben rennen.
Nicht daß sich beim Schokoladenkauf Schwierigkeiten ergebe»
hätten. Im Gegenteil. Ein rotblondes Fräulein mit Pagenkopf, das
in einem Seidenjumper steckte, der um drei Nummern zu eng war,
weshalb sie kein Korsett trug, bediente ihn. Mit schelmischer Eil-
fertigkeit flog sie hin und her und hätte in ihrer Gesamtheit selbst
Ehemänner, die bis zur goldenen Hochzeit durchgehaltcn hatten, noch
rasend machen können. Mit einer Freundlichkeit, die weit über das
Vcrpflichtungslächeln hinausging, reichte sie Aribert zur Auswahl:
einen mit PralinceS gefüllten Trompeter von Säkkingen, einen Hin-
denburg aus Marzipan, ein appetitliches Wickelkind. Machte man
die Windeln auf, fielen merkwürdigerweise Likörbohnen heraus.
Aribert schloß innerlich die Augen und stellte sein Begehren. Wir
wissen, welches.
Das Fräulein batte Aribcrtö Stottern mit ihrem Jumper in
Verbindung gebracht, erwartete etwas ganz anderes und stand wie
vom Blitz getroffen. Dann beulte sie los. Alles müßte man sich von
der Herrenkundschaft bieten lassen. Sie sei ein anständiges Mädchen,
bätte es nicht nötig, hier zu stehen, und ein Bankdirektor wollte sic
sckon vor drei Wochen aus dem Geschäft nehmen. Das Publikum
staute sich. Einige Kavaliere witterten Ritterprämien, scharten sich
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Die große Stunde fand einen großen Mann. Aribert rüstete sich,
den Gegenstand seiner Sorge käuflich zu erwerben. Eine geistreiche
Floskel, um das Unaussprechliche sinnensällig zu umschreiben, würde
ihm im Geschäft schon einfallen. Aribert nahm seinen Lieblings-
schriftsteller zur Hand —vielleicht beschrieb dieser einmal eine ähn-
liche Situation? Leider, nein — auch nicht annähernd. Er fühlte
dumpf, statt Ganghoser hätte er Voltaire lesen sollen. Dazu war
cS nun zu spät. Das gemeine Leben rempelte ihn an, ihn, den Dichter
Aribert und griff zu pöbelhaften Mitteln, um in den Wohlklang
seiner Leier mißtönend zu quäken.
Um sich vergebliche Nachfragen zu ersparen, suchte Aribert die
Schaufenster der großen Warenhäuser ab. Er sah Fernrohre, Bon-
bonmaschinen, Leichenwäscheranzüge, Kanarienfutter, Damenwäsche,
die ihn schwindeln machte, Zauberartikel, Mittel gegen Männer-
schwäche in fünf Stärkegraden, Gaumenplatten, künstliche Palmen,
echte Perser und Bruchbänder, — aber was er suchte wie Wolfram
den Abendstern, das fand er nicht.
Aribert gab seiner todwunden Dichterseele die Sporen und trat
in ein renommiertes Geschäft ein. Wolkenbruchartig ergoß sich die
Beflissenheit eines RaponchefS über ihn, der ihn sofort mit Namen
nannte. Was die Wirkung hatte, daß sich einige junge Mädchen in
Hörnähe drängten. Da entglitten ihm die Zügel seiner mühsam ge-
strafften Robustheit, und er fragte verwirrt nach der Konfitüren-
abteilung.
Trotzdem gratulierte sich Aribert. Er beschloß Schokolade und
kandierte Früchte zu kaufen, und so am Schluß ganz nebenbei zu
sagen: ,Ach, wickeln Sie mir doch gleich auch — nun eben das, dazu!'
Honore de Balzac und andere große Erzähler pflegten an den
Höhepunkten ihrer Geschichten teils aus dem zwingenden Muß des
überschäumenden Herzens, teils aus raffinierten Spannungsgründen
heraus, mit dem Leser eine Zwiesprache zu halten. Wir wollen uns
darauf beschränken, feftzuftellen, daß Aribert sich zu seinem Ziele aus
Nasenlänge herangerückt wähnt, vom sicheren Ofen aus sehen wir
ihn aber mit der Wollust des wissenden Lesers ins Verderben rennen.
Nicht daß sich beim Schokoladenkauf Schwierigkeiten ergebe»
hätten. Im Gegenteil. Ein rotblondes Fräulein mit Pagenkopf, das
in einem Seidenjumper steckte, der um drei Nummern zu eng war,
weshalb sie kein Korsett trug, bediente ihn. Mit schelmischer Eil-
fertigkeit flog sie hin und her und hätte in ihrer Gesamtheit selbst
Ehemänner, die bis zur goldenen Hochzeit durchgehaltcn hatten, noch
rasend machen können. Mit einer Freundlichkeit, die weit über das
Vcrpflichtungslächeln hinausging, reichte sie Aribert zur Auswahl:
einen mit PralinceS gefüllten Trompeter von Säkkingen, einen Hin-
denburg aus Marzipan, ein appetitliches Wickelkind. Machte man
die Windeln auf, fielen merkwürdigerweise Likörbohnen heraus.
Aribert schloß innerlich die Augen und stellte sein Begehren. Wir
wissen, welches.
Das Fräulein batte Aribcrtö Stottern mit ihrem Jumper in
Verbindung gebracht, erwartete etwas ganz anderes und stand wie
vom Blitz getroffen. Dann beulte sie los. Alles müßte man sich von
der Herrenkundschaft bieten lassen. Sie sei ein anständiges Mädchen,
bätte es nicht nötig, hier zu stehen, und ein Bankdirektor wollte sic
sckon vor drei Wochen aus dem Geschäft nehmen. Das Publikum
staute sich. Einige Kavaliere witterten Ritterprämien, scharten sich
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