EIN ITALIENISCHER REISETAG
Siziliens Erwachen
Tag.. ! Das Wagenfenster mit dem Ellen-
bogen vom Morgennebel durchsichtig reiben .. !
Und sich den Weinschlaf aus den Augen wischen..!
Dann liegen draußen in der italienischen Land-
schaft ausgeschüttelte Spielzeugschachteln, Felsen-
nester sind an die Bergwände geklebt, wie aus
Gottes Hand gefallen... noch schöpfungswarm..!
Pinien werden zu Regenschirmen und über-
dachen die Lehmhäuser der Ziegenhirten, Zypreffen
ragen als frischgefüllte Federhalter in den farb-
stistblauen Himmel hinein und schreiben mit un-
sichtbarer Schrift Briefe an die Unendlichkeit,
wozu der sizilianische Frühlingswind ihnen die
Hände führt...
Syrakus wächst aus Land und Master empor.
An der Hafenftation tanzen singende Gepäckträger
einen Ringelreihen um unsere Koffer. Die Früh-
ftückstische stehen auf der Straße. Mausgraue
Esel schnuppern auf das Kaffeebrot zu.
Himbeerrot liegen die Baedeckerbände zwischen
Feigen und Datteln. Die Sterne der Sehens-
würdigkeiten glänzen darin durch alle Seiten
hin. Aber die Sonne läßt sie mit bronzenem
Augenaufschlag zu Talmi erbleichen.
Die Droschkenkutscher werden zudringlich wie
Tsetsrefliegen und richten ihre Stacheln nach
Trinkgelder aus. Auf Wunsch fahren sie den
Reisenden mit Roß und Wagen auch aufs Zim-
mer nach ... Jetzt scheint die Sonne nahezu
senkrecht auf die Haarscheitel und in die Kamine.
VON ERNST HOFERICHTER
Die Stadt erwacht zu Geschäftstüchtigkeit.
Kaffeegeruch läuft die engen Gaffen auf und ab.
Katzen springen aus den Friseurläden. Die Bett-
ler trapieren sich vor den Kirchentüren und ver-
kaufen Eintrittskarten zu Faftnachtsbällen —
und Heiligenbilder mit gestapelten Abläffen.
Am Hafen nehmen wir unsere Papierkrägen
ab und füttern damit die Tintenfische, die dann
zum Diner und zum Schreiben von Manuskrip-
ten verwendet werden.
Auf den Türschwellen tanzen Freudenmädchen
die Tarantella, während die Madame durch die
Jalusien hindurch, die ihnen Muffolini mit Ket-
ten verschloffen hält, die Giovenezza singt...
Und das Meer, das herüber von Griechenland
brandet, nimmt den Gesang melancholisch in sei-
nem Wellengang auf...
Von den weiß gepuderten Türmen winken die
Glocken Mittag und Siesta — —!
Sonne und Wein
Da sind die Straßen so voll Sonne, daß man
über sie vor Hitze stolpert... Und wir ließen uns
mit heraushängender Zunge in eine eiskastenkühle
Kellerkneipe fallen. Ja, da ist's kühl wie in einem
Museum, aber nicht so einschläfernd und lang-
weilig .. ! Und man hat keinen Baedecker nötig.
Die beste Weinsorte ist bald gefunden — auch
ohne Stadtplan.
Ich verlange vom Wirt Käse... Er bestätigt
alle Arten vorrätig zu haben. Und ich bestelle
einen, der grün bemoost ist — — der Wirt ver-
läßt durch die Hintertür den Ausschank, sperrt
ab und kommt nach einer langen Weile zurück,
den bestellten Käse aus der Hosentasche ziehend ...
Er war inzwischen in ein anderes Stadtviertel
gefahren und hatte dort erst das Bestellte ein-
gekauft.
Der Wein liegt hier wie ein ganzes Ver-
mögen im Glas.. ! Es muß vertrunken fein.. !
Und es sollen leben die vielen tausend Kilo-
meter von München bis Syrakus .. ! Samt den
zwanzig Stunden Verspätungen.. !
Es lebe der Paßkontrolleur am Brenner, der
vor Wichtigkeit sich den Finger in die Coupetüre
einzwängte .. ! Es lebe der Trambahnführer von
Neapel, der seinen Wagen vollbesetzt auf offener
Strecke stehen ließ — um mit mir nach der
?ostn centrale zu laufen... Und es lebe der
Sekretär vom Paßamt, der mir in mein Reise-
buch ein fremdes Portrait geklebt hatte.., wo-
durch bekanntlich Grenzüberschreitungen sehr zu
Gunsten des Reisenden erleichtert werden — —
Und wir saßen in der feuchten Spelunke, bis
sich draußen die Dflastertemperatur mit der
Kellerkühle ausgeglichen hatte.
Dabei hatten wir getrunken — daß es nötig
war, am andern Morgen einen Dentisten aufzu-
suchen, der uns den Weinstein von den Zähnen
schabte — — —
Nacht und Mitternacht
Vor dem Theater schwingen schreiende Bogen-
lampen. Eselkarren, Droschken, Autos und Kin-
koriselrunx auk Seite 428
* Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen
42ti
1024 / JUGEND Nr. 17
Siziliens Erwachen
Tag.. ! Das Wagenfenster mit dem Ellen-
bogen vom Morgennebel durchsichtig reiben .. !
Und sich den Weinschlaf aus den Augen wischen..!
Dann liegen draußen in der italienischen Land-
schaft ausgeschüttelte Spielzeugschachteln, Felsen-
nester sind an die Bergwände geklebt, wie aus
Gottes Hand gefallen... noch schöpfungswarm..!
Pinien werden zu Regenschirmen und über-
dachen die Lehmhäuser der Ziegenhirten, Zypreffen
ragen als frischgefüllte Federhalter in den farb-
stistblauen Himmel hinein und schreiben mit un-
sichtbarer Schrift Briefe an die Unendlichkeit,
wozu der sizilianische Frühlingswind ihnen die
Hände führt...
Syrakus wächst aus Land und Master empor.
An der Hafenftation tanzen singende Gepäckträger
einen Ringelreihen um unsere Koffer. Die Früh-
ftückstische stehen auf der Straße. Mausgraue
Esel schnuppern auf das Kaffeebrot zu.
Himbeerrot liegen die Baedeckerbände zwischen
Feigen und Datteln. Die Sterne der Sehens-
würdigkeiten glänzen darin durch alle Seiten
hin. Aber die Sonne läßt sie mit bronzenem
Augenaufschlag zu Talmi erbleichen.
Die Droschkenkutscher werden zudringlich wie
Tsetsrefliegen und richten ihre Stacheln nach
Trinkgelder aus. Auf Wunsch fahren sie den
Reisenden mit Roß und Wagen auch aufs Zim-
mer nach ... Jetzt scheint die Sonne nahezu
senkrecht auf die Haarscheitel und in die Kamine.
VON ERNST HOFERICHTER
Die Stadt erwacht zu Geschäftstüchtigkeit.
Kaffeegeruch läuft die engen Gaffen auf und ab.
Katzen springen aus den Friseurläden. Die Bett-
ler trapieren sich vor den Kirchentüren und ver-
kaufen Eintrittskarten zu Faftnachtsbällen —
und Heiligenbilder mit gestapelten Abläffen.
Am Hafen nehmen wir unsere Papierkrägen
ab und füttern damit die Tintenfische, die dann
zum Diner und zum Schreiben von Manuskrip-
ten verwendet werden.
Auf den Türschwellen tanzen Freudenmädchen
die Tarantella, während die Madame durch die
Jalusien hindurch, die ihnen Muffolini mit Ket-
ten verschloffen hält, die Giovenezza singt...
Und das Meer, das herüber von Griechenland
brandet, nimmt den Gesang melancholisch in sei-
nem Wellengang auf...
Von den weiß gepuderten Türmen winken die
Glocken Mittag und Siesta — —!
Sonne und Wein
Da sind die Straßen so voll Sonne, daß man
über sie vor Hitze stolpert... Und wir ließen uns
mit heraushängender Zunge in eine eiskastenkühle
Kellerkneipe fallen. Ja, da ist's kühl wie in einem
Museum, aber nicht so einschläfernd und lang-
weilig .. ! Und man hat keinen Baedecker nötig.
Die beste Weinsorte ist bald gefunden — auch
ohne Stadtplan.
Ich verlange vom Wirt Käse... Er bestätigt
alle Arten vorrätig zu haben. Und ich bestelle
einen, der grün bemoost ist — — der Wirt ver-
läßt durch die Hintertür den Ausschank, sperrt
ab und kommt nach einer langen Weile zurück,
den bestellten Käse aus der Hosentasche ziehend ...
Er war inzwischen in ein anderes Stadtviertel
gefahren und hatte dort erst das Bestellte ein-
gekauft.
Der Wein liegt hier wie ein ganzes Ver-
mögen im Glas.. ! Es muß vertrunken fein.. !
Und es sollen leben die vielen tausend Kilo-
meter von München bis Syrakus .. ! Samt den
zwanzig Stunden Verspätungen.. !
Es lebe der Paßkontrolleur am Brenner, der
vor Wichtigkeit sich den Finger in die Coupetüre
einzwängte .. ! Es lebe der Trambahnführer von
Neapel, der seinen Wagen vollbesetzt auf offener
Strecke stehen ließ — um mit mir nach der
?ostn centrale zu laufen... Und es lebe der
Sekretär vom Paßamt, der mir in mein Reise-
buch ein fremdes Portrait geklebt hatte.., wo-
durch bekanntlich Grenzüberschreitungen sehr zu
Gunsten des Reisenden erleichtert werden — —
Und wir saßen in der feuchten Spelunke, bis
sich draußen die Dflastertemperatur mit der
Kellerkühle ausgeglichen hatte.
Dabei hatten wir getrunken — daß es nötig
war, am andern Morgen einen Dentisten aufzu-
suchen, der uns den Weinstein von den Zähnen
schabte — — —
Nacht und Mitternacht
Vor dem Theater schwingen schreiende Bogen-
lampen. Eselkarren, Droschken, Autos und Kin-
koriselrunx auk Seite 428
* Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen
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1024 / JUGEND Nr. 17