J U G E N B
29. JAHRGANG
1924 / NR. 18
DAS PREISAUSSCHREIBEN
VON ADOLF HARTMANN-TREPKA (MÜNCHEN)
Man hätte ganze höhere Töchterschulen mit all den Privatsekre-
tärinncn füllen können, die der Dramatiker Florenz Fankultin in
niederschmetternd kurzer Zeit verbraucht hatte. Aufgearbcitet, zer-
bröselt und in klinische Zustände gedrängt, bangten sie nach einem
Sanatorium oder übernahmen den Haushalt eines leicht angekalkten
einzelnen Herrn. Eine auf alles gefaßte Hamburgerin, die mit dem
Leben auf dem Duzfuß stand, hielt am längsten aus. Als ihr aber
der Dichter an einem, unschönen Tage ein Drama in die Maschine
diktierte, in dem sich
eine zwölfköpfige Fa-
milie auf die krasseste
Art bemühte, noch
näher mit einander
verwandt zu werden,
fiel auch sie in tobende
Schreikrämpfe. Sie
konnte nicht mehr fol-
gerichtig denken, be-
gann wieder an den
Storch zu glauben und
warf ihrem Liebhaber
Soda ins Bier.
So war nun Flo-
renz Fankultin ge-
zwungen, sich höchst
eigenhändig auf das
Papier zu verströmen.
In schöner Erschlaf-
fung lehnte er sich in
seinen riesigen Klub-
sessel zurück. Er fübltc
einen pressenden Druck
am Hinterkopf. Man
hatte einige dramati-
sche Erstlinge seiner
Feder frcundlicb emp-
fangen, sie aber in der
Hauptsache als Ver-
sprechungen für die
Zukunft gebucht. Ihm
aber war leer zumute.
Alles schien ihm schon
gedacht, geschrieben und
vorgefühlt worden zu
sein. Er kam sich vor,
wie eine hohe Frau,
der man einen Thron-
erben abtrohen will,
und die den beklom-
menen Ärzten nichts
vorweisen kann. Selbst
in dem Traum verfolg-
ten ihn seine Einfäll«
chen, oft hörte er in
der Nacht Orchesterschlagzeug und dumpfen Trompetenklang. Aber
er freute sich über seine Halluzinationen, die er letzten Endes seiner
etwas lässigen Verdauung verdankte und pflegte sie. Der Dichter
krauste die Stirne, seine Muse tat heute besonders spröde, obschon
er fest überzeugt war, daß ihre Beziehungen zu ihm weit über das
übliche Kußverhältnis hinausgingen. Er übcrlas noch einmal, was
er im Telegrammstil aufs Papier geschmettert hatte: Vorhang auf.
Erste Szene. Eine Sandwüste. Der übermäßig Dicke sitzt da und
beißt seine Nägel. Ein
eingetrockneter Mage-
rer kommt und spuckt
dem Dicken ins Gesicht.
Der Dicke zieht die
Slbuhe aus. Der Ma-
gere ab. Vorhang.
Aber nun weiter!
Jetzt hieß es, nicht
Nachlassen an holz-
schnittartiger Kraft,
an unerbittlich ge-
preßter Ballung, an
epileptisch vibrierender
Gespanntheit.
Wenn Jean Paul
fühlte, daß seine Phan-
tasie schwunglos wurde,
betete er ein Paterno-
ster, denn er glaubte,
daß ihm dann der
Himmel wieder die
Gnade geben werde,
die Herzen weiterhin
zu fangen und zu ver-
fingen. Florenz Fan-
kultin aber wollte die
Magennerven seiner
Saisongenossen in sie-
dende Wirbel peitschen
und dopingte seine Er-
findungsgabe durch das
Lesen eines der Bü-
cher, die sich auf fei-
nem Arbeitstisch schich-
teten, als da waren:
Der Marquis de
Sade, die Gräuel der
Inquisition, Erotische
Verirrungen aus drei
Jahrhunderten mir
einem Anhang: Ist
Sodonie durch Leber-
tran heilbar?
Wie ein gerissenes
Medium aus einträg
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29. JAHRGANG
1924 / NR. 18
DAS PREISAUSSCHREIBEN
VON ADOLF HARTMANN-TREPKA (MÜNCHEN)
Man hätte ganze höhere Töchterschulen mit all den Privatsekre-
tärinncn füllen können, die der Dramatiker Florenz Fankultin in
niederschmetternd kurzer Zeit verbraucht hatte. Aufgearbcitet, zer-
bröselt und in klinische Zustände gedrängt, bangten sie nach einem
Sanatorium oder übernahmen den Haushalt eines leicht angekalkten
einzelnen Herrn. Eine auf alles gefaßte Hamburgerin, die mit dem
Leben auf dem Duzfuß stand, hielt am längsten aus. Als ihr aber
der Dichter an einem, unschönen Tage ein Drama in die Maschine
diktierte, in dem sich
eine zwölfköpfige Fa-
milie auf die krasseste
Art bemühte, noch
näher mit einander
verwandt zu werden,
fiel auch sie in tobende
Schreikrämpfe. Sie
konnte nicht mehr fol-
gerichtig denken, be-
gann wieder an den
Storch zu glauben und
warf ihrem Liebhaber
Soda ins Bier.
So war nun Flo-
renz Fankultin ge-
zwungen, sich höchst
eigenhändig auf das
Papier zu verströmen.
In schöner Erschlaf-
fung lehnte er sich in
seinen riesigen Klub-
sessel zurück. Er fübltc
einen pressenden Druck
am Hinterkopf. Man
hatte einige dramati-
sche Erstlinge seiner
Feder frcundlicb emp-
fangen, sie aber in der
Hauptsache als Ver-
sprechungen für die
Zukunft gebucht. Ihm
aber war leer zumute.
Alles schien ihm schon
gedacht, geschrieben und
vorgefühlt worden zu
sein. Er kam sich vor,
wie eine hohe Frau,
der man einen Thron-
erben abtrohen will,
und die den beklom-
menen Ärzten nichts
vorweisen kann. Selbst
in dem Traum verfolg-
ten ihn seine Einfäll«
chen, oft hörte er in
der Nacht Orchesterschlagzeug und dumpfen Trompetenklang. Aber
er freute sich über seine Halluzinationen, die er letzten Endes seiner
etwas lässigen Verdauung verdankte und pflegte sie. Der Dichter
krauste die Stirne, seine Muse tat heute besonders spröde, obschon
er fest überzeugt war, daß ihre Beziehungen zu ihm weit über das
übliche Kußverhältnis hinausgingen. Er übcrlas noch einmal, was
er im Telegrammstil aufs Papier geschmettert hatte: Vorhang auf.
Erste Szene. Eine Sandwüste. Der übermäßig Dicke sitzt da und
beißt seine Nägel. Ein
eingetrockneter Mage-
rer kommt und spuckt
dem Dicken ins Gesicht.
Der Dicke zieht die
Slbuhe aus. Der Ma-
gere ab. Vorhang.
Aber nun weiter!
Jetzt hieß es, nicht
Nachlassen an holz-
schnittartiger Kraft,
an unerbittlich ge-
preßter Ballung, an
epileptisch vibrierender
Gespanntheit.
Wenn Jean Paul
fühlte, daß seine Phan-
tasie schwunglos wurde,
betete er ein Paterno-
ster, denn er glaubte,
daß ihm dann der
Himmel wieder die
Gnade geben werde,
die Herzen weiterhin
zu fangen und zu ver-
fingen. Florenz Fan-
kultin aber wollte die
Magennerven seiner
Saisongenossen in sie-
dende Wirbel peitschen
und dopingte seine Er-
findungsgabe durch das
Lesen eines der Bü-
cher, die sich auf fei-
nem Arbeitstisch schich-
teten, als da waren:
Der Marquis de
Sade, die Gräuel der
Inquisition, Erotische
Verirrungen aus drei
Jahrhunderten mir
einem Anhang: Ist
Sodonie durch Leber-
tran heilbar?
Wie ein gerissenes
Medium aus einträg
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