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licher Trance auffährt, federte Fankultin empor, als Gabriele eintrat.
— Eine Frau kann bar jeden Reizes und so häßlich sein, daß man
sich eine Steigerung nach unten nicht mehr verstellen kann. Wo aber
ist das schöne Weib, das nicht feine Siegfriedlindenblattstelle hat?
Gabriele war so eine Frau. Nur wenn man sich das absolute Gegen-
teil einer letztmöglichen Häßlichkeit vorftellt, konnte man ibrcr Schön-
heit die einzig würdige Steigerung verleihen und sie annähernd be-
schreiben. Gabriele hatte Haare so schwarz wie der Baß Schaljapins,
besaß jene vollschlanke Figur und war als Tochter eines Kommerzien-
rates in der Lage, unsäglich teuere und einfache Sckneiderkleider zu
tragen. Sie sah so frisch aus, daß die Mama ihre Hand für sie ins
Feuer gelegt hätte, obwohl in diesem Falle ein Unglück daraus ent-
standen wäre.

Jeder spannte sich nach GabrielenS Gunst, ließ seinen ganzen
Witz ausknallen, um ein winziges Lächeln zu erhaschen. Postbeamte
öffneten ihr zuliebe, es ist unglaublich, nach Schluß nochmals den
Schalter, Varietödirektoren wurden schüchtern, Greise blieben stehen
und besannen sich, Aristokraten in tadellos gewendeten Anzügen über-
schlugen unsicher ihr Bankgutbaben, und Chauffeure erröteten, wenn
sie ihnen ein Trinkgeld gab. Kam sie an einem warmen Apriltag an
den geöffneten Fenstern eines Gymnasiums vorbei, wurden die Schü-
ler gegen ihren Ordinarius störrisch und ersehnten mit heißen Ge-
sichtern den Schluß des Unterrichts. Gesetzte Männer, die mit ern-
sten Mienen zum Genuß stark eingebrauter Biere eilten, und die
keine Himmelsmacht von diesem Gang hätte abhallen können, schoben
ihr Vorhaben auf und stolperten ihr nach, wie Bären, die Honig riechen.

Weggeschaut davon besaß Gabriele ein Temperament, daß der
kleinsten Frage Antwort gab und dem Dichter keine unverdienten
Lorbeeren überließ. Wie ein englisches Vollblut sich beim Anblick

des grünen Rasens bereits in allen Fibern spannt, also begann Ga-
briele schon schwer zu atmen, wenn sie das Wort Ottomane nur
hörte. Schon der kehlige Klang ihrer Stimme gab allen, die sich
matt und elend fühlten, kaum jemals wieder erhoffte Energien.
Sinnentwässerte Worte des Alltags klangen wie neu auf, wenn sie
sie mit nervös und nach den Mundwinkeln zu bläulich beschatteten
Lippen gurrte. Sagte sie zu Fankultin: „Mein Freund, reiche mir
das Handtuch!" oder „Für Papa sind zwei Waggon Gummiabsätze
im Anrollen", glaubte man Dantische Verse zu hören. Kurz soll
noch gesagt werden: Gabriele war kein überspitzter, in allen Fazette»
funkelnder Intellekt, vielleicht sogar recht mittelmäßig begabt, und,
wollte man die Sonde ungalant handhaben, eigentlich einfältig.
Warum sie Fankultin liebte? Ihr Papa, der Kommerzienrat, hatte
ihr gesagt, Künstler seien etwas vollkommen Überflüssiges, und Luxus-
gegenstände mußte sie um jeden Preis haben.

Der Dichter empfing die Geliebte mit dem Maß schöner Erregt-
heit, als nötig war, um sie seine Liebe fühlen zu lassen und verbarg
von seiner Begierde so viel, als im angemessen schien, um sie nicht
durch allzu sicheren Besitz zur Tyrannin zu machen. Nachdem sie sich
nach dem alten schlechten Brauch Verliebter in kosenden, dümmlichen
und gewisse Augenblicke hcraufbeschwörenden Wortmißgeburten ihrer
unwandelbaren Liebe versichert batten, bemerkte Fankultin an der
Unruhe Gabrielcns, daß sie heute einen Programmwechsel vorhatte.
Er unterdrückte seinen Mißmut darüber und heuchelte beflissen An-
teilnahme.

Gabriele gab ihren Augen eine sanft bettwarme Temperatur,
schelmte Fankultin an, und schon war er knetfertig.

Guten Mutes reichte sie ihrem Florenz eine Hausfrauenzeitung,
die Mama in zäber Ausdauer »och immer hielt, womit sie bewies,

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Maria Braun: Budapest
 
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