Geliebte, die Jugendfreundin, ... lag das schon so lange zurück? Sie
batte gewußt, daß er durch sein Berufsgelübde gebunden war und ihn
doch feige genannt, weil er sich nicht entschließen konnte, die Brücken
Kinter sich abzubrechen. Nie batte sie ibm das vergeben und ibn ver-
antwortlich gemacht für ibre Ebe mit Gabriel Lcßmann, die Lüge und
Enttäuschung gewesen war vom ersten Tag an. Noch ehe ihr Kind
die Mutter erkannt, war Renate dann freiwillig den Weg gegangen,
der sic erlösen sollte. Man hatte die Tat damals mit Renatens Wochen-
irre in Verbindung gebracht, aber der Probst besaß einen lebten er-
barmungslosen Brief, der nichts von umnachtctcm Geist wußte, son-
dern nur von enttäuschter Liebe, die nicht vergessen wollte und konnte.
Als dann Leßmann in den ersten Kriegsmonatcn fiel, batte der
Probst kurzcrband die kaum sechsfäbrige Lisa zu sich genommen, ebe
inan ibr Unterkunft in einer fremden Familie schaffte. Und nun
wollte Lisa dieses Haus verlassen. Erst gestern batte sie cS erklärt.
Freilich, sie war kein Kind mebr, und der Probst batte schon die
Möglichkeit gcsebcn, daß sic eines Tages von ibm ging. Doch dies war
so plötzlich gekommen, so ohne Übergang, ohne Erwägungen, wie sich
Lisas Zukunft gestalten solle. Als sie gestern vor ibm gesessen batte,
entschlossen und sicher, mit den mabnendcn Augen der Mutter in dem
schmalen, blassen Gesicht, war der Probst dock vor der Schönheit
dieses achtzehnjährigen Mädchens ein wenig erschrocken. Rubig batte
üe zu ibm gesagt: „Keiner war zu mir so gut wie Du, Onkel
Bert, wabrscbcinlich wäre ich irgend ein kleines, dummes Verkaufe-
mädchen geworden, bättest Du mich nicht zu Dir genommen. Was
ich bin, cs mag in Deinen Augen wenig genug sein, danke ick Dir."
Und Adalbert Slcfanskn gedachte der Stunde, da man die Kleine
m das Haus gebracht. Er batte cs nie bereut. Nock klang in seinen
s~ brcn das Silberglockenspiel dieser Stimme, noch hörte er oft in den
Miltagstunden die immerfrobcn Füße die Treppe zu seinem Zimmer
cmporspringen, und wenn Lisa dann bei ihm stand, beiß," frisch
lachend, war sic nichts als jung. Die alte Matbilde aber batte alle
Liebe ihres verschmähten Herzens über dieses Kind ausgcschültet und
schlich nun, da eS geben sollte, mit verweintem Kopf umher. Ihr tat
ma» den schwersten Schmerz.
Stefanskv überlegte, daß er gestern gegen Lisa recht herb und kurz
gewesen sei, ihr eigentlich kaum Zeit gelassen hatte sich auszusprechen.
Doch da trat sie auch schon bei ihm ein.
„Du warst gestern böse, Onkel Bert, Du ließest mich garnicht
sprechen. Darf ich es jetzt tun? Ich will Dir wenigstens das Not-
wendigste sagen."
Was war das für ein seltsamer Ton? Es war etwas gcscheben,
etwas Ernstes, das stand fest für Stefansky. Einen Augenblick durch-
fuhr ihn ein häßlicher Verdacht. Dock als er Lisas ruhig-furchtlose
Augen sah, über denen sich die reine Stirn wölbte zu dem lichten
Kran; des weißblonden Haares, war er sofort beruhigt. Doch sein Blick
blieb nun an dem Mädchen hängen. Hoch, in schlanker Kraft, stand
es gegen einen Bücherschrank gelehnt, das Haupt ein wenig zur Seite
geneigt und mit gefalteten Händen. War dieses süße, erblühte Ge-
schöpf seine kleine Lisa, diese vornehme junge Dame seine kleine
Pflegetochter? Und da, als ob sie seine Gedanken aufgefangen hätte,
begann Lisa mit gesenktem Blick:
„Wenn Du mich so ansiebst, Onkel Bert, werde ich Dir nicht
sagen können, was ich Dir sagen muß."
Und dann bob sie den Blick zu ihm empor, einen Blick so voller
Schmerz und Scham und Güte zugleich, daß Stefansky sie bei der
Hand nahm und an seinen Sessel zog.
Willig folgte Lisa, aber nickt wie sonst, wenn sie etwas bedrängte,
ängstigte, barg sic das Haupt an seiner Schulter und auch die Hand
entzog sie ibm sanft. Dan» sprach Lisa, leise aber bestimmt, sprach
von Glück und Dank ibrcr Mädchentage und fuhr fort:
„Aber es ist da ein kleiner Fehler in der Rechnung, Onkel Bert,
Du bliebst immer der Gleiche, aber ick blieb cs nicht."
Leise, fast tonlos rangen sich ibre Worte hervor:
444
batte gewußt, daß er durch sein Berufsgelübde gebunden war und ihn
doch feige genannt, weil er sich nicht entschließen konnte, die Brücken
Kinter sich abzubrechen. Nie batte sie ibm das vergeben und ibn ver-
antwortlich gemacht für ibre Ebe mit Gabriel Lcßmann, die Lüge und
Enttäuschung gewesen war vom ersten Tag an. Noch ehe ihr Kind
die Mutter erkannt, war Renate dann freiwillig den Weg gegangen,
der sic erlösen sollte. Man hatte die Tat damals mit Renatens Wochen-
irre in Verbindung gebracht, aber der Probst besaß einen lebten er-
barmungslosen Brief, der nichts von umnachtctcm Geist wußte, son-
dern nur von enttäuschter Liebe, die nicht vergessen wollte und konnte.
Als dann Leßmann in den ersten Kriegsmonatcn fiel, batte der
Probst kurzcrband die kaum sechsfäbrige Lisa zu sich genommen, ebe
inan ibr Unterkunft in einer fremden Familie schaffte. Und nun
wollte Lisa dieses Haus verlassen. Erst gestern batte sie cS erklärt.
Freilich, sie war kein Kind mebr, und der Probst batte schon die
Möglichkeit gcsebcn, daß sic eines Tages von ibm ging. Doch dies war
so plötzlich gekommen, so ohne Übergang, ohne Erwägungen, wie sich
Lisas Zukunft gestalten solle. Als sie gestern vor ibm gesessen batte,
entschlossen und sicher, mit den mabnendcn Augen der Mutter in dem
schmalen, blassen Gesicht, war der Probst dock vor der Schönheit
dieses achtzehnjährigen Mädchens ein wenig erschrocken. Rubig batte
üe zu ibm gesagt: „Keiner war zu mir so gut wie Du, Onkel
Bert, wabrscbcinlich wäre ich irgend ein kleines, dummes Verkaufe-
mädchen geworden, bättest Du mich nicht zu Dir genommen. Was
ich bin, cs mag in Deinen Augen wenig genug sein, danke ick Dir."
Und Adalbert Slcfanskn gedachte der Stunde, da man die Kleine
m das Haus gebracht. Er batte cs nie bereut. Nock klang in seinen
s~ brcn das Silberglockenspiel dieser Stimme, noch hörte er oft in den
Miltagstunden die immerfrobcn Füße die Treppe zu seinem Zimmer
cmporspringen, und wenn Lisa dann bei ihm stand, beiß," frisch
lachend, war sic nichts als jung. Die alte Matbilde aber batte alle
Liebe ihres verschmähten Herzens über dieses Kind ausgcschültet und
schlich nun, da eS geben sollte, mit verweintem Kopf umher. Ihr tat
ma» den schwersten Schmerz.
Stefanskv überlegte, daß er gestern gegen Lisa recht herb und kurz
gewesen sei, ihr eigentlich kaum Zeit gelassen hatte sich auszusprechen.
Doch da trat sie auch schon bei ihm ein.
„Du warst gestern böse, Onkel Bert, Du ließest mich garnicht
sprechen. Darf ich es jetzt tun? Ich will Dir wenigstens das Not-
wendigste sagen."
Was war das für ein seltsamer Ton? Es war etwas gcscheben,
etwas Ernstes, das stand fest für Stefansky. Einen Augenblick durch-
fuhr ihn ein häßlicher Verdacht. Dock als er Lisas ruhig-furchtlose
Augen sah, über denen sich die reine Stirn wölbte zu dem lichten
Kran; des weißblonden Haares, war er sofort beruhigt. Doch sein Blick
blieb nun an dem Mädchen hängen. Hoch, in schlanker Kraft, stand
es gegen einen Bücherschrank gelehnt, das Haupt ein wenig zur Seite
geneigt und mit gefalteten Händen. War dieses süße, erblühte Ge-
schöpf seine kleine Lisa, diese vornehme junge Dame seine kleine
Pflegetochter? Und da, als ob sie seine Gedanken aufgefangen hätte,
begann Lisa mit gesenktem Blick:
„Wenn Du mich so ansiebst, Onkel Bert, werde ich Dir nicht
sagen können, was ich Dir sagen muß."
Und dann bob sie den Blick zu ihm empor, einen Blick so voller
Schmerz und Scham und Güte zugleich, daß Stefansky sie bei der
Hand nahm und an seinen Sessel zog.
Willig folgte Lisa, aber nickt wie sonst, wenn sie etwas bedrängte,
ängstigte, barg sic das Haupt an seiner Schulter und auch die Hand
entzog sie ibm sanft. Dan» sprach Lisa, leise aber bestimmt, sprach
von Glück und Dank ibrcr Mädchentage und fuhr fort:
„Aber es ist da ein kleiner Fehler in der Rechnung, Onkel Bert,
Du bliebst immer der Gleiche, aber ick blieb cs nicht."
Leise, fast tonlos rangen sich ibre Worte hervor:
444