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„Warum sahst Du immer an allem vorbei, Onkel Bert? Warum
fragtest Du niemals, weshalb ich seit meinem fünfzehnten Jahre
nicht mehr zu Dir beichten kam? Sieh, Onkel Bert, das ist nicht plötz-
lich über mich gekommen. Ganz allmählich, wehrte mich nicht. Zuerst
war es wirklich nur reine Verehrung. Doch dann, weißt Du, damals
nach Deiner Predigt über Magdalena, als ich Dich küßte und wie Du
mich leise abwehrteft, damals war cs schon, was es heute ist, und
warum ich nicht bei Dir bleiben kann."

Der Probst hatte kein Wort gesprochen. Vornübergeneigt saß er
in seinem Sessel, und nur Lisas ersticktes Schluchzen drang durch
den Raum. Ein mattes Lächeln stand starr um seinen Mund.

„Ja, ja, es ist schon alles recht damit, Lisa, und es ist wohl das
beste, wenn Du nun fortgehft von mir — — —"

Er erhob sich und schritt durchs Zimmer. Hinter ihr stehend bannte
ihn Lisas Bild. Er hörte eine ferne Stimme: Sieh, das ist das
Leben, das Glück, das noch einmal zu Dir kommt und Dich an seinen
Tisch lädt. Geh mit, geh mit, das Ziel lockt nah und hell. Ein wilder
Trunk, ein Rausch, die Jugend, ein Weib, ein Kind, das Deinen
Namen trägt; nun rasch zupacken, ehe es zu spät ist.

Langsam aus gemessener Entfernung, hob er beide Arme nach der
geliebten kindhaften Frau; es sah aus, als wolle er die Morgensonne
umfangen, die nun voll und strahlend in das Zimmer floß. —
Längst hatte Lisa den Raum verlasse». Der Wagen war schon
bestellt. Sie kleidete sich rasch um und nabm von ihrem väterlichen
Freunde Abschied. Er sprach kein Wort. Er hielt nur fest ihre Hand

und küßte dann ihre Stirn. Eine Weile noch standen sie sich gegen-
über. Und während langsam ihre Hände voneinander glitten, starb
still das Märchen dieser Liebe, wie am Herd ein Brand verlischt.

*

Aber als der Frühling kommt, steht der Probst schon wieder in
seinem Garten. Er hat ein schweres Nervenfieber hinter sich, sieht
verfallen aus und ist alt geworden. Nicht wie früher pflegt er die
Blumen und Kräuter mit eigener Hand, dazu ist er noch zu schwach.
Das Breviarium Romanum in der Hand, schreitet er langsam über
die Gartenwege. Dann steht er plötzlich und sinnt geraume Zeit wie
über das Tun des Gärtnerburschen, der die Hecken lichtet. Zuweilen
bückt er sich und betastet mit scheuem Erstaunen ein knospendes Reis,
eine frühe Strauchblüte. Dabei lächelt er leise. Aber dieses Lächeln
ist fern und unmerklich, es spielt nur in den innersten Mundwinkeln.

Im Hause ist der Probst ganz verschlossen. Wenn die alte Mathilde
das Frühstück bringt und den schweigsamen, todbleichen Mann im
Sessel kauern sieht, kommen ihr die Tränen und im Hinausgehen
spricht sie ein Gebet für ihn. — — —

Nächte gehen und kommen. Eine ist wie die andere. Alles aber
wird gut und klar im Mantel der Zeit. Die Zeit ist unser bester
Freund und Tröster. Das weiß Stefansky und auch, daß er einmal
gestillt an diese Not denken wird und an diese Lenzabendc, da er
keine Lampe entzündet, da er sinnt und spinnt... und manchmal in
das Fell seines Hundes weint.

Sommerlicher Garten August Hirsching

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