DIE RENITENTE PHANTASIE
VON CAMILLO ABERT
Es gibt doch ganz merkwürdige Vorfälle im Leben, Vorfälle, die
man sich nicht erklären kann, die sehr selten sind.
Ein solcher Vorfall widerfuhr jüngst einem jungen Schriftsteller,
der für eine Zeitung ein Feuilleton schreiben wollte. Er war einer
jener Schriftsteller, die aus dem Vollen schöpfen, die nicht gezwun-
gen sind, mit ihren Einfällen hauszuhalten. Mit diesem Bewußtsein
setzte er sich an den Schreibtisch und begann folgende Geschichte:
Schwarz hockte der Fichtenwald auf den Hügeln, der Himmel er-
wartete flaschengrün die Nacht. Beängstigend still lag die Land-
schaft — kein Blatt bewegte sich. Da — — — knackte es im Unter-
holz — ein spitzes Fuchsgesicht sticht aus dem Gebüsch und verschwin-
in die schweren Stühle. Es bleibt ihnen aber nicht viel Zeit zur
Erholung, denn schon stürmt der Trupp der Verfolger heran. Vor
dem Hause parieren sie die Pferde; sie wissen, wie abgehetzt die Flücht-
linge sind, und vermuten sie im Hause. Einige springen von den
Gäulen, und nun donnern die Eisenhandschuhe und die Lanzenschäfte
gegen die Türe. Doch fest hält das Eichenholz mit den dicken Eisen-
bändern. Die anderen steigen von den Pferden und halten flüsternd
Kriegsrat. Dann huschen zwei hinters Haus und kommen nach kurzer
Zeit zurück, eine Leiter tragend. Leise wird sie an einen der vorspring-
enden Erker gelehnt, und einer beginnt vorsichtig hinauf zu steigen.
Schon ist er fast oben, da ertönt ein singender Ton, und der Bolzen
,,Genesung" (Mit Genehmigung des Verlags Fritz Gurlitt,
bet wieder. Doch das Geräusch genügte, um einen Raben von seinem
Schlafbaum aufzuschrecken. Schlaftrunken taumelt er aus die Straße,
dösend träumt er dort weiter. Doch nicht lange, da fährt er mit
jähem Ruck auf, dreht sich um und erschrickt derart, daß er käsebleich
wird; als weißer Rabe fliegt er in die Welt. Den größten Schreck
aber jagten ihm zwei wild daherstürmende Reiter ein. Tief auf den
Hals ihrer schäumenden Pferde gebückt, rasen die beiden durch oie
Nacht. Das Raffeln der Panzer und Wehrgehänge, das Geklapper
der Pferdehufe weckt im Wald ein gespenstiges Echo, das noch lange
nachhallt. Als sich der Wald beruhigt hat, schreckt neuer Lärm seine
Ruhe. Nun ist es ein ganzer Trupp Geharnischter, die in wildesten
Tempo die Straße hinter den beiden ersten herjagen. Wie ein böses,
stacheliges Fabeltier sehen sie in der sinkenden Finsternis aus. Einem
Gespenst gleich sind auch sie nun vorüber, entsetzte Stille liegt wieder
auf der Gegend.
Die beiden ersten Reiter sind indessen an ein Haus gekommen.
Weiß, wie aus Kreide, steht es im aufgegangenen Mond. Sie
springen von den taumelnden Pferden, die zwischen den Bäumen deö
Parkes verschwinden, haften in's Haus, und man hört sie die don-
nernd zugeschlagene Türe verrammeln. Keuchend poltern sie die höl-
zerne Treppe empor und stehen in einem getäfelten Zimmer mit
schwarzen Eichenmöbeln. Beide sinken erschöpft, nach Atem ringend,
Berlin» Wilhelm Wagner
einer Armbrust fährt ihm in den Kopf. Mit einer müden Bewegung
fällt der Getroffene hintenüber, die Untenstehenden mit Blut be-
sudelnd. Erschreckt aufschreiend schleppen sie den Toten hinters Haus.
Oben tritt mit kaltem Lächeln der eine der Verfolgten an's Fen-
ster. „Der Klettermann hat fein Teil! Heh', Jörg, schlaf' nicht!"
„Ich wollt', ich könnte schlafen." „Daran ist noch lange nicht zu
denken!"
„Ach was, hol' sie der Teufel! Das Hereinkommen werden wir
ihnen schon versalzen, und morgen früh wird sich ein Ausweg finden.
Ich will — — - riecht's hier nicht nach Rauch?"
Er sprang zum Fenster, fuhr aber sofort totenbleich zurück.
„Die Sckurken", keuchte er, „sie werfen Feuerbrände in das Erd-
geschoß."
Ein stickiger Rauchschwall drang durch die Türfugen.
Halb erstickt sprangen beide auf, und ihre Augen irrten durch den
Raum, einen Ausweg suchend.
„Himmel", keuchte Jörg, „jetzt geht's dahin. Wie in einer Mause-
falle sitzen wir da! Blödsinn! Hier herein zu kriechen!"
„Verdammt", fluchte der Andere, „wir verbrennen! Was will denn
die Bande eigentlich von uns?"
„Ich weiß auch nicht."
446
VON CAMILLO ABERT
Es gibt doch ganz merkwürdige Vorfälle im Leben, Vorfälle, die
man sich nicht erklären kann, die sehr selten sind.
Ein solcher Vorfall widerfuhr jüngst einem jungen Schriftsteller,
der für eine Zeitung ein Feuilleton schreiben wollte. Er war einer
jener Schriftsteller, die aus dem Vollen schöpfen, die nicht gezwun-
gen sind, mit ihren Einfällen hauszuhalten. Mit diesem Bewußtsein
setzte er sich an den Schreibtisch und begann folgende Geschichte:
Schwarz hockte der Fichtenwald auf den Hügeln, der Himmel er-
wartete flaschengrün die Nacht. Beängstigend still lag die Land-
schaft — kein Blatt bewegte sich. Da — — — knackte es im Unter-
holz — ein spitzes Fuchsgesicht sticht aus dem Gebüsch und verschwin-
in die schweren Stühle. Es bleibt ihnen aber nicht viel Zeit zur
Erholung, denn schon stürmt der Trupp der Verfolger heran. Vor
dem Hause parieren sie die Pferde; sie wissen, wie abgehetzt die Flücht-
linge sind, und vermuten sie im Hause. Einige springen von den
Gäulen, und nun donnern die Eisenhandschuhe und die Lanzenschäfte
gegen die Türe. Doch fest hält das Eichenholz mit den dicken Eisen-
bändern. Die anderen steigen von den Pferden und halten flüsternd
Kriegsrat. Dann huschen zwei hinters Haus und kommen nach kurzer
Zeit zurück, eine Leiter tragend. Leise wird sie an einen der vorspring-
enden Erker gelehnt, und einer beginnt vorsichtig hinauf zu steigen.
Schon ist er fast oben, da ertönt ein singender Ton, und der Bolzen
,,Genesung" (Mit Genehmigung des Verlags Fritz Gurlitt,
bet wieder. Doch das Geräusch genügte, um einen Raben von seinem
Schlafbaum aufzuschrecken. Schlaftrunken taumelt er aus die Straße,
dösend träumt er dort weiter. Doch nicht lange, da fährt er mit
jähem Ruck auf, dreht sich um und erschrickt derart, daß er käsebleich
wird; als weißer Rabe fliegt er in die Welt. Den größten Schreck
aber jagten ihm zwei wild daherstürmende Reiter ein. Tief auf den
Hals ihrer schäumenden Pferde gebückt, rasen die beiden durch oie
Nacht. Das Raffeln der Panzer und Wehrgehänge, das Geklapper
der Pferdehufe weckt im Wald ein gespenstiges Echo, das noch lange
nachhallt. Als sich der Wald beruhigt hat, schreckt neuer Lärm seine
Ruhe. Nun ist es ein ganzer Trupp Geharnischter, die in wildesten
Tempo die Straße hinter den beiden ersten herjagen. Wie ein böses,
stacheliges Fabeltier sehen sie in der sinkenden Finsternis aus. Einem
Gespenst gleich sind auch sie nun vorüber, entsetzte Stille liegt wieder
auf der Gegend.
Die beiden ersten Reiter sind indessen an ein Haus gekommen.
Weiß, wie aus Kreide, steht es im aufgegangenen Mond. Sie
springen von den taumelnden Pferden, die zwischen den Bäumen deö
Parkes verschwinden, haften in's Haus, und man hört sie die don-
nernd zugeschlagene Türe verrammeln. Keuchend poltern sie die höl-
zerne Treppe empor und stehen in einem getäfelten Zimmer mit
schwarzen Eichenmöbeln. Beide sinken erschöpft, nach Atem ringend,
Berlin» Wilhelm Wagner
einer Armbrust fährt ihm in den Kopf. Mit einer müden Bewegung
fällt der Getroffene hintenüber, die Untenstehenden mit Blut be-
sudelnd. Erschreckt aufschreiend schleppen sie den Toten hinters Haus.
Oben tritt mit kaltem Lächeln der eine der Verfolgten an's Fen-
ster. „Der Klettermann hat fein Teil! Heh', Jörg, schlaf' nicht!"
„Ich wollt', ich könnte schlafen." „Daran ist noch lange nicht zu
denken!"
„Ach was, hol' sie der Teufel! Das Hereinkommen werden wir
ihnen schon versalzen, und morgen früh wird sich ein Ausweg finden.
Ich will — — - riecht's hier nicht nach Rauch?"
Er sprang zum Fenster, fuhr aber sofort totenbleich zurück.
„Die Sckurken", keuchte er, „sie werfen Feuerbrände in das Erd-
geschoß."
Ein stickiger Rauchschwall drang durch die Türfugen.
Halb erstickt sprangen beide auf, und ihre Augen irrten durch den
Raum, einen Ausweg suchend.
„Himmel", keuchte Jörg, „jetzt geht's dahin. Wie in einer Mause-
falle sitzen wir da! Blödsinn! Hier herein zu kriechen!"
„Verdammt", fluchte der Andere, „wir verbrennen! Was will denn
die Bande eigentlich von uns?"
„Ich weiß auch nicht."
446