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29. JAHRGANG
DER FALL PA
VON EMIL G
Wenige Wochen, nachdem der Poftoberoffizial Josef Pappen-
deckel in den Ruhestand getreten war, erhielt er von seiner früheren
Vorgesetzten Behörde ein Schreiben. Darin hieß es, daß dortamtS
eine Partei erschienen sei, die sich auf eine seinerzeit mit ihm,
Pappendeckel, gepflogene Unterredung durch das Schalterfenster be-
rufe und aus dieser Unterredung Ansprüche ableite, die anscheinend
nicht zu Recht bestehen.
Da nur er, Pappendeckel, über den Inhalt obzitierter Unterredung
Aufschluß geben könne, möge er sich ehestens bei Direktor Klebstoff
einfinden.
Es hieß ausdrücklich, er möge. Pappendeckel erinnerte sich nicht,
daß ihm jemals während seiner Dienstzeit ein Vorgesetzter gesagt
habe, er möge. So las er dieses Wort einigemal und empfand es
wie einen duftigen Hauch, der ihm noch aus Amtspapieren nach-
TE N B
1924 / NR. 19
PPENDECKEL
RADL (WIEN)
wehte, wie ein nachträgliches Streicheln über seinen arbeitskrummen
Rücken. Nächsten Tag rasierte er sich, legte einen reinen Kragen um und
begab sich zum Amt, wo er über die strittige Unterredung Bericht
erstattete. Direktor Klebstoff hörte ihn freundlich an, streute sogar
einige wohlwollende Bemerkungen ein, und es fehlte nicht viel, so
hätte er Pappendeckel beim Weggehen bis zur Türe begleitet.
Ob nun Pappendeckel bei seinen täglichen ausgedehnten Spazier-
gängen der Versuchung unterlegen ist, mit seinen RuheftandSkolle-
gen über diesen Fall zu sprechen, oder ob die Kenntnis davon auf
anderen Wegen in weite Kreise getragen wurde, ist nicht feftzu-
stellen. Der angeborene Hang zur Eitelkeit jedoch, der Pappendeckel
eigen war, macht eS wahrscheinlicher, daß er selbst gelegentlich die
Sprache daraus brachte, um vor seinen Kollegen glänzend dazu-
stehen. „Meine frühere Vorgesetzte Behörde hat mich schriftlich ein-
Kaftanienbaum
Max Liebermann
467
29. JAHRGANG
DER FALL PA
VON EMIL G
Wenige Wochen, nachdem der Poftoberoffizial Josef Pappen-
deckel in den Ruhestand getreten war, erhielt er von seiner früheren
Vorgesetzten Behörde ein Schreiben. Darin hieß es, daß dortamtS
eine Partei erschienen sei, die sich auf eine seinerzeit mit ihm,
Pappendeckel, gepflogene Unterredung durch das Schalterfenster be-
rufe und aus dieser Unterredung Ansprüche ableite, die anscheinend
nicht zu Recht bestehen.
Da nur er, Pappendeckel, über den Inhalt obzitierter Unterredung
Aufschluß geben könne, möge er sich ehestens bei Direktor Klebstoff
einfinden.
Es hieß ausdrücklich, er möge. Pappendeckel erinnerte sich nicht,
daß ihm jemals während seiner Dienstzeit ein Vorgesetzter gesagt
habe, er möge. So las er dieses Wort einigemal und empfand es
wie einen duftigen Hauch, der ihm noch aus Amtspapieren nach-
TE N B
1924 / NR. 19
PPENDECKEL
RADL (WIEN)
wehte, wie ein nachträgliches Streicheln über seinen arbeitskrummen
Rücken. Nächsten Tag rasierte er sich, legte einen reinen Kragen um und
begab sich zum Amt, wo er über die strittige Unterredung Bericht
erstattete. Direktor Klebstoff hörte ihn freundlich an, streute sogar
einige wohlwollende Bemerkungen ein, und es fehlte nicht viel, so
hätte er Pappendeckel beim Weggehen bis zur Türe begleitet.
Ob nun Pappendeckel bei seinen täglichen ausgedehnten Spazier-
gängen der Versuchung unterlegen ist, mit seinen RuheftandSkolle-
gen über diesen Fall zu sprechen, oder ob die Kenntnis davon auf
anderen Wegen in weite Kreise getragen wurde, ist nicht feftzu-
stellen. Der angeborene Hang zur Eitelkeit jedoch, der Pappendeckel
eigen war, macht eS wahrscheinlicher, daß er selbst gelegentlich die
Sprache daraus brachte, um vor seinen Kollegen glänzend dazu-
stehen. „Meine frühere Vorgesetzte Behörde hat mich schriftlich ein-
Kaftanienbaum
Max Liebermann
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