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geladen, ich möge," sagte er etwa leichthin und wartete die Wir-
kung ab.

Wären die Gemüter der also Angesprochenen nicht von politischen
Maximen vergiftet gewesen, so hätten sie aus Pappendeckels Mit-
teilung immerhin eine kleine Freude herauskeltern können, sie hätten
aus der Tatsache, daß es auch für den Staat Fälle gibt, wo er
einen seiner untergeordnetsten Diener sozusagen um eine Gefälligkeit
ersuchen muß, sich ein neues Wertmaß ihrer Persönlichkeit schaffen
können. Da sie jedoch in der von Stcuerverwalter Dringlich ge-
gründeten Organisation staatlicher Ruheständler geschult worden
waren, jedes Geschehen ausschließlich von der parteipolitischen Warte
dieser Organisation zu betrachten, verdarben ihnen Freuden solcher
Art im Keime. Und so geschah es, daß Pappendeckels Mitteilung
nicht nur keinen freudigen Widerball fand, sondern sogar ein Ge-
fühl der Erbitterung hervorricf, weil eine Behörde eS gewagt hatte,
an dem von Dringlich als Eckpfeiler der Organisation geschaffenen
Prinzip des NullftundentageS für alle staatlichen Ruheständler zu
rütteln. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß im Falle
Pappendeckel ein heimtückischer Versuch erblickt werden mußte,
durch heuchlerische Vorspiegelung einer übertrieben höflichen Auffor-
derung Rubeständler zu Arbeitsleistungen beranzuziehen, auf die der
Staat keinen Anspruch mehr erheben durfte. War aber erst einmal
auf solche Weise da? Prinzip des Nullstundentages durchbrochen,
war erst einmal das mühselig gefestigte Klassenbewußtsein der Ruhe-
ständler erschüttert, dann war es nicht abzusehen, wo die staatlichen
Willkürakte ibre Grenze finden würden.

Das erste, was Dringlich tat, nachdem er den Fall Pappendeckel

geprüft hatte, war, daß er einen Konflikt herauswachsen sah. Er
zweifelte keinen Augenblick daran, daß dieser Vorstoß gegen die Er-
rungenschaften der lebten Jahre im Aufträge der Regierung erfolgt
sei und daß diese nicht mehr und nicht weniger anstrebe, als ein
allgemeines Verbot des von Dringlich geprägten Schlagwortes: „A
Rua möcht ma Ham". Es muß zugestandcn werden, daß dieses ur-
sprünglich nur den Mitgliedern des Verbandes der staatlichen Ruhe-
ständler zur Hochhaltung empfohlene Wort vielfach Verwirrungen
angerichtet hatte und daraus soziale Konflikte entstanden waren,
die der Regierung schon wiederholt ernstliche Schwierigkeiten be-
reiteten. Denn es ließ sich bei der ungeheueren Volkstümlichkeit
dieses Wortes leider nicht vermeiden, daß es auch in Berufskreisen
Eingang fand, die keinen Anspruch darauf erheben durften, sich nach
dem Leitsatz: „A Rua möcht ma ham" auszuleben. Bald gab es im
ganzen Lande kaum eine Berufsschichte mehr, die sich nicht, teils
verblümt, teils unverblümt, zu diesem unbefugt aufgegriffenen Grund-
satz bekannt hätte. Was Wunder, daß es zu schweren Konflikten
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern kam, daß innerpolitische
Verwicklungen von größter Tragweite den Bestand des Parlamen-
tes gefährdeten und daß es nach mehrfachen Ministerstürzen der Re-
gierung nur mit Mühe gelang, eine allseits befriedigende Lösung
dieser schwierigen Frage zu finden. Sic anerkannte, daß es jedem
Bürger freistehe, den Leitsatz: „A Rua möcht ma Ham" still im
Herzen zu tragen, verbot es aber allen in einem Arbeitsverhältnis
Stehenden, ihn in die Tat umzusetzen. Für die meisten Berufskreise
wurde eine Mindestzabl von täglich zu leistenden Spatenstichen,
Schritten, Worten, Hammerschlägen, Federstrichen und ähnlichen

Nach dem Gewitter Heinrich Kley

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Heinrich Kley: Nach dem Gewitter
 
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