Weigerung der seinerzeiti-
gen Aufnahme in den
Verband der Rubeständ-
ler anzudrohen. Damit
war diese erste Attacke
abgeschlagen. Gemeinsam
niit Bellina raste Dring-
lich im Auto von Amt zu
Amt und überzeugte sich
überall von der genauen
Durchführung seiner In-
struktionen. Es war ein
erhebender Anblick, wie
die Streikenden die Räu-
me füllten und unter den
schwierigsten Verhältnis-
sen ihren Arbeiten obla-
gen. Da gab es solche,
die auf hohen Stellagen
saßen und schrieben oder
rechneten, wobei ihnen die
eigenen Knie als Schreib-
tische dienten, es gab sol-
che, die am Fußboden lie-
gend in Faszikeln wühl-
ten. Hinter den öffentli-
chen Schaltern drängten
sich ganze Trauben von
Beamten und harrten un-
geduldig der nächsten Par-
tei entgegen. Erschien
Hne solche, so setzte jeder
seinen ganzen Ehrgeiz
darein, sie so rasch als
möglich abfertigen zu dür-
fen. Es war klar, daß
nur ein tief eingewurzeltes
Klassenbewußtsein solche
Selbftentäußerung zeitigen
konnte. Bellina kämpfte
bei seinen Kontrollgängen
häufig mit den Tränen.
Die Öffentlichkeit sah
mit begreiflicher Span-
nung dem Ausgang dieses Kampfes entgegen, und die Presse stellte,
wie sie es bei solchen Anlässen immer tut, Vermutungen auf. Nie-
mand konnte vorerst ein klares Bild gewinnen von den beabsichtig-
ten Wirkungen des Streiks, denn Dringlich und Bellina büllten
sich hierüber in Schweigen. Als aber die ersten Züge abgingen und
auch nicht ein Fahrgast darin Platz finde» konnte, weil alle Plätze
von diensttuenden Ruheständlern belegt waren, machte sich die erste
Beunruhigung fühlbar. Die Züge liefen zwar jetzt mit ungeahnter
Pünktlichkeit aus und ein, aber niemand hatte etwas davon. In
der weiteren Folge stellte es sich heraus, daß die Briefe die ge-
wohnte Laufzeit von 8—IO Tagen für kurze Strecken nicht mehr
einhielten, was zu schweren Verlegenheiten bei den Kaufleuten
führte, da gewisse Nachrichten oft viel zu früh in die Hände von
Geschäftsfreunden kamen. Auch im telephonischen Verkehr ergaben
sich Unzukömmlichkeiten. Denn kaum batte jemand die Nummer,
mit der er verbunden werden wollte, ausgesprochen, so war er auch
schon mit ihr verbunden. Gewöbnt, sich in der bisher reichlichen
Zwischenzeit erst das beabsichtigte Gespräch zurecktzulegen, sahen sich
jetzt alle um diese notwendige Überlegungöfrist geprellt und mußten
sozusagen aus dem Stegreif Geschäfte abwickeln, Rendezvous fest-
setzen oder Entschuldigungen für nicht eingcbaltenc Versprechen Vor-
bringen. Es muß hier erwähnt werden, daß die Bewohner des Lan-
des, in welchem sich dieser Streik zutrug, seit Generationen einem
äußerst gemächlichen Lebenstempo huldigten und sich daher nicht so
ohne weiteres solchen er-
böhten geistigen Ansprü-
chen gewachsen fühlten.
Trotzdem sich die Fol-
gen des Streiks in der
geschilderten Weise recht
unangenehm bemerkbar
machten, führten die wie-
derholt angesponnenen
Einigungsversuche zu kei-
nem Ergebnis. Die Re-
gierung erklärte sich zwar
bereit, ein neuerliches Be-
kenntnis zum Nullstun-
dentag der Ruheständler
abzulegen, wies aber dar-
auf hin, daß sie keine
Möglichkeit habe, die von
Pappendeckel gemachte
Aussage aus dem Kops
des Direktors Klebstoff
zu löschen. Diese offen-
kundige Böswilligkeit löste
einen Sturm der Ent-
rüstung in den links-
orientierten Blättern aus
und Bellina als Wort-
führer der Streikenden
beharrte jetzt umso ent-
schiedencr auf der Erfül-
lung dieser Forderung.
Mit einem Pathos son-
dergleichen entwarf er ein
Bild der traurigen Lage
der Ruheständler, die
durch eine gewissenlose
Regierung in die Zwangs-
lage versetzt seien, zu ar-
beiten. Stellagen, Spuck-
näpfe und Fensterbretter
müßten diesen Ärmsten
der Armen als Arbeits-
stätten dienen und manche
Büros seien so überfüllt,
daß an ein Sitzen überhaupt nicht zu denken sei. Auch ein Todes-
opfer habe der Streik bereits gefordert, denn als der Postassistent
II- Klasse Alois Petschaft beim Postamt Nr. I I I, Schalter
seinen Kopf hinausstrccktc, um eine Partei abzufertigen, wurde sei»
Hals von den Nachdrängcnden mit solcher Wucht gegen den Schal-
tcrrabmen gepreßt, daß Petschaft erstickte. Ehre diesem Klassenbe-
wußtcn! Aber die Regierung möge sich keinen Täuschungen hin-
geben, daß durch solche Zwischenfälle etwa die Entschlossenheit der
Streikenden Nachlasse» könnte. Es sei im Gegenteil bei weiterer lln
Nachgiebigkeit der Regierung ein Sympathiestreik der VersorgungS-
bäuscr und der Kleinrentner geplant. Er aber, Bellina, weise schon
jetzt die Verantwortung für die vorauszusehenden katastrophalen
Folgen zurück.
Mittlerweile war die Stimmung der Öffentlichkeit immer erreg-
ter geworden. Da da§ Postpersonal trotz allem noch an ArbeitS-
mangel litt, gingen Patrouillen von Haus zu Haus, um den Parteien
die kaum noch fertiggeftellten, oft nicht unterschriebenen Briefschaften
aus der Hand zu reiße» und ihren Bestimmungsorten zuzuführen.
Ganz gewöhnliche Briefe wurden in stockschlafender Nacht zugcstellt,
die Telephonabonnenten erhielten ununterbrochen Anfrage» von der
Zentrale, ob sie etwa mit dieser oder jener Nummer zu sprechen
wünschten. Viele Angehörige der begüterten Kreise erlitten Anfälle
von Schwermut, weil sie sich durch die prompte Arbeit der Steucr-
ämter in ihren Hoffnungen getäuscht sahen, ihre Steuern in einer
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gen Aufnahme in den
Verband der Rubeständ-
ler anzudrohen. Damit
war diese erste Attacke
abgeschlagen. Gemeinsam
niit Bellina raste Dring-
lich im Auto von Amt zu
Amt und überzeugte sich
überall von der genauen
Durchführung seiner In-
struktionen. Es war ein
erhebender Anblick, wie
die Streikenden die Räu-
me füllten und unter den
schwierigsten Verhältnis-
sen ihren Arbeiten obla-
gen. Da gab es solche,
die auf hohen Stellagen
saßen und schrieben oder
rechneten, wobei ihnen die
eigenen Knie als Schreib-
tische dienten, es gab sol-
che, die am Fußboden lie-
gend in Faszikeln wühl-
ten. Hinter den öffentli-
chen Schaltern drängten
sich ganze Trauben von
Beamten und harrten un-
geduldig der nächsten Par-
tei entgegen. Erschien
Hne solche, so setzte jeder
seinen ganzen Ehrgeiz
darein, sie so rasch als
möglich abfertigen zu dür-
fen. Es war klar, daß
nur ein tief eingewurzeltes
Klassenbewußtsein solche
Selbftentäußerung zeitigen
konnte. Bellina kämpfte
bei seinen Kontrollgängen
häufig mit den Tränen.
Die Öffentlichkeit sah
mit begreiflicher Span-
nung dem Ausgang dieses Kampfes entgegen, und die Presse stellte,
wie sie es bei solchen Anlässen immer tut, Vermutungen auf. Nie-
mand konnte vorerst ein klares Bild gewinnen von den beabsichtig-
ten Wirkungen des Streiks, denn Dringlich und Bellina büllten
sich hierüber in Schweigen. Als aber die ersten Züge abgingen und
auch nicht ein Fahrgast darin Platz finde» konnte, weil alle Plätze
von diensttuenden Ruheständlern belegt waren, machte sich die erste
Beunruhigung fühlbar. Die Züge liefen zwar jetzt mit ungeahnter
Pünktlichkeit aus und ein, aber niemand hatte etwas davon. In
der weiteren Folge stellte es sich heraus, daß die Briefe die ge-
wohnte Laufzeit von 8—IO Tagen für kurze Strecken nicht mehr
einhielten, was zu schweren Verlegenheiten bei den Kaufleuten
führte, da gewisse Nachrichten oft viel zu früh in die Hände von
Geschäftsfreunden kamen. Auch im telephonischen Verkehr ergaben
sich Unzukömmlichkeiten. Denn kaum batte jemand die Nummer,
mit der er verbunden werden wollte, ausgesprochen, so war er auch
schon mit ihr verbunden. Gewöbnt, sich in der bisher reichlichen
Zwischenzeit erst das beabsichtigte Gespräch zurecktzulegen, sahen sich
jetzt alle um diese notwendige Überlegungöfrist geprellt und mußten
sozusagen aus dem Stegreif Geschäfte abwickeln, Rendezvous fest-
setzen oder Entschuldigungen für nicht eingcbaltenc Versprechen Vor-
bringen. Es muß hier erwähnt werden, daß die Bewohner des Lan-
des, in welchem sich dieser Streik zutrug, seit Generationen einem
äußerst gemächlichen Lebenstempo huldigten und sich daher nicht so
ohne weiteres solchen er-
böhten geistigen Ansprü-
chen gewachsen fühlten.
Trotzdem sich die Fol-
gen des Streiks in der
geschilderten Weise recht
unangenehm bemerkbar
machten, führten die wie-
derholt angesponnenen
Einigungsversuche zu kei-
nem Ergebnis. Die Re-
gierung erklärte sich zwar
bereit, ein neuerliches Be-
kenntnis zum Nullstun-
dentag der Ruheständler
abzulegen, wies aber dar-
auf hin, daß sie keine
Möglichkeit habe, die von
Pappendeckel gemachte
Aussage aus dem Kops
des Direktors Klebstoff
zu löschen. Diese offen-
kundige Böswilligkeit löste
einen Sturm der Ent-
rüstung in den links-
orientierten Blättern aus
und Bellina als Wort-
führer der Streikenden
beharrte jetzt umso ent-
schiedencr auf der Erfül-
lung dieser Forderung.
Mit einem Pathos son-
dergleichen entwarf er ein
Bild der traurigen Lage
der Ruheständler, die
durch eine gewissenlose
Regierung in die Zwangs-
lage versetzt seien, zu ar-
beiten. Stellagen, Spuck-
näpfe und Fensterbretter
müßten diesen Ärmsten
der Armen als Arbeits-
stätten dienen und manche
Büros seien so überfüllt,
daß an ein Sitzen überhaupt nicht zu denken sei. Auch ein Todes-
opfer habe der Streik bereits gefordert, denn als der Postassistent
II- Klasse Alois Petschaft beim Postamt Nr. I I I, Schalter
seinen Kopf hinausstrccktc, um eine Partei abzufertigen, wurde sei»
Hals von den Nachdrängcnden mit solcher Wucht gegen den Schal-
tcrrabmen gepreßt, daß Petschaft erstickte. Ehre diesem Klassenbe-
wußtcn! Aber die Regierung möge sich keinen Täuschungen hin-
geben, daß durch solche Zwischenfälle etwa die Entschlossenheit der
Streikenden Nachlasse» könnte. Es sei im Gegenteil bei weiterer lln
Nachgiebigkeit der Regierung ein Sympathiestreik der VersorgungS-
bäuscr und der Kleinrentner geplant. Er aber, Bellina, weise schon
jetzt die Verantwortung für die vorauszusehenden katastrophalen
Folgen zurück.
Mittlerweile war die Stimmung der Öffentlichkeit immer erreg-
ter geworden. Da da§ Postpersonal trotz allem noch an ArbeitS-
mangel litt, gingen Patrouillen von Haus zu Haus, um den Parteien
die kaum noch fertiggeftellten, oft nicht unterschriebenen Briefschaften
aus der Hand zu reiße» und ihren Bestimmungsorten zuzuführen.
Ganz gewöhnliche Briefe wurden in stockschlafender Nacht zugcstellt,
die Telephonabonnenten erhielten ununterbrochen Anfrage» von der
Zentrale, ob sie etwa mit dieser oder jener Nummer zu sprechen
wünschten. Viele Angehörige der begüterten Kreise erlitten Anfälle
von Schwermut, weil sie sich durch die prompte Arbeit der Steucr-
ämter in ihren Hoffnungen getäuscht sahen, ihre Steuern in einer
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