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KISMET

VON EGAS v. WENDEN

AlkaSlan war geschaffen, sein Leben in einem Hamac zu verbrin-
gen, sich in einem Palankin durch die Straßen tragen zu lassen und
dem trägen Rauch eines Nargileh nachzuträumen. Aus seinen Augen-
winkeln blitzte zuweilen die Sonne des Orients, und aus seinen'
Blicke sprach, wenn er ihn hob, die Erfahrung von Jahrtausenden.
Das Schicksal wollte, daß er in Deutschland zur Welt kam, und
daß er zur Schule gehen mußte.

Wenn er auf seinen dicken, viel zu kurzen Beinen der Anstalt
zuschlenderte, der seine Bildung anver-
traut war, und er die vorüberrollenden
Equipagen betrachtete, so stöhnte er
leise. Dort flog sein Klassenkamerad
Reinhold, von zwei Juckern gezogen,
in seinem gelben Wagen, demselben
Ziele zu. Der Sohn kerndeutscher El-
tern! Warum ging er, AlkaSlan, zu
Fuß? War Mohammed Ali, sei»

Vater, etwa ärmer als Reinhold & Co.

Nein!! Mohammed Ali war unermeß-
lich reich und wurde immer reicher,
während ReinholdS Mutter mehr aus-
gab, als sie veranworten konnte. Das
wußten alle Leute. Und stammten nicht
AlkaSlanS Eltern aus einem Lande,
in dem der Reiche keinen Schritt zu
Fuß geht? Sie waren Levantiner.

Aber Alkaölan sollte auf deutsche Art
erzogen werden.

Der alte Mohammed Ali hatte seine
Vorliebe für Deutschland nie ver-
hehlt. Sie hatte ihm den Rang eines
Generalkonsuls und hohe Orden ein-
getragen. Und doch war sie ohne Be-
rechnung. „Mein Sohn erhält eine
deutsche Erziehung", erzählte er über-
all mit Stolz.

Wie unmilitärische Väter oft nichts
sehnlicher wünschen, als ihre Söhne in
Uniform zu sehen, so hatte Mohammed
Ali, selber voll heimlichen Grauens
vor Abhärtung und körperlicher Be-
weglichkeit, den heißen Wunsch, AlkaS-
lan so frisch und gewandt zu machen,
wie die Kinder seiner deutschen Be
kannten waren. Und darum sollte er
den Schulweg zu Fuß zurücklegen.

Einmal, als er der Klagen über Al-
kaslans Trägheit müde war, beschloß
Mohammed Ali, seinen Sohn in einem Kadettenkorps unterzubrin-
gcn. Aber als sie durch die kahlen Korridore im Sprechzimmer des
Stabsarztes angelangt waren und vom Fenster aus zufchauten, wie
all die strammen blonden Jungens in den sä,mucken Uniformen
turnten, da sahen sich beide, Vater und Sohn, in die Augen, und hier
zum ersten Male erkannte Mohammed Ali die Unmöglichkeit seines
Vorhabens. Schweigend entfernte er sich mit AlkaSlan, noch ehe der
Korpsarzt sie empfing. Von diesem Tage an begann die Erziehung
Alkaslans die preußische Linie zu verlassen und im Zickzack zu gehen.
Mohammed Ali, bisher so streng, drückte gelegentlich ein Auge zu.
Und AlkaSlan fing an zu leben wie er wollte: er schwänzte hin und
wieder die Schule; oder, wenn er sie besuchte, so durste er in einem
der bequemen Wagen seines Vaters fahren. Schließlich ließ Mo-
hammed Ali seinen Sohn von Privatlehrern unterrichten. Es kam
ihm vor, als habe er schnell etwas wieder gut zu machen. Kurz nack-
dcm AlkaSlan mündig geworden, starb Mohammed Ali mit dem

Gefühle, sein HauS bestellt zu haben. Er hielt sein kolossales Ver-
mögen und die Zukunft Alkaslans für gesichert.

AlkaSlan brach nun auch die letzten Beziehungen zur Schule ab.
Er entlohnte seine Lehrer reichlich und überlegte Stunden-, Tage-,
Wochenlang in seinem Hamac liegend, was er wohl tun könne.

Zeneida, seine Mutter, mit der Pflege ihrer Leiden vollauf be-
schäftigt, siedelte in ein Sanatorium über. Sie wußte, ihr Sohn hatte
alles,was er brauchte, und AlkaSlan seinerseits konnte nicht anders,

als den Entschluß seiner Mutter bil-
ligen. Er liebte sie sehr, solange sie ge-
trennt waren. Ihn dünkte dann, daß
er jedes Opfer für sie bringen könnte.
Aber wenn sie zusammen waren, hatte
die früh gealterte Frau die Angewohn-
heit, die Schrecken der Armut, die sie
nur vom Hörensagen kannte, in den
krassesten Farben auszumalen, denn sie
ließ sich von den Damen, die ihre Wohl-
täligkcitSvcreine leiteten, ausführlich
über das Elend berichten und erfuhr
durch sie auch wohl von den umstürz-
lerifchen Bestrebungen gewisser Grup-
pen. „Enteignung", das war das
Todeswort. Bankerott war ein schlim-
mes Ding, das wußte sie aus dem
geschäftlichen Leben ihres Mannes, aber
auf ihm konnte man neu aufbauen und
noch reicher werden. Doch Enteignung,
dagegen war kein Kraut gewachsen.
Man wäre zum Leben einer Henne
verurteilt, der die Eier immer wieder
fortgenommen werden. Die Arzte ver-
ordneten eine lange Kur gegen diese
Krankheit, und so schieden Mutter und
Sohn.

„Das Schicksal weiß und tut immer,
was es will," sagte sich AlkaSlan. „Und
auch ich wußte schon als Kind besser
als mein guter Vater, was es mit mir
vorhatte. Er wollte einen Mitteleuro-
päer aus mir machen. Das war ver-
kehrt. Spartanische Sitten ziemen sich
für Spartaner, nicht für mich. Ich bin
dick und unbeholfen, alles Turnen hat
daran nichts geändert. Es hat mich
nur unglücklich gemacht. Soll ich, um
länger zu leben, oder besser, um länger
gesund zu leben, mein Dasein auf eine
mir völlig unbequeme Weise verbringen? Ich esse gern gut und viel.
Das macht dick, und das gilt hierzulande für unschön. Ich schlafe
gern lange. Das macht noch dicker. Man lacht mich und meines-
gleichen aus. Woran liegt das? Weil wir „Gebildeten" aller Länder
ü l’anglaise gekleidet gehen. Das junge Europa zwingt dem uralten
Asien seinen Stil auf. Welch eine Anmassung! Dürften wir alle, wir
nomadisierenden Fremden unangefochten in unseren Nationalkleidern
gehen, die Welt wäre bunter und ... weniger nationalistisch, denn
es käme uns immer wieder zum Bewußtsein, daß jenseits der Berge
auch noch Menschen wohnen und zwar sehr verschiedene. Ich zum
Beispiel müßte bequeme levantinische Gewänder tragen, aus Seide
und mit Juwelen geschmückt."

Lange sprach Alkaslan so mit sich. Dann beschloß er, sich ein Auto
bauen zu lassen, in dem er liegen konnte und langsam durch die Welt
zu fahren. Er reiste nicht allein. Alleinsei» war ihm entsetzlich. Scho»
als Schüler hatte er immer einen Kameraden um sich. Er wählte ihn mit

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Richard Blank: Stiller Winkel
Egas v. Wenden: Kismet
 
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