GEWITTER
SKIZZE VON ELSA MARIA BUD / MIT ILLUSTRATIONEN VON ARNO PAUL
Sie schlang das Kopftuch ums blonde Haar und strich die gefaltete
weiße Schürze wieder und wieder glatt. Die Mutter kam zu der Zögern-
den herein und rief:
„Et kommt en Jewitter! Machst de nu nich, Mächen?"
„Mir iS so bange vor, Mutter! Wenn die Alte da is und steht mir,
dann jagt se de Hunde, hat se jesagt!"
„Die hat was zu jagen! Bist de nich als en anständiges Mächen uf
en Hof gekommen? Nu hängt Dir det Wurm ewig an! Geh man jleich
zu ihm; er iS doch nich so. Weeßt ja, was de zu sagen hast-"
Berta nickte in den kleinen Spiegel hinein, der ihr Gesicht ganz schief
zeigte: die Nase lang, ein Auge klein, das Kinn verschwindend. Sir
duckte sich und suchte eine beffere Stelle im Glas. HerrjeseS, sie war
doch keine Scheuche. Die Mutter murrte hinaus und wartete an der
Haustür, bis die Junge gegangen war.
Hinter dem letzten Haus des Dorfes war der Gänsepfuhl, dann kamen
Felder. Soweit das Auge griff, Felder: nichts dazwischen als die Kirsch-
baum-Chausiee und die Riesenstücke gilbenden Roggens, grünbrauner
Kartoffeln, goldner Lupinen. Berta kniff die Augen ein und sog den
feinen Duft des blühenden Krauts. Unter verhängtem Himmel ging es
sich gut-ah. Sie legte den rechten Arm aus und ließ die rechte Hand
über die weichen Ähren hinstreichen. Dann wurde es dunkel, und irgend-
wo rollte es. Aber das war ein Wagen, der durch die Einsamkeit heran-
kam. Sie spähte; ihr Herz sing zu hämmern an. Ein Iagdgefährt mit
einem Falben davor, das gab es nur einmal hier! Das kam vom Ritter-
gut und vielleicht-wäre das Glück oder Unglück, wenn sie ihn hier
traf. Sie hatte es nicht zu Ende denken können; der Herr von Schmieter
saß im Wagen, schien sie erkannt
zu haben und hielt den Traber an.
„Na, Tag, Berta!" Er rückte
leicht am grünen Hut; sein frisches
Gesicht verwandelte sich mit dem
Lächeln zum Jünglingswesen zu-
rück. Nur in der Ruhe sah man
ihm die 4O Jahre an, die er hatte.
„Ich wollte zu Dir — zu Ihnen
— ich, es ist mir um was zu tun,"
stotterte Berta heraus und reichte
ihm mit gesenktem Kopf die Hand
hinauf.
„Soso, zu mir. Sitz auf, wir
kriegen das Wetter, glaube ich.
Soll ich Dich nicht beffer heim-
fahren und Du erzählst mir schnell,
wag du willst?"
Er war nicht so ganz leichten
Sinnes, als er sich gab. Etwas mit
dem Kind wieder, erwog er für
sich; das war eine Last, die immer zunahm. Sie kletterte auf und lachte
ein bißchen; ein jäher Wind setzte sich in ihre Schürze und nahm ihr
das Tuch vom Haar. Jetzt rollte auch der erste Donner. Nun war sie
hübsch; die Backen glühten an, lose Blondhärchen pendelten um die
Ohren; den strengen Scheitel zauste der Wind.
„Also weiterfahren oder umkehren?"
Das Pferd stand unruhig.
„Im Dorf reden sie wieder über mir, Herr Hauptmann, und ich bin
doch verlobt-"
„Also umkehren!" Ein Zungenschnalzer. Schon bog der Hengst und
sauste den staubenden Weg entlang. Der Gutsherr sah ins Weite; fort
von dem blühenden Weibsbild:
„Na, das freut mich ja ehrlich, Berta, daß du nun 'neu Mann nimmst.
Wer ist es denn?"
„Einer von der Uckermark, wo ich das Jahr im Dienst war. Ein Gast-
wirtSsohn, aber er steht sich nicht mit seinem Vater — " sie brach ab und
wollte es sich nochmal überlegen, ehe sie weiter sprach. Der Wagen ratterte
jetzt auf Kopfsteinen, — vielleicht hörte er nur halb.
„So, kein Hiesiger —." Er sah hinter sich. „Deubel, wir schaffens
nicht mehr, eS ist gleich hoch."
Er hielt nach einer Weile und holte seinen Gummimantel aus dem
Kasten.
„Warum bist du denn bei dem drohenden Wetter los?"
Sie sah ängstlich in die schwüle Dämmerung; blauschwar; stand es
über dem unendlichen Korngewoge.
„Ich wollte doch den Herrn heute noch was bitten, denn morgen
kommt mein Schatz, und denn soll
es jemacht sein. Ich Hab mir im-
mer gefürchtet, wegen die jnädije
Frau Mutter." — Sie zog die
Lippen, das Weinen saß ihr schon
im Halse.
Der Donner kam jetzt kurz und
gewaltig; von drei Seilen zuckten
die Blitzschlangen heran.
„Meine Mutter ist in Berlin.
Aber wir erreichensja nicht mehr."
„Da — nun geht es los." Er riß
das Pferd in einen Feldweg herein
und trieb es zur höchsten Eile.
„Wohin fahren wir denn, ach
Herrieses?"schrieBerta aufgeregt
und suchte ihr Tuch wieder über
den Kopf zu bringen. Große Trop-
fen klatschten; die verdorrte Erde
sog sie spurlos auf.
„Zur Schnitterhütte, wir müs-
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SKIZZE VON ELSA MARIA BUD / MIT ILLUSTRATIONEN VON ARNO PAUL
Sie schlang das Kopftuch ums blonde Haar und strich die gefaltete
weiße Schürze wieder und wieder glatt. Die Mutter kam zu der Zögern-
den herein und rief:
„Et kommt en Jewitter! Machst de nu nich, Mächen?"
„Mir iS so bange vor, Mutter! Wenn die Alte da is und steht mir,
dann jagt se de Hunde, hat se jesagt!"
„Die hat was zu jagen! Bist de nich als en anständiges Mächen uf
en Hof gekommen? Nu hängt Dir det Wurm ewig an! Geh man jleich
zu ihm; er iS doch nich so. Weeßt ja, was de zu sagen hast-"
Berta nickte in den kleinen Spiegel hinein, der ihr Gesicht ganz schief
zeigte: die Nase lang, ein Auge klein, das Kinn verschwindend. Sir
duckte sich und suchte eine beffere Stelle im Glas. HerrjeseS, sie war
doch keine Scheuche. Die Mutter murrte hinaus und wartete an der
Haustür, bis die Junge gegangen war.
Hinter dem letzten Haus des Dorfes war der Gänsepfuhl, dann kamen
Felder. Soweit das Auge griff, Felder: nichts dazwischen als die Kirsch-
baum-Chausiee und die Riesenstücke gilbenden Roggens, grünbrauner
Kartoffeln, goldner Lupinen. Berta kniff die Augen ein und sog den
feinen Duft des blühenden Krauts. Unter verhängtem Himmel ging es
sich gut-ah. Sie legte den rechten Arm aus und ließ die rechte Hand
über die weichen Ähren hinstreichen. Dann wurde es dunkel, und irgend-
wo rollte es. Aber das war ein Wagen, der durch die Einsamkeit heran-
kam. Sie spähte; ihr Herz sing zu hämmern an. Ein Iagdgefährt mit
einem Falben davor, das gab es nur einmal hier! Das kam vom Ritter-
gut und vielleicht-wäre das Glück oder Unglück, wenn sie ihn hier
traf. Sie hatte es nicht zu Ende denken können; der Herr von Schmieter
saß im Wagen, schien sie erkannt
zu haben und hielt den Traber an.
„Na, Tag, Berta!" Er rückte
leicht am grünen Hut; sein frisches
Gesicht verwandelte sich mit dem
Lächeln zum Jünglingswesen zu-
rück. Nur in der Ruhe sah man
ihm die 4O Jahre an, die er hatte.
„Ich wollte zu Dir — zu Ihnen
— ich, es ist mir um was zu tun,"
stotterte Berta heraus und reichte
ihm mit gesenktem Kopf die Hand
hinauf.
„Soso, zu mir. Sitz auf, wir
kriegen das Wetter, glaube ich.
Soll ich Dich nicht beffer heim-
fahren und Du erzählst mir schnell,
wag du willst?"
Er war nicht so ganz leichten
Sinnes, als er sich gab. Etwas mit
dem Kind wieder, erwog er für
sich; das war eine Last, die immer zunahm. Sie kletterte auf und lachte
ein bißchen; ein jäher Wind setzte sich in ihre Schürze und nahm ihr
das Tuch vom Haar. Jetzt rollte auch der erste Donner. Nun war sie
hübsch; die Backen glühten an, lose Blondhärchen pendelten um die
Ohren; den strengen Scheitel zauste der Wind.
„Also weiterfahren oder umkehren?"
Das Pferd stand unruhig.
„Im Dorf reden sie wieder über mir, Herr Hauptmann, und ich bin
doch verlobt-"
„Also umkehren!" Ein Zungenschnalzer. Schon bog der Hengst und
sauste den staubenden Weg entlang. Der Gutsherr sah ins Weite; fort
von dem blühenden Weibsbild:
„Na, das freut mich ja ehrlich, Berta, daß du nun 'neu Mann nimmst.
Wer ist es denn?"
„Einer von der Uckermark, wo ich das Jahr im Dienst war. Ein Gast-
wirtSsohn, aber er steht sich nicht mit seinem Vater — " sie brach ab und
wollte es sich nochmal überlegen, ehe sie weiter sprach. Der Wagen ratterte
jetzt auf Kopfsteinen, — vielleicht hörte er nur halb.
„So, kein Hiesiger —." Er sah hinter sich. „Deubel, wir schaffens
nicht mehr, eS ist gleich hoch."
Er hielt nach einer Weile und holte seinen Gummimantel aus dem
Kasten.
„Warum bist du denn bei dem drohenden Wetter los?"
Sie sah ängstlich in die schwüle Dämmerung; blauschwar; stand es
über dem unendlichen Korngewoge.
„Ich wollte doch den Herrn heute noch was bitten, denn morgen
kommt mein Schatz, und denn soll
es jemacht sein. Ich Hab mir im-
mer gefürchtet, wegen die jnädije
Frau Mutter." — Sie zog die
Lippen, das Weinen saß ihr schon
im Halse.
Der Donner kam jetzt kurz und
gewaltig; von drei Seilen zuckten
die Blitzschlangen heran.
„Meine Mutter ist in Berlin.
Aber wir erreichensja nicht mehr."
„Da — nun geht es los." Er riß
das Pferd in einen Feldweg herein
und trieb es zur höchsten Eile.
„Wohin fahren wir denn, ach
Herrieses?"schrieBerta aufgeregt
und suchte ihr Tuch wieder über
den Kopf zu bringen. Große Trop-
fen klatschten; die verdorrte Erde
sog sie spurlos auf.
„Zur Schnitterhütte, wir müs-
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