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Der Antrag August Geigcuberger f

Er dachte bei sich: Wie angenehm wäre es, ihr mit der flachen Hand
einen Klaps zu geben, schade, daß so etwas gegen die guten Sitten
verstößt. Er lächelte, begann zu gehen, kam zum Tor hinaus, ging
munter die Straße entlang, an der Ecke drehte er sich um und blieb
stehen. Er überlegte, er kehrte um: Es wird doch bester sein, in Ofen
das Nachtmahl zu cffen, dort findet sich auch Gesellschaft, hübsche
Frauen. Er pfiff eine Melodie. —

Die Maste stürzte aus zwei Nebengäßchcn in die Straße. Sie
wurde irgendwo in der Ferne von Schutzleuten getrieben. Die Men-
schen kamen von rechts und links gleichzeitig, cs war unmöglich ihnen
auszuwcichcn. Das hätte er am liebsten getan. Wozu sich in die
lärmende Masse mengen. — Was sind das für Menschen? Kinder und
Zerlumpte. Sie wissen selbst nicht, was sie wollen. Aber was kümmert
das ihn! Sie zertreten ihm seine neuen Schuhe, sie stoßen ihn hin
und her, es wird spät abend, bis er nach Ofen kommt. — Wozu
brüllen sie? Wie kommt man dazu, sich von ihnen stoßen zu lasten?
Gesindel. Kläffende Meute.

Ein Gedränge wie für Taschendiebe geschaffen — dachte er. Er
betastete seine Brieftasche, ob sie noch da sei? Uhr und Kette? Man
trat ihm auf die Füße. Horde. Unreifer Pöbel. Die Woge erfaßte ihn,
trug ihn und schleuderte ihn mit einem heftigen Stoß unter ein breites
Tor. —

„Wer nicht hergehört, zurück," brüllte eine Stimme, ihn schob eine
kleine Gruppe zum Treppenhaus. Unten gellte eine weibliche Stimme.
— Von der Straße drang von neuem das Brausen der Maste her-
ein. — Es war, als ob die Menge vor dem Tore mit Löffeln auf-
gerührt worden wäre. — Auf der Treppe waren schon weniger
Menschen. Er konnte schon nach seinem eigenen Belieben gehen. —
Er blieb stehen. Unten brauste und gärte alles, wer weiß, was auf der
Straße noch vorfällt? „Narren. Was wollen sie? Man geht friedlich
feines Weges — unerhört. So was ist nur in einem solchen Lande

möglich." Ein Glück, daß er hierher gelangt ist. Jemand sprach ihn an:
„GibtS was Neues?" Er blickte ihn an, aber der andere war schon
fortgerannt. Hinein in eine offen stehende Tür auf dem Stockwerk.
Alle gingen dorthin. „Was gibt es dort?" Eine neue Stimme:
„Hinein in den Saal, das Treppenhaus wird vom Volk gesäubert."
Eine Menschcnwclle erfaßte ihn und schon befand er sich in dem
fremden Saal. —

Jemand hielt eine Rede. Mit heiserer Stimme. Menschen brüllten
Hoch! Menschen liefen durcheinander. — Neugierig blickte er umher.
— Aus dem benachbarten Zimmer kam ein langbärtigcr Mann ge-
laufen, schaute umher und trat zu ihm: „Sind Sie der, den uns
das Zentralkomitee geschickt hat?" Nein — gab er zur Antwort.

In diesem Augenblick traten zwei junge Leute an ihn heran. —
Sie brachten Flugblätter. Ein Bündel davon wurde ihm die Hand
gedrückt. Der Bärtige wollte sagen: „Das ist nicht der Herr, de»
uns das Zentralkomitee geschickt.." Aber er wurde von irgend woher
gerufen und lief weg. — Aus der Türe rief er zurück: „Bringt sic
mir nach."

Er drängte sich durch die Menge durch, trug die Flugblätter hinein
ins andere Zimmer.

Heisere Menschen. Ab und zu liefen sie auf den großen Erker hin-
aus. Dann erneuerte sich jedesmal der tosende Lärm der Menge. —
Der Langbärtige kam vom Erker herein. — Er zeigte auf seinen
Hals: „Ich kann nicht mehr, das Volk will mich hören, aber ich bi»
total heiser geworden."

Die Leute stießen einander dem Erker zu: „Jetzt ist die Reihe an
dir." „Entschuldige, ich harangicre sie seit dem frühen Morgen, ich
bin wie zerschlagen." „Und ich nicht?"

Jemand faßte ihn beim Arm: „Was hältst du hier Maulaffc»
feil, du bast noch nicht gesprochen." Es war der Langbärtige. Er
ergriff ihn beim Arm. — Zog ihn hinaus auf den Erker. Ein roter

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August Geigenberger: Der Antrag
 
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