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Die Brücke

Wolfgang Breuer

das Leid. Seine Ursache war bald vergessen. Mir erwuchs das Er-
leben aus den Gedanken, die sich darnach formten."

„Und Ihr Gatte?"

„Er ist mir fremd seitdem. Ich empfange nur Qual von ihm. An-
fangs waren wir noch beisammen. Aber vielleicht wurde ich ihm
lästig. Er schickte mich fort, in ein Sanatorium. Und doch sucht er
immer wieder zu mir zu gelangen — er stellt mir Fallen — er drängt
sich mir auf — ich fühle das, wenn ich nachdenke — immer tritt er
in meine Gedanken — er weiß ja nicht, daß mich das alles quält

Wir faßen beide gebückt auf der Bank.

Schließlich sagte ich: „Es muß bitter fein,
in so vielen Jahren an niemand gut denken
zu können."

Das Abwesende ihrer Augen verwirrte
mich .Nach kurzem Zögern sagte sie:

„Ihnen will ich eö sagen" - sie öffnete
ein kleines Medaillon, das sie an einer sil-
bernen Kette trug — „ich hatte einen Ge-
liebten — oft träume ich von ihm — "

Da war eö lange Zeit still zwischen uns.
Diele Gedanken gingen durch meinen Kopf,
die nach Ausdruck suchten.

„Vieles verstehe ich - aber eins nicht:
Sie sind schön und haben nicht die Fähigkeit
verloren, glücklich zu machen. Waren Sie nie
sehnsüchtig nach einer Luft, die Sie einmal
besaßen?"

Da ging ein heftiges Zittern durch den
Körper der Frau. Und ungerufen raunte
eine fremde Stimme mir zu. Erlöse sie aus
den Ketten, die sie sich selbst wand!

Und ich küßte die Hände der Frau und
sah nicht den herbstlichen Reif, der über ihren
Zügen lag.

Da weckte ich ein kleines, trauriges Lächeln
in ihrem Gesicht, als hätte sie meine Gedan-
ken erraten.

„Ich bin eine alte Frau," sagte sie. „War-
um soll ich nicht ehrlich sein, daß mir, wie
jeder Anderen, die Einsamkeit bisweilen in
den Adern klopft? Aber wozu? Ich habe
Angst-"

Wir sahen uns oft in den nächsten Tagen.
In Karenö Wesen war eine Nervosität ge-
kommen, daß man das Gefühl leiser Be-
klemmung in ihrer Nähe nicht los wurde.
Wenn ich manchmal den Eindruck hatte, als
suche sie mit Absicht eine Begegnung mit mir
im Park, wunderte ich mich doch wieder, daß
immer etwas wie Bestürzung und Bangigkeit
über ihr Gesicht flog, wenn ich kam. Aber der
Gedanke, daß diese Frau still über Jugend
und Leben hinweggeschritten war, um einer
Idee willen, zwang mich immer wieder zu
ihr — den Wachenden zu der Schlafenden.
Und die Einsamkeit unserer Tage war der
schwarze Begleiter meiner Gedanken. Dann
hatte Karen bisweilen, wenn sie in meine
Augen sah, eine merkwürdige Gebärde, auf
das Medaillon an ihrem Halse zu deuten.

Eines Abends trat sie in mein Zimmer.
Ihre Augen brannten. Das Gesicht war weiß
wie das Leinen des Bettes. Da küßten wir
uns. Und meine Hände fühlten die Wärme
ihres Körpers und meine Brust fühlte die
pochende der Frau.

Das war ein Sich-satt-trinken vor dem
Verdursten...

Am Mittag des nächsten Tages saß ich in dem Zimmer des Arztes,
fassungslos, aufgeschreckt. Man hatte in Karens Zimmer einen Brief
an mich gefunden...

„Ich danke Dir. Aber eö galt nicht Dir, sondern dem, der Dir
so ähnlich ist..."

Ja," sagte der Arzt, und legte die Hand auf die Papiere vor sich.
„Ich kann doch darüber nicht schweigen. Sie ist tot — ja doch, die
Frau Karen Swandrup — bitte, bleiben Sie ruhig — die Ob-
duktion ist noch heute - Morphium, vermute ich. Sie haben sich
sehr für diese Frau interessiert — ich habe es gesehen — aber Sie

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