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BEWEISE

VON ARNOLD WEISS-RÜTHEL

Harry Schiff fyattt sich zum erstenmal ver-
liebt.

Unglücklicher Weise in May, die Schau-
spielerin.

Und nun stand es schlecht um ihn, sehr
schlecht.

Eines zwar muß man Harry Schiff lasten,
er verstand sich auf Rilke und Werfel wie
kein zweiter.

Und für Peladan ließ er Teile seines
Lebens. Auch für Oskar Wilde. Den Um-
ständen entsprechend.

Harry sah aus, wie im Vorübergehen ge-
zeugt. Papa — Neger, Mama — Chinesin.
Aber in Wirklichkeit stammte er unleugbar
in direkter Linie aus dem Warenhaus Schiff
& Sohn, Konfektion für Herren.

Nein, Harry war nicht verliebt. Schlim-
mer, viel schlimmer: — er liebte! Liebte mit
dem ganzen, längst reglos und stumm gewor-
denen Aufwand von Gefühlen, die um einer
aussichtslosen Aktie willen innerhalb seiner
Seelen-, Herz- und Kirschaugenatmosphäre,
ein von Anfang an verlorenes Bakkarat be-
trieben.

Liebte ... !

May war das gewohnt und tat nicht mit.

Doch er durfte bei ihr Tee trinken und
aus Stefan George vorlesen. Er tat es mit
leisem Vibrato in der Stimme. Vielleicht
war eö auch seine arme Seele, die so zitterte.

Er war sehr klein und komisch.

In einem weißen Anzug, einer Livree
müßte er ausgesehen haben, wie ein Water-
boy oder Liftpage. Ja, man dachte sich gerne
- diese enganliegende und veredelnde Tracht
um den kleinen grazilen Burschenleib, der
wie eine einzige schamhafte Geste sich stets
vor sich selber zu verbergen bemüht war.

Ganz unschuldig — verschüchtert.

Sein Blick stammelte in einem fort. Lag
auf May, unruhig aufgerissen. Irrte davon
und kam wieder. Ein aufgegebenes Betteln,
vor jemand, der so viel geben könnte. Wenn
er nur könnte.

Glücklich und aller Seligkeiten voll war
Harry, wenn er mit May tanzen durfte. Wie
aber wurden seine Augen zu triumphierenden
Sonnen, wenn May ihm sagte —er tanze gut.

Und er hing an May wie eine Notwen-
digkeit.

May's Punkt — sagte irgendwer.

Sie duldete ihn.

Hin und wieder strich sie auch mit der
Hand durch sein Haar und sagte ihm dazu
etwas mitleidvoll Liebes.

Hin und wieder zwang sie sein Flehen mit V
einem versengenden Lächeln nach innen, daß
all seine knäbischen Tränen wie eine siedende
Fontäne ans Licht brachen.

Aber er liebte.

Und nicht nur er — nein: auch Frank
Waldhier liebte und Joschka Kotschkarjew
liebte.

Kotschkarew war noch dazu Fürst.

Hubert Sengmüller

Passives Mitglied

Angeschnallt wird nicht. In der Saison trag'
ich sie m der Hand, und ln der nächsten
werden sie verfeuert!"

Ein Kretin von Fürst.

Aufgeschwemmt, anwidernd wie eine
riesenhafte, jedoch arglose Bakterie — mit
wafferblauen Tieraugen, blonden Haarftiften
und verhältnislosen Schaufelhänden sah er
aus wie der Idiot Dostowjewskijs.

Die einfachsten Dinge begriff er nie.
Dachte er darüber nach — was er May
zuliebe mitunter tun musite — stand er da
wie ein Scherzartikel, den unflätigen Mund
zu irgend einem Unlaut weit geöffnet.

Aber er war Fürst. Allerdings arm -
bettelarm.

Er liebte May und hatte Aussicht, sie
zur Frau zu bekommen. Auf ein paar Minu-
ten, denn May brauchte einen Titel. Fürstin.

Frank Waldhier war Literal. Ein grund-
kluger Mensch, voller Form und Elan, der
den Vorzug an sich hatte, immer sehr anstän-
dig und korrekt gekleidet zu sein und seinen
Geldmangel nie merken zu lasien. Das war
der dritte.

Nicht daß es nur diese drei gegeben hätte
— nein. Aber ich brauche nur sie. May
lieble weder Schiff, noch Joschka, noch
Frank. Und doch verband sie mit allen ein —
ja, man kann wohl so sagen — inniges Ver-
hältnis, das bei entsprechender Willenlosigkeit
der Opfer sogar einen zarten Hauch von
Herzlichkeit annehmen konnte.

Harry konnte gut vorlesen, war ein armer
lieber Bengel, für jede gelegentliche Anwand-
lung von Mitleid empfänglich und ohne un-
nötiges Pathos in seiner Liebe. Joschka hatte,
bei zwar vielen Mängeln, einen tadellosen
Titel, und Frank, ein gewandter, geistvoller
Mensch, gab auf Grund diversester Beziehun-
gen einen billigen und willigen Impresario
ab. So dachte May, ohne es dem einzelnen
zu verargen, jeden in seiner Weise zu lieben.

Harry unglücklich, hoffnungslos und doch
ständig hoffend auf etwas, von dem er
wußte, daß es sich niemals erfüllen würde,
Joschka mit klobigem dummen Selbftbewußt-
sein, das seine, für die Sache so völlig un-
wesentliche Person mit in das Bereich der
grausamsten Täuschungen zog — und endlich
Frank, mit der Ruhe und Gemessenheit des
Menschen, der allerletzten Endes wenigstens
an ein altes Sprichwort glaubt.

Just zu gleicher Zeit passierte nun folgen-
des: May hatte — vielleicht abseits billiger
Sensationsgier, aber doch mit einem, von
des Gedankens Bläffe nicht ganz freien Raf-
finement, sonst selbstverständlich aufrichtig
und durchaus begreiflich den Wunsch ge-
äußert: — einmal des lebten und größten
Erlebnisses teilhaftig zu werden, den stärksten
und tiefsten Liebebeweis zu erbalten von
dem Mann, der sich bewußt und seiner völlig
sicher nachts - oder besser morgens drei Uhr
um ihretw'llen und in ihrer Gegenwart er-
schießt. Diese Sache bekam bei aller Er-
habenheit insofern etwas Komisches, als die-
ser Mann notgedrunaen einen Smoking an-
haben und auf dem Sofa sitzen müsse.

Harry erschien ihr dar» am geeignetsten.
Erstens hatte er einen Smoking — Frank

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Register
Hubert Sengmüller: Passives Mitglied
Hermann Otto Binder: Vignette
Arnold Weiss-Rüthel: Beweise
 
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