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dann redet man nicht drei Stunden von »Schiebungen' und »Trans-
aktionen'. Man hat auch Pflichten für die Seele seiner Gattin!
Und hat er nicht wirklich eine kleine Lektion verdient?" Sie wurde
ganz fröhlich, die Kanaille. Sie sagte: „Geh'n Sie voran und er-
warten Sie mich an der nächsten Straßenecke. Ich hole mein Täsch-
chen." Ich sagte: „Geben Sie mir Ihre Garderobenummer; ich
laste inzwischen unser beider Garderobe herauslegen und warte hier
im Vorraum." Das leuchtet ihr denn offenbar auch ein; Pfui sagte
mein göttliches Dämonion; sie betrügt den guten Dicken. Der Garde-
robefrau sagte ich: „Wenn die und die Dame kommt, so sagen sie,
ich warte draußen." Aber als sie kam, war ich natürlich verschwun-
den und ihre Garderobe mit mir; es war ein sehr kostbarer Abend-
mantel mit Nerzpelz besetzt. Ich habe damit die Tränen zweier
Waisen getrocknet. Mag der Himmel wissen, welche Lügen sie für
ihren Mann erfunden hat. Der sittliche Imperativ war gerächt. Ich
bin in diesem ersten Falle noch sehr milde, allzu milde gewesen.
Später habe ich den Trik oft wiederholt. Dann wartete ich wirk-
lich auf die Dame im Vestibül, gab als Herr von Welt große
Trinkgelder, ließ ein Auto Vorfahren und war nach zehn Minuten
mit ihr in einem entfernten ländlichen Gasthaus oder in der ver-
schwiegenen Einzelkoje eines verborgenen Luxusrestaurants. War eS
unberechtigt, daß ich ein paar Ohrringe, das Armband, den Ehering

verschwinden ließ? War eS unrecht, daß ich Gottes Sachwalter
wurde und das verworfene Weib strafte, das sich bereit erwies, ihren
armen nichtsahnenden Gatten zu betrügen? Ich ließ sie sitzen wie
Ariadne auf Naxos, mit einer unbezahlten Zeche, ohne Pelz, ohne
Hut; mochte sie sehen, wie sie in einem elenden Mietswagen nach
Hause gelangte, um ihrem Manne irgendein Märchen aufzubinden ..

Ich brauche nicht zu sagen, daß ich dieses Leben nicht um eigenen
Vorteil geführt habe. Der Himmel weiß, daß ich ein Menschen-
freund in großem Stile gewesen bin. Von dem, was ich allen Bösen
und Unedlen genommen habe, habe ich allen Guten und Edlen viele
Wohltaten erwiesen. Von dem ersten gestohlenen Damenpelz kaufte
ich eine silberne Schnupftabakdose für den edlen Alten ... Gelegent-
lich vollführte ich wohl das Folgende. Ich lustwandele im Stadtpark.
Auf einer Bank sitzt ein breiter Bürger, feist und niederträchtig, dem
der unsittliche Hunger nach Geschäft und Erwerb dick im roten Ge-
sicht brennt. Ich setze mich daneben und denke: „Will mal prüfen wie
es bei dem um den sittlichen Imperativ bestellt ist!" An meinem
Ringfinger trage ich einen funkelnden Diamantring. Er ist unecht,
aber der breite Bürger ahnt das nicht. Indem ich mit dem Bürger
ins Gespräch komme, streife ich den Ring ab und lasse ihn so zur
Erde gleiten, daß er vor die Füße des Bürgers und ins Sehbereich
seiner lüsternen Augen fällt. Nach einiger Zeit heuchle ich Entsetzen.

Spanische Promenade

Benj. Godron

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Benjamin Godron: Spanische Promenade
 
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