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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 30.1925, Band 1 (Nr. 1-26)

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30. JAHRGANG

END

1925 / NR. 7

LOHENGRIN AU

VON ERNST

Laver Pfaffinger, der auch im Winter eine blühende Wiese von
Sommersproffen im Gesicht hatte, war pensionsberechtigter Kulissen-
schieber an der Hofbühne.

Und da er früher nacheinander Aufseher im Zoologischen Garten
und Portier am Schlachthof war und so im Umgang mit Tieren eine
beträchtliche Übung hatte, ward ihm jetzt auf der Bühne alles Vieh,
das in den großen Opern auftreten mußte, von der Intendanz anver-
traut worden. So zog Xaver Pfaffinger in der Zauberflöte die
Schlange aus der zweiten Kulissengasse hervor, ließ die sreischützliche
Wildsau über die Szene hopsen und den thranigen Drachen Feuer
speien. Am liebsten aber schob er im Lohengrin den Schwan von fer-
nen Landen nach Brabant herüber, ließ er die gralische Taube vom
Soffitenhimmel herabhängen — denn das Geflügel war seinem Her-
zen am nächsten. So kam eö, daß er auch durch diese Vögel Oper und
Held .Lohengrin' an Sinn und Wert über alles andere schätzte und
geradezu in sie verliebt war.

Und wie sich zuweilen Hausfrauen nach dem Waschhaus sehnen,
so sehnte sich der Kulissenschieber Pfaffinger nach den Worten, Tönen
und Taten dieses edlen Ritters mit Schwan und Taube. Wenn es
kam, daß diese Oper einmal auf längere Zeit am Spielplan fehlte,
dann ging er sehnsüchtig am Viktualienmarkt zwischen den Geflügel-
ftänden hin und her, wo die weißgefiederten Gänse ihm als ver-
kleinerte Schwäne und vergrößerte Gralstauben erschienen. Und
während eö um ihn her nach Kunstschmalz, Papageifutter und Gänse-
fett roch, sang er wehmütig leise vor sich hin: „Mein lieber Schwan
- Ach, diese letzte, traur'ge Fahrt, wie gern hätt' ich sie dir erspart!"

Und wie eö Menschen gibt, die über alles gern Trambahnschaff-
ner, Stierkämpfer, Obersekretär, Feuerfresser oder Reichspräsident
werden möchten, so war für Xaver Pfaffinger der Held Lohengrin
zum Ideal geworden. So träumte er sich ntanchmal in diese Rolle hin-
ein, daß er — auf der Plattform der Elektrischen stehend — glaubte:
er werde nun von einem Schwan in die Arme der Elsa von Bra-
bant gezogen... während er doch nur im Zehnpfennigtarif die
schlüpfrigen Kurven der Müllerstraße ausfuhr — — — !

F DER REDOUTE

HOFERICHTER

Nachts flogen Schwäne und weiße Tauben durch seine Träume,
ließen sich auf seinem Bettrand nieder... Und er streichelte sie,
drückte liebkosend ihre Hälse an seine Wange, bis er am Morgen
erwachte — und den Zipfel des Kopfkissens in seinem Munde stecken
hatte... Und wo Wünsche und Träume sind, da gibt eö im tiefsten
Keller der Seele auch schon Gänge, die zur Verwirklichung führen.
Und so lange flog der Schwanenvogel in seinem Hirnkasten herum,
bis es ihm eines schönen Tages von einer Idee schwante, die von
Verheißung schwanger war.

In den Auslagfenftern und Spalten der Zeitungen machte sich um
diese Zeit allmählich der Fasching bemerkbar. Da sah man knall-
farbige Kostüme aller Nationen und Stände zur Schau gestellt.
Beim Maskenverleiher wurde der Mann aus dem Volke gegen eine
Leihgebühr hinter dem Ofenschirm in wenigen Augenblicken zum feu-
rigen Spanier, Zar und Zimmermann, Eskimo und Vorstadtindi-
aner angeschirrt. Artikel feuerwerkten über Maskenfreiheit, Kostüm-
bälle und Faschingstreiben ... Und die Luft wirbelte schon ahnungs-
voll von Konfettistaub und Luftschlangen, die als Vorstellung auch
in Pfaffingers Heldenkopf herumflogen und dort zusammen mit
Flügelschlagen des Schwans den Beifall aufwehten, der ihm seinen
siedepunktheißen Wunsch erfüllen sollte.

Ja, wenn er maskiert als Lohengrin aufträte, das würde es ihm
ermöglichen, wenigstens auf Stunden sich ganz als Held und Ritter
vom Schwan ausleben zu können_!

Und in derselben Nacht schrieb er noch einen Brief an die hoch-
wohlgeborene Intendanz — sie möchte ihm hochachtungsvollft das
Ritterkoftüm des Lohengrin mit dem Schwan zusammen für einen
Abend leihweise überlassen. Am dritten Tage traf ihn die abschlägige
Antwort wie ein Kugelblitz. Aber in ihm war vorschußweise schon so
viel Heldentum gelegt, daß er beschloß, in gewaltsame Taten überzu-
gehen und handlungsfähig zu werden. So begann er sich das helden-
hafte Kostüm stückweise zu erkämpfen. Und Xaver Pfaffinger riß nun
nach jeder Lohengrin-Aufführung dem Schwan eine Schwanzfeder
aus - und da gerade sehr oft Lohengrin gespielt wurde, hatte er bald

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Julius Diez

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Register
Ernst Hoferichter: Lohengrin auf der Redoute
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
 
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