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30. JAHRGANG

E N B

1925 / NR. 14

HUNGER

GROTESKE VON EMIL GRADL

Brill trat in das Geschäft ein und sagte: „Vielleicht könnte ich
daS Schaufenster putzen, wenn Sie etwa die Güte hätten, mir einen
Lappen zur Verfügung zu stellen." Er trat geradewegs von der
Straße in das fremde Geschäft, stellte seinen Antrag und wartete. Es
roch von reinlichen Porzellantellern weg nach Sättigung und unter
Glasglocken waren Herrlichkeiten gestapelt. Brill wartete lüstern
und gespannt. Irgendeiner von den weißbekittelten Verkäufern würde
ja nun wohl zu diesem bescheidenen Anerbieten Stellung nehmen
müssen, es war nicht gut anzunehmen, daß man einfach darüber hin-
wegging.

„Sie...?" fragte ein rundes und rotes Gesicht, das hinter einem
Berg von Schinken gehockt war, Brill hatte es für einen Eidamer
gehalten. Aber nun beeilte er sich, dem Chef in weiteren Ausführun-

gen näherzutreten. „Es ist natürlich nur durch einen Zufall Ihrer
geschätzten Aufmerksamkeit entgangen, daß da einige Schmutzflecke -
die wäre ich also bereit, gegen ein kleines Entgelt, eine geringfügige
Entlohnung -." Er lachte, um dem Chef behilflich zu fein, sich die
Geringfügigkeit der Entlohnung vorzustellen.

Aber das Gesicht des Chefs glänzte von abweisendem Stolz, als
er sagte: „Ich habe die Fenfterreinigung im Abonnement."

Nun, dagegen war nichts zu machen, Brill konnte nicht gegen ein
Abonnement ankämpfen, er stand da einem ganzen System gegenüber,
einer Organisation. So buckelte er zurück, „bitte sehr".

Er ging die Häuser entlang und setzte nicht mehr viel Hoffnung
in den heutigen Tag, eigentlich hatte er schon jede Hoffnung aufge-
geben und auch das mit dem Fenfterputzen war nur ein scherzhafter

Rautendelein

Ferdinand Staeger

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Ferdinand Staeger: Rautendelein
Emil Gradl: Hunger
 
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