Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben (30.1925, Band 2 (Nr. 27-52))

PistoriuS spähte nach dem Haubenstock hinüber, allwo die frisch
gekämmte Sonntags-Perücke harrte, aber da kam die Hand der klugen
Freundin und bedeckte streichelnd die Blöße.

Florinde, beim Eintritt der Dame aufgesprungen, ward jetzt zu-
gelasien, ihr die Finger zu küssen, und mit einem Blicke bedacht, der
zürnend fortzusetzen schien, was die väterliche Ermahnung unvollendet
gelassen. Die Dame hatte sogleich die Situation erkannt. FlorindeS
gerötete Augen, ihr unberührter Teller, des Freundes absteigende
Laune sagten genug.

Wie nun PistoriuS die Tochter gleichsam preisgab durch die kalt
hingeworfene Bemerkung, sie wolle nicht mit, erstarkte die Dame zu
mütterlicher Autorität über die Siebzehnjährige.

„Ich glaube sogar, es ist hohe Zeit, sich umzukleiden," sagte sie.
Und als Florinde in dunkler Gewandung wiederkehrte, verwies man
ihr das Unpassende der Kostümierung. Das Neue wurde verlangt, das

Geblümte mit den weißen Falbeln, ob ihr blaffeS Gesichtchen gleich
das fröhliche Bänderwerk ins Unrecht setzte.

^ Das vertrauliche Paar war in den Erker abgetreten. Eine dicke
Karaffe mit Pommeranzen-Rosoglio ftand zwischen ihnen.

Man nötigte auch Florinden ein GlaS in die Hand. Sie schluckte
den süßen Likör hinab wie Leberthran. Und sie war so unglücklich
dabei, als hätte die neue Mutter das Regiment schon angetreten.

Der Doktor empfing aus Madame Gamellas Händen die flutende
Perücke und den goldbeschlagenen Rohrftock wie Thron-Insignien. Hoch
sich ausrichtend in der lauchgrünen Sammetpracht des neuen franzö-
sischen Staatsklcides, erreichte PistoriuS unter Assistenz der Freundin
die lächelnde Monumentalität des Fleisches. Und wie er nun von
seiner Patrizierftube niederstieg, daß die Holzftufen krachten, so fühlte
auch Florinde, wider Willen in ihrem Kummer, etwas wie Stolz, die
Tochter eines so gewichtigen, reichen Mannes zu sein.

Nachdem des Doktors geräumige Kalesche auf das Pflaster hinaus-

Südliche Landschaft