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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0874
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Palme, deren letztes zartgefärbtes Blatt sich eben aus der Rülle gerollt
hatte. Peter liebte die Psianze sehr.

Beates Gewand sank. Sie stand unter dem gelben Licht, ganz
umhüllt von der Wärme ihrer frühen Fraulichkeit. Die goldgelben
Haare lagen auf dem braunen Nacken und erstrahlten, wenn sie sich
neigte, wie eine stammende Aureole. Sie umschlang Peter mit weichen
Armen, und er küßte ste lang. Ihr Gesicht war ganz nahe, rosig
überhaucht und mit unwirklich großen, nahen Augen. Der Raum
verschwamm ihnen, und sie sanken in eine schimmernde, golddurchwirkte
Diese, von jähen hochbrennenden Flammen durchhellt. Dag ganze
Zimmer war erfüllt von ihrem Duft, und die Luft erstrahlte von
Wärme und Hingabe.

Als Peter spät erwachte, sah er die Palme vor dem Fenster, die
mit unheimlichen, schwarzen, neunsingrigen Händen in den helldunklen
Himmel grist.

„Sie wächst und treibt Blätter," dachte er, „und wenn sie ein
anderer besäße, und wenn ich stürbe, und wenn Beate stürbe: sie
wüchse und triebe Blätter."

Wenn Beate stürbe. Er war ganz kalt und unbewegt bei diesem
Gedanken. Er neigte sich zu ihr, die tiefatmend, glücklich und ruhig
an seiner Seite lag. Ihre zartweißen Zähne schimmerten zwischen den
halb wie zu einem Lächeln geöffneten Lippen.

Mit dem Gefühl einer tiefen Leere schlief er endlich wieder ein,
als schon der Morgen über den Bäumen des Parkes graute.-

Peter saß vor seinem Schreibtisch, zurückgelehnt und mit geschloffenen
Augen. Das nüchterne, kalte Licht eines nebligen Tages drang durch
das Fenster, erfüllte den weiten Raum, stoß über die Wände und saß
glitzernd, ungewiß und übelwollend auf den Gegenständen. Der Tag
stieg empor. Hinter den Lidern Peters wogten Farben, Dinge, Land-
schaften, Worte und Bilder. Sie stoffen ineinander, lösten sich, stiegen
auf und versanken in farbigen Wolken. Peter griff zur Feder und
legte sie wieder hin. Alles schien heute trügerisch, kalt und ohne Wohl-
wollen, und er wußte, daß ihm die Arbeit nur eine Dual mehr sein
würde. Er erhob sich und trat ans Fenster; sah über die Wipfel des
Parks und der Auen bis dahin, wo an einer Biegung der Fluß in voller
Breite hervortrat. Aber über den fernen Bergen, die sonst in blauer
Verheißung herüberwinkten, hing der Nebel, und Peter empfand das
Fehlen dieses freundlichen und gewohnten GrüßenS wie einen ihm per-
sönlich zugedachten Schmerz. Er fühlte sich doppelt eingeschlossen, und
die Herbste Italiens stiegen vor ihm auf, die segnend über die Erde
gehen, wie eine Mutter, die Abschied nimmt von ihrem Kinde. Nun
wußte er es gewiß: Er mußte fern sein, und er mußte allein sein.

Er nahm seine Mütze und verließ mit stüchtigem Gruß das Haus
zu einem jener einsamen Spaziergänge, die Beate sich hütete, zu stören.
Den ganzen Tag streunte er zwischen den Feldern und dem Strome
herum, aß in einer kleinen Kantine, die bei der nächsten Fähre auf-
gestellt war, und unterhielt sich mit dem Wirte. Am Pegel war der
Strom stark gestiegen, und der Wirt befürchtete Hochwasser. Dann

(Fortsetzung Seite 860)

BLICK

Dem Tal war eben erst das Licht entgangen,
Nun lag eg schwebend zwischen Tag und Nacht
In ungewisser Luft des UcbergangS;

Indes sich von den Wiesen Kühle aushob.
Das unsichtbare Wasser schwerer klang
Und aus dem Buschgewölbe, das es barg
Lautlos die Dämmerung bereitet wurde;
Doch eine Lampe in dem einzigen Haus
War schon gefaßt mit wunderbarem Frieden.
Und über Waldestreppen gegenüber
Schien hell die Stirne eines fernen Bergs.

Rudolf Ball,

'otcngräbcrszene aus Hamlet Felix Mescck

sVerlaa Graphisches Kabinett. München, Briennerstraße)

Mit gleicher Post

Von Ramon Gomez de la Serna

Eine der bittersten Ironien des Lebens ist
der bekannte und berüchtigte Satz: M i t
gleicher Post.

Glaubt alles, nur das nicht. Die Dinge, die
mit gleicher Post kommen sollen, werden be-
stimmt nicht mit gleicher Post kommen. Auch
nicht mit einer anderen; sie kommen überhaupt
niemals, und nicht durch die Schuld der Post
— arme Post! —, sondern durch die Schuld
des Absenders.

Nachdem der Absender den Brief, in dem er
unö seine Sendung mit „gleicher Post" avisiert,
aufgegeben hat, überkommt ihn plötzlich die
Lust, die Absendung der Ausfertigung Nr. 2
auf einige Tage zu verschieben. Es ist ein
eigener Instinkt, der ihn dazu treibt: der
Instinkt der Verspätungen; vielleicht auch das
perverse Vergnügen, uns warten zu lasten,
oder auch eine gewisse Veranlagung, die not-
wendigen Verrichtungen ratenweise zu be-
sorgen. Der Absender kostet wie ein Fein-
schmecker die Wonnen der Unruhe und Angst,
die er uns verursacht; wir zappeln wie ein

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Register
Felix Meseck: Totengräber aus Hamlet
Ramón Gómez de la Serna: Mit gleicher Post
Rudolf Bach: Blick
 
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