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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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Nr. 40
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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0875
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Karl Nolde

Fisch an der Angel, durch nichts, als durch
jenen einen kleinen Zusatz: mit gleicher Post.
Wir verfallen ja selbst oft in den gleichen
Fehler; >vir avisieren in einem Brief eine
Sendung „mit gleicher Post", und können
uns dann tagelang nicht entschließen, das
Paket zu machen und auf die Post zu tragen,
dessen Ankunft durch unseren Brief wie durch
einen Herold längst verkündet wurde. Es gibt
sogar Fälle, in denen die mit gleicher Post
avisierte Sendung niemals in die Hände ihres
Empfängers kam, weil der Absender sich nicht
überwinden konnte, sein Versprechen zu erfüllen.

Sicherlich hat jene kurze Galgenfrist, die
wir uns durch den Satz „mit gleicher Post"
einräumen, viele Vorzüge. Wir gewinnen Zeit,
darüber nachzudenken, ob wir denn dieses
Paket wirklich an seinen Empfänger gelangen
lassen sollen, dem wir es mit „gleicher Post"
versprochen haben; und oft verbleiben wir im
Besitz geliebter Dinge, von denen wir uns
schwer getrennt hätten, durch nichts, als durch
den kleinen Vermerk: mit gleicher Post. Viel-
leicht daß uns der Empfänger anwortet, er
hätte für unsere Sendung keinen Bedarf mehr;
dann haben wir durch unsere Bedachtsamkeit
seine Wünsche im Voraus erraten.

Schrecklich aber ist das „m i t gleicher
Pos t", wenn wir Geld erwarten, das absolut
nicht kommen will. Nur einen frommen
Glauben soll jener Mißbrauch nicht zerstören:
das Vertrauen auf die Verläßlichkeit der Post.
Denn die Post i s t verläßlich.

FRAGMENTE

von Roda Roda

Bücher lesen und Bücher schreiben — zwei
Geschäfte, die c i n Mann nicht anöübcn kann:
wie der Lokomotivführer, der immer nach
Venedig fährt, keine HochzeitSreiscfrendcn mit-
macht.

Wie man neue Talente entdeckt, sollte man

andere, die sich als unecht erwiesen, wieder -Früher hätten mich solche Männcrblicke beleidigt, heute sind sic mir gleichgültig, und später
zudecken. wäre ich wahrscheinlich froh darum."

\y qtyi S-du £T ft, er irn

Es war eine bürgerliche Familie wie jede
andere auch.

Die sechzehnjährige Tochter Europa hatte
ihren ersten LiebeStraum ausgeträumt und
fühlte sich für daS Heiraten zu alt. Der zwölf-
jährige Kuno war, Masern und schlechte
Schulzeugnisse ausgenommen, von Kinder-
krankheiten verschont geblieben, und daö
Kleinste bedeutete die östentliche Blamage einer
auf KonzeptionSvcrhinderung eingestellten In-
dustrie.

Versorgt wurden die Kinder von Maria,
der Mutter, die stets einen Gegenstand ver-
loren hatte, einen andern suchte und einen

dritten fand, sowie von Eberhard Beinbruch,
dem bei den Behörden angegebenen Vater.

Erwähnt sei eine Großmutter, die das
Gebiß ihres Mannes selig in Ehren austrug,
und mit seiner klappernden Hilfe jedes
Nahrungsmittel, dessen sie habhaft wurde, zer-
malmte, wobei Banancnschalen und HeringS-
gräten zu den Nahrungsmitteln zählten.

Man wird nur einem Beamten deS Woh-
nungsamtes nicht klarmachen können, wie sehr
diese Familie eine Verbesserung ihrer Wohn-
verhältnisse nötig hatte.

Sie geschah endlich mit Hilfe einer Bau-
genossenschaft.

Den Tag des Umzugs überlebte Eberhard
im Geschäft.

Als er abends hungrig und ruhebedürftig
jenen Teil des neuen Häuserblocks betrat, der
seine Wohnung enthielt, blieb er nicht un-
bemerkt.

Im Erdgeschoß guoll das blutunterlaufene
Auge eines Meisterschaftsboxers aus dein
Spalt einer Wohnungstür, während sich der
Kammersänger gegenüber in voller Gejlalt
zeigte.

Im ersten Stock zerfetzte ein kommunistisch
beeinstußter Köter Eberhards linkes Kapita-
listen-Hosenbein; im zweiten erregte eine alte

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Index
Karl Nolde: Zeichnung ohne Titel
Roda Roda: Fragmente
Eduard Thorn: Die Wand
 
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