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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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Nr. 46
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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0969
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Damals begab es sich, baß ein Freisräulcin von Trenck — ans der
sächsischen Linie dieses alten Geschlechtes — ans einer Reise nach Wien
durch Dux kam und dort während des Pscrdewechsels bciläusig erfuhr,
daß man den Chevalier Casanova im Schlosse nicht weit vor der
Stadtmauer zu besuchen vermochte. Die junge Dame, eben flügge
geworden, hatte durch Zufall erst kürzlich bei einer Freundin eines der
sittenlosesten Memoirenbücher des Meisters in Händen gehabt und eine
schlaflose Nacht biö zum Verlöschen der Kerze an die aufreizende Wirr-
nis dieser Wanderfahrten gewendet, wovon ihr seither ein Funken
ungckannter Sehnsucht im Blut saß. So wollte sic die Gelegenheit
wahrnehmen, dem Autor und Erleber jener Abenteuer ins Antlitz zu
schauen, einem Menschen also, der aus dem weiten Umweg über be-
drucktes Hapier ihre Sinne gefesselt hatte, von dem ihr darüber hinaus
nichts bekannt war und der ihr vor Augen stehen mochte als irgendein
blasser, schöner, südländischer Edelmann, der, reich und sorgenlos,
irgendeiner vornehmen Neigung zuliebe das böhmische Land und eine
seitab gelegene Waldburg als Hoflager und Residenz sich erkoren batte.

Sie befahl, bis zu sinkendem Abend im Gasthof ihrer zu warten, fragte
sich durch die Gassen zum Tor hinaus und wunderte, stark auö-
schreitend, weglos, durch niittaglich besonnte Felder hinüber zum Schloß.

Es traf sich aber, daß damals eben alles jugendliche Gesinde zum
Einbringen der Ernte auf einem entlegeneren Gutshofe weilte, so daß
daS Fräulein, durch den verlassenen Lustgarten
vordringend, auf einer Terrasse unversehens
dem alten Manne sich gegenüber fand. Hielt
sic ihn seiner ärmlichen Kleidung wegen an-
fänglich für einen Bedienten, so ward sie durch
die anmutige Ritterlichkeit im Benehmen des
Greifes alsbald eines besseren belehrt, und,
unterrichtet, daß sie den Bibliothekar dcS Be-
sitztums vor sich habe, cröfsncte sie in einer
fast zu lauten Freiheit und Frische, der ein
Kenner der Seelen trotz allem einige Verlegen-
heit hätte anmerken mögen, daß sie gekommen
sei, dem Herrn deS Schlosses, dem Chevalier
Casanova, ihren Gruß zu entbieten.

Da fiel der greise Abenteurer in nicht ge-
ringe Anfechtung und stille Bedrängnis. War
cs aber die alte Freude an geistreich ver-
wegenem Spiel und galanter Täuschung, war
es im Gegenteil jene tiefere Selbstsucht und
Eitelkeit, die daü Trugwerk und Gespinst des
eigenen Geistes mehr liebt als das wahrhaftige
Leben, oder war cs schon die ivehe Schlichtheit
und endgültige Abkehr, die ihn da mit einem
Male antrat und beugte — soviel steht fest,
daß der Alte nach kurzem Besinnen erklärte,

Herr Casanova habe sich für längere Zeit auf
ein anderes seiner Schlösser verzogen, er aber
erbiete sich, dem Fräulein, wenn es mit seiner
Führerschaft vorlieb nehmen wolle, alles
Sehenswerte zu zeigen. So wandelten die
beiden alsbald die Stuben und hallenden Säle
entlang und über Altane und Treppen ein-
trächtig durch das schweigende Schloß.

Es soll aber nicht berichtet werden, wie der
alte Seelenfänger es anstelltc, durch ein halbes
Wort, ein Lächeln, ein Schweigen die Anteil-
nahme der jungen Besucherin für den vcr-
meintlichen Schloßherrn anzufachen und zu
vermehren. Es soll nicht berichtet werden, wie
dem Fräulein von Trenck unter solcher Leitung
aus einem Nichts, aus Anhauch und Wider-
scbein gleichgültiger Möbel und Bilder eine
Wahnwelt erstand, ein verwegener Zauber,
der dem jungen Geschöpf das Blut ins Gesicht
trieb. Dann endlich hielt Casanova den Augen-
blick für gekommen, die also Vorbereitete in

die Welt seiner eigentlichen und geheimsten ^

Schätze zu führen. Da hatte er nämlich eine Einsiedler und Teufel

stets versperrt gehaltene Kammer auf eine absonderliche Weise zum
Behältnis seines vergangenen Lebens gemacht. Darin waren Staats-
kleider, Degen nnd Larven, ja selbst alte Lorbeergewinde, Steine und
Stücke Holzes in einer planvollen Wirrnis über Wände, Tische und
Schränke verteilt, — Gegenstände durchwegs, in denen noch Blut war,
aus deren Runzeln und Rillen es noch wie LebcnSatem herwehte, wie
verklungenes Lachen und der verwirrende Anhauch heimlicher Nächte.
Der Alte erschloß unter viel geheimnisvoller Vorbereitung und wich-
tigen Gesten seltsam beklommen und geschwellten Herzens den ver-
schwiegenen Raum.

Die Nähertretende rückte sich einen schweren Armstuhl ans Fenster,
durch das die schon tiefer stehende Sonne herein und auf ihr rötlich
glimmendes Haar fiel, lehnte sich lässig nnd müde von ihrer Wande-
rung durch die Felder nnd von der Beschau des Schlosses zurück und
lauschte nachdenklich und mit gesenkten Lidern den Worten des Greises,
der auf- und niederging, oder sonderbar tänzelnd ihren Sessel nmschritt,
eine der herbeigeholten fgagdtrophäen des Lebens in zitternden Händen,
nnd unter heimlichem Kichern eine feinsinnig verwegene und verwirrte
Gcscbichte erzählte, für die eben jener Gegenstand dein Herrn Casanova
Symbol und Anstoß gewesen sei. Dann ließ er es mit diesem Geschehnis
nicht sein Bewenden haben, berichtete auf gleiche Weise ein zweites und
drittes, jedes kunstreich und planvoll gesteigert, wußte in zierlicher Rede

Alfred Kubin

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Alfred Kubin: Einsiedler und Teufel
 
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