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Rosario Ließt

Von Hermann Kesten

Er saß am Fenster. Der Nachmittag war
im Gleißen der Sonne schon so sommerlich,
daß er dem jungen Menschen, der an einem
Fenster saß und die Augen schloß, wie eine
grüne Eidechse, sunkelnd im vielen Gras, vor-
kam.

Der junge Mann stand aus, sing ein wenig
zu lächeln an, geriet in Gedanken, verlor dar-
über alle sanften Spuren des Lächelns, suchte
seinen weichen Huk, fand den weichen Hut
und ging.

Dem jungen Menschen gefiel, während er
dahinging, sein eigener Name. Dieser Name,
Rosario Licht, erlaubt Unbeteiligten ein ge-
ringes Lächeln und die Vermutung, die Eltern

des jungen Menschen, von denen im übrigen
in diesem Zusammenhang nichts zu berichten
ist, die armen Eltern seien vielleicht auch sonst
in ihrem Geschmack nicht immer zum besten
beraten gewesen.

Doch manche Eltern, zum besten beraten,
hätten vielleicht gar das Vergnügen an
Kindern sich ganz versagt, nicht nur daö Ver-
gnügen an wohlklingenden und sozusagen
schönduftendcn Namen solcher Kinder.

Er, Rosario Licht, noch jung, noch unver-
dorben, freute sich noch seines Lebens und
bestieg eine Straßenbahn, fuhr in den der
Stadt zugehörigen Tiergarten, erstand für ein
geringes Stück Geld die Erlaubnis, die um-

Susanne im Bade

E. Stephani

hegte botanisch-zoologische Ausstellung in ihrer
beschränkten und künstlichen Ucppigkeit ge-
nießend zu durchschreiten, und sah, vor dem
Affenhaus ein weniges verweilend, ein junges
Mädchen, gar lieblich angetan, strahlend in
allen Reizen der Jugend und einer reinen und
gesunden Seele.

An diesem Punkte halte ich eö für an-
gemessen, ein schwaches, aber bedeutungsvolles
und sanfttönendes „Ach" zu setzen.

Der Jüngling sah dem Mädchen aufmerk-
sam ins Gesicht, ließ sein entzücktes Auge über
die ganze vielfältige und buntblühende Gegend
ihres Leibes schweifen, ward sich bewußt, daß
ihm alles gesteh Bein, Nase und Busen,
Schnitt des Kleids und des Haars, der Jüng-
ling sah, ward trunken im Sehen, verwirrt
im Anwehen eines neuen Gefühls und einer
seltsamen und zitternden Klarheit allen Be-
wußtseins sich bewußt; der Jüngling trat zwei
Schritte heran.

Wer sagt, daß zu zwei Schritten weniger
Mut, Entschlossenheit, Stärke, Selbstüber-
windung und Goktgebildetheit gehört, als da-
zu, eine Welt mit einer gestiefelten Armee zu
erobern, oder nach einem Konkurs seine Gläu-
biger erneut um Warenkredit anzugehen? Wer
sagt es?

Der mutige Jüngling trat näher. Er sprach
das Mädchen an und fand sich, nach einem
verwirrenden, einer Ohnmacht ähnlichen
Taumel von fünf oder zehn oder fünfzehn
Minuten zusammen mit dem Mädchen aus
einer Bank sitzend. Er sprach irgend etwas.
Seine Worte waren, als hätten sie zum In-
halt die Bläue des Himmels, die Grüne des
Grases, die Süße der Liebe, die Bitterkeit der
Liebe, seine Worte waren wie überstüssig, wie
hohles Erz und klingende Schelle.

Hier breche ich kurz entschlossen die Ge-
schichte ab. Rosario Licht stieg zwei Stunden
später in die Straßenbahn, wie sich von selbst
versteht, allein, sonst hätte ich die Geschichte
nicht abgebrochen.

Er saß da, in dem gelben, knirschenden und
sausenden Wagen, fühlte aus den Lippen das
sanfte und nnbedeutende Brennen einiger
Mädchenküsse, hatte in den schlaffen Händen
neben dem Straßenbahnbiüett das leise ent-
schwindende Gefühl der Rundung eines
Mädchenbeins und einer Mädchenwange,
blickte in die bebaute Trostlosigkeit anonymer
Vorstädte und lebte ganz im Zustand eines
Jünglings, der mit den ersten Küssen, die er
gab und empfing, den Rausch knabenhafter
Erotik verdunsten sieht.

(Fortsetzung Seite 319

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ynine au,

<ivis

Die Wissenschaft ist eine schöne Sache
und Fliegen (nicht die Tiere) Hab ich gerne: —
wenn ich auch keine Nordpolstüge mache,
so sreut's mich doch, wenn ich was neues lerne!

Hei, wie durch WilkinS Flug das Resultat der
bisherigen Forschung gänzlich ausgewischt ist:
wir wissen endlich, daß der Nordpol grad der
höchst selt'ne Punkt ist, wo kein Land und

nischt ist!

Karl Kinndt

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Index
E. Stephani: Susanne im Bade
Karl Kinndt: Kleine Hymne auf Wilkins
Hermann Kesten: Rosario Licht
 
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