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„3<ä) werde auch gleich Fortgehen," sagte das Mädchen hastig
flüsternd, „Sie haben sich ja gar nicht gewehrt, warum ließen Sie das
alles zu?"

„Ach," sagte Goan, „Worte deö Mitleids; doch ist eü zu spät, Daisy.
Sie guälen mich, ich aber liebe Sie. Gehen Sie, nein, gehen Sie
nicht... oder gehen Sie doch; bitte, es wäre das beste!"

„Sie tun mir surchtbar leid." Sie streckte die Hand aus, streichelte
das zerzauste Haar Goanö mit hastiger, mütterlicher Geste. „Nun,
was haben Sie? Weinen Sie nicht. Sie. . . doch nein, ich werde
gehen, man könnte mich sehen."

Sie trat zurück in die Dunkelheit und war nicht mehr zu hören.
Zitternd und lächelnd schluckte Goan die aus seinen starrenden Augen
niederfallenden salzigen Dropsen; sie machten die Wangen und die
Seele warm.

Da psiss ein Stein durch die Luft und schlug gegen den Pfahl, traf
rückprallend Goan leicht am Ohr und fiel klatschend zu Füßen des
Entführers nieder.

„Für Sie, Daisy," sagte Goan. „Nur für Sie." — —

Am Morgen, als der Berkehr auf den Straßen ins Stocken geriet,
da viele die Nacht über nicht geschlafen hatten, um möglichst früh am
Morgen den öffentlichen Störenfried zu sehen, wurde Goan los-
gebunden. Eine Handvoll plump grinsender Burschen näherten sich
dem Pfahl von hinten, hinter dem Rücken des Gefesselten. DaisyS
Bruder, ein großzähniger und baumlanger Hüne, zerschnitt den Strick
mit einem Messer.

„Wir wollen dich losmachen", murmelte er, sich räuspernd. „Sieh
dich nur vor. . . treib dich nicht hier in der Gegend herum."

Goan fiel nieder, stützte sich mit den Händen auf die Erde, erhob sich
und ging schwankend, als bewegte er sich bei Sturm an Deck, nach
Hause. Die Menge, die ihn aufmerksam beobachtete, trat auseinander.

Eine Stunde darauf baumelte an der Tür von GoanS kleinem Haus
ein Schloß. Dicht vernagelte Fenster, Fußspuren am Zaun und die
Stummheit der Wände — das alles wies darauf hin, daß der Wille
der Kolonie vollzogen war. Man hatte gesehen, wie Goan auf seinem
zweiten Pferde — es war weiß, Schweif und Kruppe rostbraun —-
durch Hinterhöfe nach der gemähten Wiese der Crocs geritten war.
Dahinter begann ein Waldpfad, der Weg der wilden Tiere und Jäger.

Goan ritt im Schritt, er war erfüllt von dem unwiderstehlichen
Wunsch, das Pferd umzuwenden und wenigstens noch einmal einen
Blick auf das vertraute Fenster DaisyS zu werfen. Nur mit Mühe
straffte die blutunterlaufene Hand die Zügel. Am Bach blickte er in
die glitzernde Strömung und hielt das Pferd an; dort unten begegnete
seinen Blicken ein geschwollenes, dunkles Gesicht. Einen Siedlungs-
platz zu finden, erschien ihm eine Kleinigkeit — die Erde ist ja groß.

An der Biegung zu den Bergen, dort, wo der Weg hinter dem
fernen Blau des Urwaldes zur Hafenstadt führt, wandte Goan,
undeutlichen Lärm hinter sich vernehmend, den Kopf; doch ritt er
weiter und dachte finster über die Zukunft nach. Da hob sich deutlich
vom Waldrand Hufschlag ab; Goan machte Halt: ganz außer Atem
holte ihn Daisy ein.
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Annelise Heig-Lohde: Liegender Akt
 
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