J U G
34. JAHRGANG
END
1929 / NR. 11
enieuer
in
n.
VON EDMUND FINKE
21m- rtHU'en auf der Pacht James Sheridan Ouinceyö van 9Vonte
herübergekommen, hatten ein wenig vor AnLibeS und Cannes gekreuzt,
nachmittags unsere Einkäufe in Nizza besorgt und saßen nun unter
einem der riesigen roten Schirme vor dem Cafe Savoy, die Nacht
erwartend, um bei Mondschein nach Monte Carlo zurückzukehren.
Miß Gwendolin O Neil, die amerikanische Milliardärstochter, stellte
ärgerlich und müde ein nervöses Lächeln um OuinceyS Lippen fest,
als er überflüssigerweise zum dritten Male die beiden Männer be-
trachtete, die vor dem Cafe auf und ab spazierten, ihr harmloses
Gespräch mit südlich lebhaften Gesten begleitend.
Madame Athenais Gianaklis hingegen machte mir den sanften
Vorwurf, daß ich sie sträflich vernachlässige. Ich beruhigte sie schnell
durch die Versicherung meiner unabänderlichen und wohltemperierten
Zuneigung, worauf sie zufrieden und schadenfroh deS fetten Herrn
Gianaklis gedachte, der in der Levante ebenso unabänderlich Geld für
sie verdiente. Ich — gestatten Sie,
daß ich mich flüchtig vorstelle: Vi-
comte Laroche — beobachtete un-
ruhiger noch als Ouincey selbst die
beiden Männer, die mit der törichten
Behäbigkeit verkleideter Polizisten
die Esplanade auf und ab gingen.
Ich bin, das gestehe ich Ihnen stolz,
Vicomte von eigenen Gnaden, und
mein angenehmer, wenn auch be-
schwerlicher Beruf ist der eines —
nun sagen wir — internationalen
Hochstaplers, der manchmal das
Glück im Spiel ein wenig zu seinen
Gunsten zu beeinflussen versucht.
Augenblicklich jedoch befand ich mich
sozusagen im Verhältnis außer Dienst,
denn ich bewege mich als einstiger
Kammerdiener des Herzogs von
Montecastaldo auch privatim gern
in guter Gesellschaft, und James
Sheridan Ouincey, der Bescher der
Pacht „Solitär" war mir so sehr
ans Herz gewachsen, daß ich nicht
einmal Karten mit ihm spielte: eine
Auszeichnung, die ich nur wenigen
Menschen zuteil werden lasse, ob-
zwar st'e auch diese wenigen nicht
recht zu würdigen wissen, was mir
sehr leid tut.
Nun ich hatte die mitleidige Zu-
rückhaltung, die sich Ouincey Miß
£) Neils Avancen gegenüber auf-
erlegte, lange genug mit angesehen.
Diese Angelegenheit war heute
während der romantischen Fahrt
an den silbergrauen Gestaden des
Mittelmeeres so weit gediehen, daß
Gwendolin ihr blondes Haupt sorg-
sam Ouincey in den Schoß gelegt
hatte, was sie jedenfalls unbesorgt tun konnte, da eö stch um Dauer-
wellen handelte. Doch mich als Gentleman empörte diese blutleere
Unangreifbarkeit des CaptainS, obwohl ich nicht sagen kann, daß ich
bisher etwas anderes für ihn empfand als eine ganz besondere Hoch-
achtung.
Wußte ich doch, daß Oumrey als Hauptmann des ch indischen
Infanterieregimentes vor dem Kriege in Ava, Burma, stationiert
gewesen war, wo er sich bei der Niederwerfung aufständischer Ein-
geborener große Verdienste um das britische Reich erworben hatte.
Später im Weltkrieg wurde er der höchsten Auszeichnung für Offiziere
der Kampftruppen teilhaftig. General Gough, der Kommandant der
5. britischen Armee heftete nach den kritischen Märztagen des Jahres
1918 dem tapferen Verteidiger von Barasts aux Bois eigenhändig
daü Viktoria-Kreuz an die Brust.
Soviel wußte ich von den Schicksalen James Sheridan OuinceyS.
Ich habe ihm gegenüber auch nie
mit meiner Anerkennung gekargt,
obwohl ich persönlich ein entschiedener
Gegner deS Krieges bin, da er doch
meine Geschäfte in den mondänen
Kur- und Badeorten der Welt
empflndlich gestört hatte.
Als hätte Ouincey meine Besorg-
nisse hinsichtlich der beiden auf und
ab spazierenden Südländer erraten,
neigte er sich zu mir herüber und
sagte mir leise, daß er noch eine
Besorgung zu machen habe, wir
möchten so gut sein, ohne viel Auf-
sehen und unverzüglich auf die Pacht
zurückzukehren. Mir war die Si-
tuation vollkommen klar. Meine
Neugierde würde später durch den
Captain wohl durchaus befriedigt
werden. Ich erstaunte also gar nicht,
als Ouincey plötzlich verschwand und
die Blicke der beiden aufgeregten
Polizisten draußen vor dem Cafe-
hauS ängstlich und verblüfft unsere
Gesellschaft musterten. Sie entfernten
sich auf einem Augenblick von ihrem
Posten, wahrscheinlich holten sie
weitere Instruktionen für ihr Ver-
halten ein, und ich benützte die Ge-
legenheit, mit den Damen rasch zum
Molo hinunterzueilen, um die Jolle
zu besteigen, die uns am Pier er-
wartete.
Als der dunkelviolette Abend die
Silhouette der Seealpen sanft vom
verblassenden Firmamente löschte und
der Widerschein eines großen, orange-
gelben Mondes die kleinen, tinten-
farbenen Wellen überglänzte, trat
unvermutet der Hauptmann aus seiner
34. JAHRGANG
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1929 / NR. 11
enieuer
in
n.
VON EDMUND FINKE
21m- rtHU'en auf der Pacht James Sheridan Ouinceyö van 9Vonte
herübergekommen, hatten ein wenig vor AnLibeS und Cannes gekreuzt,
nachmittags unsere Einkäufe in Nizza besorgt und saßen nun unter
einem der riesigen roten Schirme vor dem Cafe Savoy, die Nacht
erwartend, um bei Mondschein nach Monte Carlo zurückzukehren.
Miß Gwendolin O Neil, die amerikanische Milliardärstochter, stellte
ärgerlich und müde ein nervöses Lächeln um OuinceyS Lippen fest,
als er überflüssigerweise zum dritten Male die beiden Männer be-
trachtete, die vor dem Cafe auf und ab spazierten, ihr harmloses
Gespräch mit südlich lebhaften Gesten begleitend.
Madame Athenais Gianaklis hingegen machte mir den sanften
Vorwurf, daß ich sie sträflich vernachlässige. Ich beruhigte sie schnell
durch die Versicherung meiner unabänderlichen und wohltemperierten
Zuneigung, worauf sie zufrieden und schadenfroh deS fetten Herrn
Gianaklis gedachte, der in der Levante ebenso unabänderlich Geld für
sie verdiente. Ich — gestatten Sie,
daß ich mich flüchtig vorstelle: Vi-
comte Laroche — beobachtete un-
ruhiger noch als Ouincey selbst die
beiden Männer, die mit der törichten
Behäbigkeit verkleideter Polizisten
die Esplanade auf und ab gingen.
Ich bin, das gestehe ich Ihnen stolz,
Vicomte von eigenen Gnaden, und
mein angenehmer, wenn auch be-
schwerlicher Beruf ist der eines —
nun sagen wir — internationalen
Hochstaplers, der manchmal das
Glück im Spiel ein wenig zu seinen
Gunsten zu beeinflussen versucht.
Augenblicklich jedoch befand ich mich
sozusagen im Verhältnis außer Dienst,
denn ich bewege mich als einstiger
Kammerdiener des Herzogs von
Montecastaldo auch privatim gern
in guter Gesellschaft, und James
Sheridan Ouincey, der Bescher der
Pacht „Solitär" war mir so sehr
ans Herz gewachsen, daß ich nicht
einmal Karten mit ihm spielte: eine
Auszeichnung, die ich nur wenigen
Menschen zuteil werden lasse, ob-
zwar st'e auch diese wenigen nicht
recht zu würdigen wissen, was mir
sehr leid tut.
Nun ich hatte die mitleidige Zu-
rückhaltung, die sich Ouincey Miß
£) Neils Avancen gegenüber auf-
erlegte, lange genug mit angesehen.
Diese Angelegenheit war heute
während der romantischen Fahrt
an den silbergrauen Gestaden des
Mittelmeeres so weit gediehen, daß
Gwendolin ihr blondes Haupt sorg-
sam Ouincey in den Schoß gelegt
hatte, was sie jedenfalls unbesorgt tun konnte, da eö stch um Dauer-
wellen handelte. Doch mich als Gentleman empörte diese blutleere
Unangreifbarkeit des CaptainS, obwohl ich nicht sagen kann, daß ich
bisher etwas anderes für ihn empfand als eine ganz besondere Hoch-
achtung.
Wußte ich doch, daß Oumrey als Hauptmann des ch indischen
Infanterieregimentes vor dem Kriege in Ava, Burma, stationiert
gewesen war, wo er sich bei der Niederwerfung aufständischer Ein-
geborener große Verdienste um das britische Reich erworben hatte.
Später im Weltkrieg wurde er der höchsten Auszeichnung für Offiziere
der Kampftruppen teilhaftig. General Gough, der Kommandant der
5. britischen Armee heftete nach den kritischen Märztagen des Jahres
1918 dem tapferen Verteidiger von Barasts aux Bois eigenhändig
daü Viktoria-Kreuz an die Brust.
Soviel wußte ich von den Schicksalen James Sheridan OuinceyS.
Ich habe ihm gegenüber auch nie
mit meiner Anerkennung gekargt,
obwohl ich persönlich ein entschiedener
Gegner deS Krieges bin, da er doch
meine Geschäfte in den mondänen
Kur- und Badeorten der Welt
empflndlich gestört hatte.
Als hätte Ouincey meine Besorg-
nisse hinsichtlich der beiden auf und
ab spazierenden Südländer erraten,
neigte er sich zu mir herüber und
sagte mir leise, daß er noch eine
Besorgung zu machen habe, wir
möchten so gut sein, ohne viel Auf-
sehen und unverzüglich auf die Pacht
zurückzukehren. Mir war die Si-
tuation vollkommen klar. Meine
Neugierde würde später durch den
Captain wohl durchaus befriedigt
werden. Ich erstaunte also gar nicht,
als Ouincey plötzlich verschwand und
die Blicke der beiden aufgeregten
Polizisten draußen vor dem Cafe-
hauS ängstlich und verblüfft unsere
Gesellschaft musterten. Sie entfernten
sich auf einem Augenblick von ihrem
Posten, wahrscheinlich holten sie
weitere Instruktionen für ihr Ver-
halten ein, und ich benützte die Ge-
legenheit, mit den Damen rasch zum
Molo hinunterzueilen, um die Jolle
zu besteigen, die uns am Pier er-
wartete.
Als der dunkelviolette Abend die
Silhouette der Seealpen sanft vom
verblassenden Firmamente löschte und
der Widerschein eines großen, orange-
gelben Mondes die kleinen, tinten-
farbenen Wellen überglänzte, trat
unvermutet der Hauptmann aus seiner