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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 44
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https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0704
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Angst, aber vor dem, was ich entdecke. Angst für den Gänsejäger.
Auf einmal denke ich an den Totenzug «der Torfkähne und stäke schnell
weiter, von dannen. Stehe wieder einmal hoch im Boot auf, weite
die Brust mit der feuchten Nachtluft und rufe ganz hohl. DaS Moor
hat kein Echo, es steht still und schweigt mächtig. In Abständen ver-
nehme ich einen Schuß vom Haus, der mir anzeigt, -daß der Gänse-
jäger noch nicht da ist. Da reiße auch ich gewalttätig die Flinte hoch
lind schieße, ballere, waS ich kann, in die Nacht hinein. Nicht mal
Enten stehen auf. Alles ist still bis auf einige Büsche ReithgraS, die
ein Geheimnis haben. Wieder stelle ich mich aufrecht ins Boot, um
über Ginsterbüsche wegzuschreien und wegzuleuchten. Da trifft meine
Stirn ein kalter Hauch wie eine verteufelte Berührung. Ich werde
erschreckt und dann ruhig, plötzlich gelassen. DaS ebene, nachtverhüllte
Land, diese ernste Erde ist überwältigend; eine ruhige, große Macht,
die mir die Verantwortung für daS Leben des Gänsejägers nimmt,
der gegenüber diese Verantwortung nichts ist. Es ist fast Sage, dieses
geheimnisvolle Stück deutscher Heimat. Ich bin nicht schuldbeladen
durch den Gänsejäger. Aber ich rufe noch einmal, stehe horchend, und
da! gleichzeitig mit dem Schuß vom Hause vernehme ich irgendeinen
Ruf um Hilfe. Wo kommt er her? Ich rufe wieder. Schieße. Ich
urnfahre rufend und schießend Kuhle um Kuhle und horche. Es wird
immer später, Ich vernehme, daß auch die andern unruhig werden
und zu Hilfe kommen wollen. Und nochmal aus den?Nichts der Ruf.
Die andern sind endlich bei mir, wir rufen und horchen gemeinsam,
hören, und keiner weiß, woher. Nicht mal die Richtung. Nochmal

müssen wir uns trennen. Ich fahre etwas zurück, nehme ein Ruder
als Unterlage und krieche bäuchlings ans Laad, zu dem Versuch, seiner
Fährte zu folgen. Sie führt ins Schilf. Plötzlich geht meine Taschen-
lampe entzwei. Ich kann m'chtS mehr tun, muß zurück. Auch schwankt
der Boden unter mir. Fünf Minuten später weiß ich, daß ich mich
verirrt habe. Auf dem Bauche mußte ich kriechen, um nicht einzu-
sacken, ich stnde die Rückspur -in der dicken Finsternis nicht. Warum
erzählte ich auch die Nebensächlichkeit mit den Gänsen? Warum sind
diese dummen Biester überhaupt auS Norwegen zu uns gekommen?
Ich taste. Der Morast nimmt zu. Schön. Ohne das dicke Ruder-
unter meinem Leib wäre es schon aus. Es hilft nichts, ich muß sehen,
daß ich wieder heraus aus Schilf, schlafendem Ginster und Sumpf
komme, alle meine Fähigkeiten muß ich zusammennehmen, die Be-
wegungen berechnen, sparsam damit sein und scharshörig. Und so,
ganz auf mich achtend, krieche ich weiter, vorsichtig. Und da! plötzlich
neben mir, dicht an meinem Ohr auf der Erde brüllt es auf, fürchterlich,
füllt daS ganze Teufelsmoor, nur e i n mal, daß die Nacht widerhallt.
„Gänsejäger!" schreie ich. Keine Antwort mehr. Jetzt darf ich nicht
mehr so auf mich achten, ich wende und stoße auf Arme, welche ans
dein nassen Boden auSgebreitet sind, das weitere Einsinken zu ver-
hindern. Und nun beginnt die schwere Arbeit. Zuerst rufe ich nach den
andern. Nichts. Zum Boot weiß ich nicht. Ich gebe den Armen daS
Ruder als Unterlage. Aber sie sind matt vom Kamps. Ich arbeite.
Endlich nach langer Zeit kommen auch die andern, sogar mit Licht.
Und erst wie in der Finsternis des SchilfwaldeS und des dunklen
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Max Mayrshofer: Akte im Grünen
 
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