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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0703
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satt. So nebenbei erzählte ich meinem Begleiter, wie ich in der Gegend
da letzthin mal doch auf gut so zweihundert Gänse gestoßen sei, Grau-
gänse, sehr scheu und schwer zu kriegen. Das schlug ein. Der stille
Mann wachte bei dieser harmlosen Erzählung plötzlich auf, fragte,
wollte an Land und auf Gänse pirschen, Enten schießt man zu leicht.
Ich riet ab. Daö Moor ist heimlich, es ist schweigend, groß und selt-
sam stark. Man wird schwer allein mit ihm fertig. Er hörte nicht
und ging. Wie er an Land sprang, wo der Ginster nicht so hoch stand,
glitschte er etwas, aber er trug doch, er lachte zurück, und ich mußte
denken, daß das eigentlich das einzige Lachen gewesen sei, das ich von
diesem Menschen kenne. Währenddem stakte ich meinen Kahn ruhig
weiter, Enten stiegen auf, ich schoß. Wie ich den herbstlich kühlen Lauf
der Flinte erst mal gespürt hatte, war die Leidenschaft da. Die Enten
fielen in Scharen ein, und manche torkelte da von oben runter — so
ohne Flügel sch lag. Ein kleiner Berg weichen, feinen Gefieders lag vor
mir im Kahn. Es war genug. Don dem andern Kahn hallten irgend-
wo noch Schüsse. Ich rief nach dem Gänsejäger. Im Moor verging
der Ruf wie nichts. Einige Gänse stogen hoch und grau über mich hin.
Nochmal rief ich laut. Stakte zu der Stelle zurück, wo wir uns
getrennt hatten, und rief vergeblich. Da stakte ich nach Hause. —

Sic Dämmerung sank rasch und schön. Ich gab mich dem selt-
samen Zauber des Herbstes im Moor hin, dem eigenartigen, geheim-
nisvollen, starken Land, das niemals wahrer als um diese Zeit ist.
Der Gänsejäger mag ja wohl auch in den andern Kahn gestiegen sein.
Ja, das konnte möglich sein. Beim Haus machte ich das Boot fest
und ging in die Stube. Es war noch niemand da, der Wirt brachte
steifen Grog und setzte sich zu mir. Durch das Fenster kam ein unauf-
hörlicher Zwitscherton, große Scharen von Zugvögeln zogen über das
Dämmermoor und riefen. Der Moorstuß glänzte zum Fenster herein,

und drüben in den Kuhlen glänzte es wieder. Das Wasser da wollte
einschlafen, aber die Enten, die mit klagenden Schreien noch dort ein-
fielen, störten es, schwirrten darüber wog und suchten erst spät die
Schilfwälder auf. Nach einer Weile spuckte der Wirt den Pfriem aus,
stand auf und fragte, dieweil er an der Petroleumlampe herummachte,
nach dem „Stillen". Dem Gänsejäger. Ich kannte ihn kaum, er war
von meinem Bekannten mitgenommen worden. Der Wirt nickte -und
erledigte damit den Fall. Darauf warteten wir schweigend. Die
Nacht sank.

Die andern brachten den Gänsejäger nicht. Sie hatten ihn nicht
gesehen. Aber sie waren müde und durchgefroren. So ging ich wieder
zum Kahn, löste ihn und stakte hinaus. Tastete in der Nacht die
Kuhlen ab, die Gräben, hörte im Reith die Enten. —

Die starke Taschenlampe in der hocherhobenen Hand leuchtet auf,
das Signal wird nicht beantwortet. Es ist kalt. Die Kälte zieht in
den Fingerspitzen und kribbelt am Körper hinunter. Aus dem Moor
müssen Dünste steigen, es ist feucht. Ja, es ist auch unheimlich, aber
das kümmert mich kaum, ich bekomme wegen der Kälte, der Nässe
und dem allen nur eine richtige Wut in mich, stehe auf und brülle
gegen die Nacht: „Gänsejäger", wild und verärgert. Weil ich wieder
ohne Antwort bleibe, muß ich weiter suchen. Es ist Nacht und schwer,
den Weg zu finden. Einige Male sitzt der Kahn im Morast. Ich
verwünsche die Gänse. Die Enten sind im Schilf, ich höre sie, als ob
sie mich beschlichen, um ihre toten Schwestern z-u rächen. Dor mir ist
ein rascher Ton, eine Otter wird da am Werke sein. Ich rufe und
suche, rufe ins Moor, suche im Moor. Dann schieße ich. Nichts, blnd
jetzt kommt die Angst zu mir. Die Nacht wird tief, es find so Laute
im Röhricht, auf dem dunklen Wasser, es schlurft glitschend auf dem
Moorboden. Es wird bitter kalt. Ich habe vor dem allen keine


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O i e Angler

Rudolf Hengste n b e r g
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