Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

DOI Heft:
Nr. 45
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0719
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
id Skelett-
i ein aus-
Kzigjähvige
von ihnen
>ie sie zum

)tenräumen
rußen nicht
ufgekrochen
trübseligen

n war, be-
ugen muse-
, mit GlaS-
Die Reim-

Zustimmung: Freilich — allerdings — klar.-Als der Direktor

sie nach viertelstündigem eindringlichen Dortrag fragte: Ob sie also
vernünftig sein und die Säuberung der Skelette auch hinfort —
seinetwegen mit einer Extrazulage von 5 Pfennig pro Stunde —
ausführen wolle? schüttelte sie den Kopf .und sagte: „Nee!"

Schließlich fand sich aber doch eine Frau Mardelsmann bereit,
die.ungewöhnliche Arbeit zu übernehmen. Das Leben hatte sie hart
angefaßt. Ihr Mann war mit vierzig Jahren verunglückt. Zwei
Töchter hatten die Zwanzig nicht lebend erreicht. Ihr einziger
Junge war am Tage nach der Konfirmation zur See gegangen und
hatte seitdem nicht eine Silbe von sich hören lassen. Warum sollte
Frau Mardelsmann die gutbezahlte Skelettsaalräumung nicht aus-
führen! Sie hatte dem Tod so tief in die Augen gesehen, daß sie
durch nichts mehr, was ihn betraf, aus der Fassung gebracht werden
konnte.

Frau Mardelsmann säuberte also Morgen für Morgen vor
Beginn der öffentlichen Besuchszeit im besagten norddeutschen
Museum die zahllosen Skelette. Sie ging mit Staubwedel und
Staubtuch .um die stehenden, die hockenden, die sitzenden, die liegen-
den Toten herum. Sie nahm die Schädel und Knochen aus den
Schränken, Kästen und Schüben. O, sie war sorgsam und gewis-
senhaft bei ihrer Arbeit, die Frau Mardelsmann! Kein 'Stäubchen
duldete sie. Keinen der ins Nkuseum geretteten Überreste vertauschte
sie beim Zurücklegen mit dem andern. Derrückte sie trotz aller Be-
hutsamkeit doch dann und wann ein Glied, ein Knöchelchen, rückte
sse eS wieder zurecht, daß es sich hinterher kein Zentimeterchen nach
rechts oder links verschoben hatte. Niemals war der Skelettsaal
so vorbildlich sauber gewesen wie in den Jahren, da Frau Ncardels-
mann unermüdlich bemüht war, ihn zu entstauben. Sogar dem
Direktor ssel es schließlich auf. Er belobte sie und erhöhte den
Stundenlohn um weitere 5 Pfennig.

Anfangs betzat Frau Mardelsmann ihren Dienflraum all-
morgenlich mit unverkennbarer Scheu. Sie machte auf der obersten
Stufe der Treppe, die zu ihm hinabsührte, sozusagen einen inwen-
digen Kopsnicker und bot den Toten, ohne daß sie den Mund össnete,

einen Guten Morgen! Dann wurde sie ssumps. Sie vergaß den
inwendigen Kopfnicker aus der obersten Treppenstufe; vergaß den
unausgesprochenen Guten Morgen! und Aus Wiedersehn! Schließ-
lich wurde sie überheblich, wurde sie frech gegen ihre Schützlinge.
Freilich, Toten war man Rücksicht schuldig. Aber denen da? Waren
das etwa Tote? Nicht doch! Totenteile. Totenfratzen.

Da der Monat herannahte, an dem Frau Mardelsmann ihr
zehnjähriges Dienstjubiläum als Putzfrau im Skelettsaal begehen
konnte, sagte eines Abends ihre Flurnachbarin mit heiserer Stimme
zu ihr: Daß sie das — das im Museum — Morgen für Morgen
machen möge — unbegreiflich!

Warum?

Ob ihr niemals dabei graulich werde?

Wovor?

Ob sie nicht Nacht für Nacht schreckliche Träume habe?

Weswegen?

Es seien doch alles Menschen, waS sie im Museum abstauben
müsse!

Menschen? ünsinn! Nicht einmal tote Menschen. Sondern
Knochen. Nichts als Knochen. Mit Drähten und Darmsaiten und
Leim mühsam zusammengeflickt. Ob sie ihr das mal zeigen solle?

Nee!!

Aber einige Wochen später sagte die Flurnachbarin mit fast un-
hörbarer Stimme: Wirklich? Die Skelette im Museum wären nur
zusammengeflickte Knochen? Sehen möchte sie sowas doch wohl mal.

Frau Mardelsmann lud also die WissenSdurstige ein, am Morgen
nach ihrem zehnjährigen Jubiläum mit ihr ins Museum zu kommen.
Zu befürchten wäre deswegen nichts. Dor Beginn der Besuchszeit
sei die Besichtigung längst beendet. Der Direktor lasse sich erst deS
Mittags sehen. Auch die Aussichtssritzen seien noch nicht da. Nur
der Nachtportier, der aus die Schlüssel passe.

Die Flurnachbarin ging also mit Fra>u Mardelsmann zu deren
grausliger Arbeitsstätte. Sie war tapfer! Was Frau Mardels-
mann zehn Jahre fertiggebracht hatte, konnte sie für zehn Minuten
— denn das genügte für sie durchaus! — ohne Frage auch auö-


)

vV\





/.

I





W'IV

\rp


tthevma ch

Max Mayrshofer
Register
Max Mayrshofer: Übermacht
 
Annotationen