Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

DOI issue:
Nr. 1
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0003
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
J u

3 4. JAHRGANG

G E N D

1 9 3 0 / NR. 1

)

?- Y

- * /

Der Nobelpreisträger Thomas Mann
n a ch einer Radierung von S. Carvallo-Schülein

ib-aö ist eine schwere Kunst, 'bie gelernt fein will und in der mich zu
üben, die Welt mir freilich in diesen Tagen und Wochen reichlich
Gelegenheit gibt. Eine schwere Kunst, sage ich, zum mindesten gerade
für einen Künstler.

Nicht wahr, das Wort: „Thon comest in such a questionable
shape“, oder wie eS im Deutschen fast noch schöner heißt: „Du kommst
in so fragwürdiger Gestalt", durch dieses Wort ist doch das Verhältnis
jedes anständigen, jedes selbstkritischen Künstlertums zu sich selbst am
besten bestimmt. Es ist ein Verhältnis des Zweifels, das ich vielleicht,
um meine Gedanken auf den rechten Weg zu bringen, präziser noch
mit einem Fremdwort, mit dem Worte Skepsis bestimme. Diese
geistige Haltung nun zu sich selbst und zur Welt, die skeptische, erscheint
freilich heute höchst demodiert, in einer Welt nämlich, die von wilden
Entschlossenheiten, von blutigen Extremen der Entschlossenheit zer-
rissen ist. Und doch gehört dieser Begriff der Skepsis, des Zweifels
zu einem geistigen Komplex und einer allgemein menschlichen Haltung,
die einen sehr schönen, sehr bedeutenden und großen Namen führt.
Er gehört zum Ideenbompl-ex der Humanität. Es ist das ein Komplex,
der sich zusammenseht aus Begriffen wie Freiheit, Gerechtigkeit,
Behutsamkeit, Wissen, Güte und Form. Namentlich Form. Es ist
geheimnisvoll, wie in humaner Sphäre sich die Idee und das Echos
des Zweifels mit dem Prinzip der Form verbindet. Und nun lassen
Sie mich dieses fremde, wenn auch unter uns Deutschen überlieferungS-
weife besonders geheiligte Wort „Humanität" wieder in ein deutsches
übersetzen, daS ihm bis zu dem Grade verwandt, bis zu dem Grade

ein Synonym dafür ist, daß man es unbedenklich dafür einfetzen kann,
mit dem Worte B ü r g e r l L ch k e i t. Es fällt mir dabei, meine
Herren, eine kleine Erfahrung dieser Tage ein. Mir kam ein Artikel
des Pariser „Temps" zufällig zu Gesicht, welcher der mir wider-
fahrenen Ehrung gewidmet war. Darin hieß eS, durch die PreiS-
krönung gerade dieses deutschen Schriftstellers sei etwas Allgemeineres
als nur feine Person von der Welt begrüßt und bekrönt worden.
Um was es sich handele, sei eigentlich „1a pensee bourgoise“. Damit
meinte daS natürlich sehr gebildete Blatt nun gewiß nicht irgend eine
bourgoise Klassenmitte oder etwas wie den internationalen Kapitalis-
mus, sondern es meinte den bürgerlichen Gedanken eben in jenem
höchsten und geistigsten Sinn, in welchem ich ihn eben zu entwickeln
und zu bestimmen suchte, und von dem man ostenbar in der Welt .
glaubt, daß gerade in Zeiten wie der unsrigen heilsame Wirkungen
davon ausgehen können. Es ist eine spezifisch deutsche Haltung, es ist
die des EraSmuS gegenüber den Fanatismen seiner Zeit, eS ist die
Haltung, die Goethe im großartigsten Stile praktiziert hat, und wenn
nun ich in meinem Stand diese Haltung an den Tag gelegt habe, so
mag wirklich der Grund für die mir widerfahrene Auszeichnung in
dem Glauben der Welt an die erhaltenden -sowohl wie die zukünftigen
Kräfte sein, die dem Ethos bürgerlicher Humanität eingeboren sind.
Eine Lebenshaltung, meine Herren, ist der Ausdruck eines Glaubens,
und so ist eS nicht Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit, sondern eben
nur der Ausdruck dieses überpersönlichen Glaubens, wenn ich die
Hostnungen teile, die, wie es scheint, die Welt mit dieser Bestätigung
meines an und für sich bescheidenen LebenSwerkeS zum Ausdruck bring:.

THOMAS MANN

BÜRGERLICHKEIT

Aus der Rede bei der Nobelpreis-Feier des Münchener Rotary-Clubs
. . . Ehrungen, hohe Ehrungen mit guter Miene entgegenzunehmen,
Index
Thomas Mann: Bürgerlichkeit
Suzanne Carvallo-Schülein: Der Nobelpreisträger Thomas Mann
 
Annotationen