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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0019
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1 9 3 0 / NR. 2

MARIANNE

EINE ERINNERUNG
VON ERNST KREUDER

Es hatte mich wieder Ln diese Stadt ge-
trieben, weil da noch ein alter Onkel lebte,
der mich für einige Zeit ausnahm. Auch kommt
man gern an Orte zurück, die man einmal
geliebt hat. Marianne ivar mir nicht aus
dem Sinn gekommen, die einmal mit mir
gespielt hatte, — sie konnte es tun, weil es
damals mein erstes Glück gewesen war, Mäd-
chenhaar anzufassen und einen unbeholfenen
Kuß zu versuchen, den sie jedesmal wieder
mit dem Taschentuch wegwischte, weil er so
unbeholfen war. Aber ich habe noch nie
seidene Wasche getragen und konnte auch
keine Geschenke machen oder daS Auto be-
zahlen. Dafür waren andere Freunde da,
bei mir liebte sie eine besondere Art von
Schwermut, deren Trostlosigkeit sie irgendwie
anzog, und daß i ch sie so über alles liebte

mit meinen achtzehn Jahren, ja, auch dies
wird ihr gefallen haben. Sie war älter und
klüger als ich, da sie nicht in mich verliebt
war, und ich hätte noch nicht einmal die pure
Gewalt aufbringen können, die Grenzen ein-
zureißen, die sie für unseren Umgang gesetzt
hatte. Aber eines Tages, ich lief schon herum
wie ein kranker Hund, der nichts mehr frißt,
eines Tages wagte ich es, sie um ein wenig
Liebe zu bitten. DaS war demütig, ich wußte,
daS konnte sie nicht leiden, sie hätte sich viel
eher überwältigen lassen, denn sie hatte nicht
daS Herz, zu verschenken und zu erfüllen.
Ich sah eS in ihren Augen, sie dachte nicht
mit dem Herzen, und jetzt mußte sie mich
verachten. Da sagte ich Guten Tag «und ging.
Danach schlug vieles fehl. Es war auch das
erste Mädchen gewesen, ich sagte mir, eS muß

ja doch alles gelernt werden. Ich lernte später
noch manches Mädchen kennen, aber ich ver-
gaß Marianne nicht.

Nun war ich wieder in dieser Stadt bei
meinem Onkel, der mit seinen Goldfischen in
einer dämmerigen Hinterhausstube lebte, feit
seine Frau i>hr HauS verkauft -und mit einem
ehemaligen Schauspieler auf un>d davon ge-
gangen war. Die Stube sah aus wie ein
kleines Museum, überall standen und hingen
Familien- und Eheerinnerungen, mit denen er
sein Seelenheil zu erhalten schien, und an den
Abenden klimperte er auf dem Klavier alter-
tümliche Spieldofenweisen, während an seiner
Seite der selbsterbaute Springbrunnen in der
Dämmerung plätscherte und die stillen Gold-
stsche im Aquarium erquickte. Oft hielt ich -es
in der Katakombe, wie ich es nannte, nicht
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Max Heiß: Nach Geschäftsschluß
Ernst Kreuder: Marianne
 
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